Die Last der Freiheit

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Der kalte Wasserstrahl prasselte auf Florentinas nackte Haut, während sie in der Dusche stand, die Augen geschlossen und den Kopf nach unten geneigt. Der Dampf stieg um sie herum auf, doch sie spürte kaum die Wärme des Wassers. Ihre Gedanken waren immer noch bei dem Albtraum, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Der Tod von Alex, die Schreie, das Blut – all das fühlte sich so real an, als wäre sie wieder dort, im Krieg, umgeben von Zerstörung und Leid. Der Krieg, der tief in ihrer Seele verankert war und sie nachts nicht schlafen ließ.Sie wusch sich mechanisch, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Ihr Geist wanderte immer wieder zurück zu den Bildern, die sie versuchte zu verdrängen. Es war sinnlos, sich noch hinzulegen und zu versuchen, Schlaf zu finden. Diese Momente, in denen die Dunkelheit sie einhüllte und die Erinnerungen unaufhaltsam hochkamen, machten es unmöglich, zur Ruhe zu kommen. Der Krieg war vorbei, aber in ihr tobte er weiter.

Nach der Dusche wickelte sie sich in ein Handtuch und setzte sich auf die Bettkante. Ihr Bein schmerzte, und sie spürte das Stechen in ihrer Brust, das sie seit dem Gasunfall am Einsatzort begleitete. Phil hatte ihr verboten, sich körperlich zu überanstrengen, doch Florentina wusste, dass sie sich nicht daran halten würde. Es gab nur eine Sache, die ihr half, das Chaos in ihrem Kopf zu beruhigen: Training.Sie warf sich in ihre Sportsachen, legte sich auf den Boden und begann mit ihren täglichen Übungen. Liegestütze. Der Schmerz in ihrem Bein war zu Beginn unangenehm, doch sie ignorierte es. Sit-ups. Die Anspannung ihrer Bauchmuskeln verdrängte für kurze Zeit die erdrückenden Erinnerungen. Ihre Bewegungen waren rhythmisch, fast meditativ, während sie Musik in ihren Kopfhörern hörte. Der Beat der Musik hüllte sie ein, und für einen Moment konnte sie die Realität ausblenden. Der Krieg verstummte, und es gab nur noch das Hier und Jetzt.Doch irgendwann war auch das Training vorbei, und die Stille der Wohnung kehrte zurück. Florentina lehnte sich gegen die Wand und starrte auf den Bildschirm des Fernsehers, der leise im Hintergrund lief. Es war nur Ablenkung, irgendeine sinnlose Show, die sie nicht wirklich interessierte. Sie seufzte, stand auf und warf einen Blick auf die Uhr. 8:30 Uhr. Noch 30 Minuten bis zu ihrem Termin bei der Therapeutin.

Die Traumatherapie, die sie seit Monaten besuchte, fühlte sich für Florentina oft wie eine lästige Pflicht an. Sie hatte das Gefühl, dass sich nichts änderte, egal, wie viele Sitzungen sie absolvierte. Die Albträume waren immer noch da, die Erinnerungen allgegenwärtig. Trotzdem ging sie hin, Woche für Woche, in der Hoffnung, dass sich irgendwann etwas bessern würde. Doch der Fortschritt ließ auf sich warten.Pünktlich um 9 Uhr verließ sie ihre Wohnung und machte sich auf den Weg zur Praxis. Die Straßen waren noch relativ leer, und der kühle Wind wehte ihr ins Gesicht, während sie sich in ihren Mantel kuschelte. Es war eine Art Routine geworden – der Weg zur Therapie, das Gespräch, das sich endlos wiederholte, die immer gleichen Fragen und Antworten.Als sie in der Praxis ankam, setzte sie sich in das kleine Wartezimmer und wartete, bis sie aufgerufen wurde. Es dauerte nicht lange, bis die Tür aufging und ihre Therapeutin sie hereinbat. Florentina setzte sich auf den Stuhl, ihre Hände ruhten in ihrem Schoß, während sie stumm auf den Boden starrte. Ihre Gedanken waren weit weg.

„Florentina?", die Stimme der Therapeutin riss sie aus ihren Gedanken. „Florentina, ich habe Sie etwas gefragt."Florentina hob den Kopf und versuchte, sich zu erinnern, was die Therapeutin gesagt hatte. Doch ihr fiel nichts ein. Ihre Gedanken waren wieder in die Erinnerungen abgedriftet, wie so oft.„Haben Sie immer noch Albträume?", fragte die Therapeutin erneut, diesmal mit einem Hauch von Besorgnis in ihrer Stimme.Florentina zögerte einen Moment. Sie wusste, dass sie lügen würde. „Nein", antwortete sie schließlich.Die Therapeutin schien mit dieser Antwort nicht zufrieden zu sein. Sie verschränkte die Arme und sah Florentina skeptisch an. „Ich weiß mittlerweile, wann Sie lügen und wann nicht. Also? Wollen Sie mir davon erzählen?"Florentina schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte keinen Albtraum", wiederholte sie, obwohl sie genau wusste, dass es die Unwahrheit war. Die Erinnerungen an die Nacht waren noch zu frisch, zu schmerzhaft. Sie wollte sie nicht wieder durchleben, nicht jetzt, nicht hier.Die Therapeutin seufzte leise und griff nach ihrem Block und einem Stift. „Gut", sagte sie. „Wenn Sie nicht reden wollen, werde ich schreiben."Florentina verdrehte die Augen und murmelte leise vor sich hin: „Im Ernst? Das Notizbuch wieder? Das ist doch passiv-aggressiv."Die Therapeutin hob den Blick und begegnete Florentinas gereiztem Gesichtsausdruck mit einem ruhigen Lächeln. „Sie reden nicht, also schreibe ich", sagte sie bestimmt.Florentina atmete tief ein und fühlte den Frust in sich aufsteigen. „Ist schon gut", sagte sie schließlich, ihre Stimme zitterte leicht vor unterdrücktem Ärger. „Hören Sie auf!"Für einen Moment herrschte Stille im Raum, nur das leise Kratzen des Stifts war zu hören. Florentina fuhr sich mit der Hand durch das Haar und begann zu sprechen, ihre Worte kamen langsam und schwer über ihre Lippen. „Das ist neu für mich. Ich war vier Jahre im Krieg. Das alles, was jetzt passiert – diese Rückkehr ins normale Leben – ist neu. Ich lerne, mit all dem umzugehen. Geben Sie mir Zeit."

Die Therapeutin nickte, hörte ihr aufmerksam zu und legte den Stift zur Seite. „Florentina, weder Sie noch Ihr Team hatten eine Ahnung, in was Sie da geraten würden. Sie wussten nicht, was auf Sie zukommt. Aber Sie sind nicht mehr im Krieg. Sie müssen lernen, anderen zu vertrauen."Florentina senkte den Blick und starrte auf den Boden. „Ich vertraue Menschen", sagte sie leise, fast trotzig.Die Therapeutin lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Wirklich?", fragte sie skeptisch. Dann griff sie nach Florentinas Handy, das auf dem Tisch lag, und schaute kurz darauf. „Florentina, Sie haben nur vier Nummern in Ihrem Telefon. Und die einzige Person, die Sie diese Woche angerufen haben, bin ich. Das ist wirklich traurig. Sie sind allein."Florentina spürte, wie diese Worte in ihr nachhallten. Allein. Natürlich war sie allein, aber das war nicht neu. Seit ihrer Rückkehr aus dem Krieg hatte sie sich immer weiter von den Menschen distanziert. Ihre Kollegen beim Rettungsdienst sahen sie oft als Teil des Teams, aber in Wahrheit hatte sie sich nie wirklich geöffnet. Es war leichter, sich zurückzuziehen, als die tiefen Wunden in ihrer Seele zu offenbaren.„Sie haben so viele Menschen in Ihrer Umgebung, Florentina", fuhr die Therapeutin fort. „Menschen, die Ihnen helfen wollen. Aber Sie lassen niemanden an sich heran. Sie sind nicht mehr im Krieg. Sie sind nicht mehr im Dienst. Sie sind frei!"Florentina hob den Blick und sah ihre Therapeutin mit einem leeren Ausdruck an. „Frei...", murmelte sie. „Um was zu tun?"

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt