Verborgene Narben

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Phil stand reglos vor der Intensivstation und blickte durch das Fenster in den Raum, in dem Florentina lag. Schläuche und Maschinen umgaben sie, doch er konnte nicht zu ihr. Der Arzt, Frederik Seehauser, hatte ihm mitgeteilt, dass ein Besuch im Moment nicht möglich war. Sie war noch nicht stabil genug, und jede Störung könnte sie zurückwerfen. Phil fühlte sich hilflos – der Gedanke, dass sie dort lag und er nichts tun konnte, quälte ihn.

„Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder ansprechbar ist", sagte Frederik, während er einige Notizen machte. „Aber ich habe noch eine Frage."

Phil sah ihn fragend an. Welche Frage könnte jetzt noch wichtig sein? Er wollte einfach nur wissen, wie es Florentina ging. Doch Frederik war ernst. „Sie hat 34 Knochenbrüche, die nie richtig verheilt sind", begann er. „20 Prozent ihres Körpers sind mit Narben bedeckt. Dazu kommen mehrere Titanplatten und Schrauben in ihrem linken Bein." Der Arzt hielt kurz inne, als wollte er Phil die Schwere dieser Worte verdeutlichen. „Weißt du, wie das passiert sein könnte?"

Phil spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Er erinnerte sich plötzlich an ein Foto, das Florentina ihm einmal beiläufig gezeigt hatte. Ein altes Bild von ihr in Uniform, jung und ernst. Sie hatte es nie wirklich erklärt, aber jetzt setzte sich das Puzzle langsam zusammen. „Ich... Ich glaube, sie war beim Militär", brachte Phil mühsam hervor. Sein Kopf war ein einziges Chaos. Wieso hatte sie ihm nie etwas von diesen Verletzungen erzählt? Von dieser dunklen Vergangenheit?

Frederik nickte nachdenklich. „Das könnte einiges erklären. Diese Art von Verletzungen deutet auf ein schweres Trauma hin. Vielleicht ein Unfall, eine Explosion – so etwas sieht man nicht oft."

Phil stand da, wortlos, die Gedanken kreisten. Das Militär. Ein Unfall. Die Narben, die sie auf ihrer Seele und ihrem Körper trug, waren viel größer, als er je geahnt hatte. Er fühlte sich schuldig, dass er so wenig über sie wusste, obwohl sie ihm so viel bedeutete. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Franco, sein Kollege, war auf ihn zugetreten. „Kommst du? Wir müssen noch den Bericht schreiben."

Phil nickte mechanisch, obwohl seine Gedanken noch immer bei Florentina waren. Widerwillig drehte er sich um und folgte Franco. Die Fahrt zurück zur Wache verlief in bedrückendem Schweigen. Franco hatte schnell gemerkt, dass etwas nicht stimmte, doch er wusste, dass es besser war, Phil erst einmal in Ruhe zu lassen.

Während die Stadt an ihnen vorbeizog, schien Phil in einer anderen Welt zu sein. Florentina lebte, aber sie war noch nicht außer Gefahr. Jeder Gedanke kreiste um die Bilder, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gingen. Wie oft hatte sie an seiner Seite gestanden, gelacht, ihm geholfen, ohne dass er auch nur einen Hauch dieser schweren Vergangenheit erahnt hatte? Wie oft hatte sie ihm in den letzten Wochen gezeigt, wie stark sie war, ohne zu verraten, wie zerbrechlich sie eigentlich gewesen sein musste?

Zurück in der Wache nahm Phil kaum wahr, was um ihn herum geschah. Franco kümmerte sich um den Bericht, während Phil wie in Trance daneben saß. Er dachte an all die Male, die sie zusammen gelaufen waren, an ihre stillen Gespräche am See. War sie damals schon verletzt? Hatte sie Schmerzen gehabt, während sie sich ihm geöffnet hatte? War das der Grund für ihre Schlaflosigkeit, für die Dunkelheit, die sie manchmal zu umgeben schien?

„Alles okay?" Franco riss ihn aus seinen Gedanken. „Du wirkst... abwesend."

Phil blinzelte und nickte, obwohl er wusste, dass es nicht stimmte. „Ja, ich bin nur... besorgt", antwortete er leise.

„Ich weiß", sagte Franco. „Es ist nie leicht, wenn es jemandem aus dem Team passiert. Aber sie ist in guten Händen. Das Krankenhaus wird alles tun, um sie durchzubringen."

Phil wusste, dass Franco recht hatte, aber die Ungewissheit nagte an ihm. Er fühlte sich, als hätte er versagt – nicht als Kollege, sondern als Freund. Florentina hatte ihm vertraut, und er hatte nicht genug gefragt, nicht genug gesehen. Jetzt, wo sie dort lag, wusste er, dass er hätte mehr wissen sollen.

Die Schicht auf der Wache verlief ruhig. Jede freie Minute dachte er an Florentina, an die Narben, die sie in sich trug – sichtbar und unsichtbar. Ihre Verletzungen erzählten eine Geschichte, die sie ihm nie offenbart hatte. Vielleicht aus Angst, vielleicht, weil sie selbst versuchte, damit abzuschließen.

Am Abend, als Phil gerade seinen Dienst beenden wollte, entschied er sich, noch einmal ins Krankenhaus zu fahren. Er konnte nicht einfach so nach Hause gehen, ohne zu wissen, wie es ihr ging. Als er in der Notaufnahme ankam, erkannte ihn Frederik sofort und kam ihm entgegen.

„Sie ist stabil", sagte der Arzt mit einem vorsichtigen Lächeln. Erleichterung durchströmte Phil, doch das Gefühl der Unsicherheit blieb. Er wusste, dass er Florentina Zeit geben musste, aber er versprach sich selbst, dass er für sie da sein würde – so, wie sie es immer für ihn gewesen war.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt