Ein Tag der Erinnerungen und Hoffnungen

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Normalerweise würde Florentina nie mit einer Therapeutin über ihre innersten Gedanken sprechen, doch irgendwie hatte es einfach gepasst. Die letzten Wochen waren intensiver gewesen, als sie es sich je hätte vorstellen können. Die therapeutischen Gespräche, die sie in der Vergangenheit gemieden hatte, halfen ihr nun auf eine Weise, die sie nicht erwartet hatte. Es war befreiend, jemanden zu haben, der ihr wirklich zuhörte. So viel Positives war in letzter Zeit geschehen – etwas, das sie lange vermisst hatte. Vielleicht musste sie all diese Dinge einfach einmal jemandem erzählen, um sie wirklich zu verstehen.

Nachdem sie das heutige Gespräch mit ihrer Therapeutin passieren lässt, beschließt Florentina, sich das Wetter für den nächsten Tag anzusehen. Die Prognose für morgen verspricht ausnahmsweise schönes Wetter und einigermaßen angenehme Temperaturen, bevor der Herbst endgültig Einzug hält. Vielleicht könnte sie morgen schon ihr Motorrad in die Garage bringen und es für den Winter einmotten. Dann würde sie sich den Weg an einem anderen, womöglich regnerischen Tag ersparen. Dieser Gedanke gefällt ihr. Sie greift zum Telefon, um schnell einen Termin in der Garage zu vereinbaren. Ein paar Minuten später ist alles schon ausgemacht.

Ihr Blick wandert zu ihrem Motorradhelm, der in der Ecke des Zimmers steht. Sie muss lächeln. Morgen würde wohl die letzte Fahrt für dieses Jahr sein, ein Abschluss, bevor die kalte Jahreszeit beginnt. Sie liebte ihr Motorrad, es war ihre Art, sich frei zu fühlen, die Geschwindigkeit, der Wind im Gesicht, das Gefühl, die Kontrolle zu haben. Und dennoch war sie auch bereit, den Helm für die kommenden Monate wegzulegen, um im nächsten Jahr wieder voller Energie in die neue Saison zu starten.

Nachdem sie alles für den nächsten Tag geregelt hat, fühlt sich Florentina erleichtert. Sie entschließt sich, das Auto zu nehmen und ein bisschen aus der Stadt hinauszufahren. Der Verkehr ist ruhig, es ist einer dieser Tage, an denen man sich fast verloren in der Zeit fühlt. Ihr Ziel ist der Friedhof am Stadtrand, wo ihr Adoptivvater beigesetzt wurde. Er war in den letzten Jahren ein wichtiger Anker in ihrem Leben gewesen, bis er vor einigen Monaten unerwartet verstarb. Die Leere, die er hinterlassen hatte, war immens, doch die Trauer hatte sich allmählich in etwas anderes verwandelt – in eine stille Erinnerung, die sie nun wie einen wertvollen Schatz mit sich trug.

Florentina parkt das Auto und steigt aus. Die Kälte sitzt ihr sofort tief in den Knochen. Sie zieht ihren Schal enger um den Hals und nimmt den kleinen Strauß Blumen aus dem Auto, den sie mitgebracht hat. Mit bedächtigen Schritten schlendert sie über den Friedhof. Die Blätter rascheln unter ihren Schuhen, der Wind weht sacht, aber kühl. Sie bleibt kurz stehen und betrachtet die Reihen der Grabsteine, manche alt und verwittert, andere frisch und glänzend. Es ist still, nur das leise Rauschen des Windes und das gelegentliche Krächzen eines Vogels durchbrechen die Stille.

Als sie schließlich beim Grab ihres Adoptivvaters ankommt, fühlt sich Florentina ruhig und gesammelt. Sie kniet sich auf den kalten Boden, ohne auf die unangenehme Kälte zu achten, und legt eine Hand sanft auf den Grabstein. Es ist, als würde sie ihn damit begrüßen, als würde der Stein sie trösten. Eine Welle von Erinnerungen durchströmt sie – sein Lachen, seine beruhigende Stimme, die vielen schönen Momente, die sie zusammen hatten. Tränen sammeln sich in ihren Augen, doch es sind keine Tränen der Trauer. Es ist vielmehr eine Mischung aus Dankbarkeit und Sehnsucht.

"Ich vermisse dich", flüstert sie leise und schließt für einen Moment die Augen. Der Wind weht sanft über ihr Gesicht, fast als würde er ihre Worte in die Welt tragen. Nach einer Weile beginnt sie zu sprechen, zu ihm, als wäre er noch immer bei ihr. Sie erzählt ihm von den letzten Wochen, von ihren Sorgen und Ängsten, aber auch von den positiven Momenten. Vor allem erzählt sie ihm von Phil.

"Ich glaube, ich mag ihn wirklich", murmelt sie. "Es fühlt sich so anders an. Irgendwie... leicht und schwer zugleich." Sie lacht leise. "Du würdest ihn mögen, da bin ich sicher. Er ist... jemand, der mir ein Gefühl von Sicherheit gibt, wie du es damals getan hast."

Während sie spricht, spürt Florentina, wie eine gewisse Last von ihr abfällt. Es ist, als ob das Aussprechen ihrer Gefühle diese greifbarer und realer macht. Sie bleibt noch eine Weile am Grab sitzen, bevor sie die Blumen sanft auf den Stein legt und sich erhebt. Der Abschied fällt ihr schwer, aber sie fühlt sich leichter als zuvor.

Es ist bereits spät, als Florentina zurück ins Auto steigt. Die Dunkelheit beginnt sich über die Stadt zu legen, und sie beschließt, direkt nach Hause zu fahren. Dort angekommen, wirft sie sich ihre bequeme Kleidung über und lässt den warmen Wasserstrahl der Dusche ihre kalten Glieder wieder auftauen. Nach der Dusche macht sie es sich auf der Couch bequem, wickelt sich in eine weiche Decke und greift nach ihrem Handy.

Ohne lange zu überlegen, öffnet sie die Nachrichten-App und beginnt, eine Nachricht an Phil zu schreiben. Es ist nichts Großes, nur ein paar Worte, um ihn wissen zu lassen, dass sie an ihn denkt. „Ich freue mich auf morgen. Joggen mit dir ist wie ein kleiner Lichtblick in meinem Tag", tippt sie ein und fügt einen kleinen Smiley hinzu. Es gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit, mit ihm in Kontakt zu sein, und die Vorfreude auf das morgige Joggen wächst von Minute zu Minute.

Während sie die Nachricht abschickt, muss sie lächeln. Es ist eine seltsame, aber zugleich schöne Vorstellung, dass sie sich so sehr auf etwas so Einfaches wie das Laufen mit Phil freut. Vielleicht war es das Zusammensein, das Gefühl, verstanden zu werden, ohne viele Worte.

Florentina lehnt sich zurück, blickt an die Decke und lauscht den leisen Geräuschen der Nacht, die durch das gekippte Fenster in ihr Wohnzimmer dringen. Die Welt draußen mag kalt und unbeständig sein, doch in ihrem Inneren fühlte sie sich sicherer und hoffnungsvoller als jemals zuvor.

Morgen würde ein guter Tag werden. Sie würde das Motorrad einwintern, sich von der warmen Jahreszeit verabschieden und ein neues Kapitel für sich aufschlagen – eins, in dem die Kälte draußen nicht mehr die Wärme in ihrem Inneren beeinflussen würde.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt