Ein Morgen voller Gedanken

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Der Morgen war kühl und grau, als Florentina und Daniel sich vor dem Rettungswagen positionierten, um den Wagen wie gewohnt durchzuchecken. Jede Schicht begann mit dem gleichen Ritual: Jedes Gerät, jede Medizinkiste und jedes Medikament wurde überprüft, ob es vollständig und einsatzbereit war. Florentina mochte diese Routine, auch wenn der Krankentransportwagen (KTW) nicht zu ihren Lieblingsaufgaben gehörte. Es war nicht so herausfordernd wie ein Notfall, bei dem jede Sekunde zählte, aber die Arbeit lenkte sie ab und gab ihr eine Struktur, die sie dringend brauchte.

Während sie und Daniel das Fahrzeug durchgingen, stellte sie fest, dass er ein ruhiger und angenehmer Kollege war. Er wirkte vielleicht etwas zurückhaltend, aber freundlich und konzentriert bei der Arbeit. Sie hatten nicht oft zusammengearbeitet, aber es war schnell klar, dass er seine Aufgaben gewissenhaft erledigte. Das war etwas, das Florentina sehr schätzte.

Nachdem sie den Wagen durchgecheckt hatten und sicher waren, dass alles vorhanden war, machten sie sich auf den Weg zur Kaffeemaschine im Aufenthaltsraum. „Kaffee vor der Schicht ist Pflicht", scherzte Daniel, während er zwei Becher füllte.

„Ja, ohne den komme ich heute nicht durch", erwiderte Florentina und nahm den dampfenden Becher entgegen. Sie spürte die Wärme durch das Plastik und der Geruch des frischen Kaffees entspannte sie ein wenig. Während sie einen Schluck nahm und sich kurz gegen die Theke lehnte, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme hinter sich.

„Guten Morgen, Florentina."

Es war Phil. Seine Stimme war tief und warm, und sie konnte das leichte Lächeln in seinem Tonfall hören, noch bevor sie sich umdrehte. Er berührte sie leicht an der Schulter, eine Geste, die so selbstverständlich wirkte, dass sie fast den Atem anhielt. Die Berührung war flüchtig, aber sie ging ihr durch Mark und Bein. Sie hatte ihn nicht erwartet, schon gar nicht so früh am Morgen. Ein Teil von ihr war überrascht, wie sehr sie sich freute, ihn zu sehen.

„Phil", sagte sie und drehte sich zu ihm um. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. Er sah gut aus, wie immer. Ruhig, konzentriert und doch auf eine Art besorgt. Er schien sie genau zu mustern, als wollte er sich vergewissern, dass es ihr wirklich gut ging.

„Es freut mich, dich hier zu sehen", sagte er und in seinen Augen lag eine Wärme, die sie beinahe nervös machte. „Ich bin froh, dass es dir besser geht."

Florentina nickte, unfähig, sofort eine passende Antwort zu finden. Sie bemerkte, dass er an die Nacht dachte, in der er die Narben auf ihrem Bauch gesehen hatte. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, wie sehr es ihn beschäftigte. Was sie wohl alles durchgemacht hatte? Diese unausgesprochenen Fragen hingen förmlich in der Luft, aber Phil schwieg darüber. Stattdessen schien er einfach froh zu sein, sie gesund und lächelnd vor sich zu sehen.

„Danke", sagte sie schließlich leise und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee. „Mir geht es wirklich besser."

„Das ist gut zu hören", erwiderte Phil. „Aber übertreib es nicht. Denk dran, was ich dir gesagt habe - Ruhe ist wichtig."

Florentina schmunzelte leicht und sah auf den Boden. „Ich weiß. Ich pass auf mich auf." Doch noch bevor das Gespräch weitergehen konnte, warf Daniel einen Blick auf seine Uhr und räusperte sich.

„Wir sollten los, Florentina", sagte er freundlich, aber bestimmt. „Unsere erste Fahrt wartet."

Sie nickte, warf Phil noch einen letzten Blick zu und verabschiedete sich. „Bis später, Phil", sagte sie und ging mit Daniel zum Rettungswagen.

Die erste Fahrt des Tages war eine Routinefahrt - eine ältere Dame musste vom Krankenhaus zurück in ihr Pflegeheim gebracht werden. Florentina saß am Steuer und lenkte den KTW durch den morgendlichen Stadtverkehr. Die Straßen waren noch ruhig, und das monotone Summen des Motors wirkte fast beruhigend. Sie konnte ihren Kopf für eine Weile ausschalten und sich einfach auf das Fahren konzentrieren.

Als sie das Krankenhaus erreichten, wartete die Dame bereits auf sie. Sie war klein und zierlich, mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Florentina und Daniel halfen ihr vorsichtig in den Wagen und sicherten sie gut ab, bevor sie sich auf den Weg zum Pflegeheim machten. Während der Fahrt begann die ältere Frau zu plaudern, wie es viele Patienten taten, die sich freuten, Gesellschaft zu haben.

„Mein Sohn besucht mich regelmäßig", erzählte sie stolz. „Er ist so ein guter Junge. Und meine Tochter - sie lebt leider etwas weiter weg, aber sie ruft mich jeden Tag an. Ich bin so stolz auf meine Kinder."

Florentina lauschte ihren Geschichten und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Begeisterung und der Stolz der alten Frau waren ansteckend, und für einen Moment vergaß Florentina die Schwere, die sonst so oft auf ihr lastete. Es war schön, jemanden zu hören, der so glücklich und zufrieden mit seinem Leben war.

Als sie schließlich am Pflegeheim ankamen, halfen sie der Dame aus dem Wagen und brachten sie bis zu ihrer Wohnung. „Danke, danke euch beiden!", sagte sie, bevor sie ihnen zum Abschied fröhlich zuwinkte.

„Es ist immer schön, solche Fahrten zu haben", meinte Daniel, als sie wieder im Wagen saßen. „Da merkt man, wie wichtig unsere Arbeit ist."

Florentina nickte stumm. Es war gut, dass sie Menschen wie der alten Dame helfen konnte, doch manchmal fragte sie sich, ob sie nicht mehr tun könnte. Ob ihre Fähigkeiten nicht woanders dringender gebraucht wurden. Sie wusste, dass dieser Gedanke direkt aus ihrer Zeit im Krieg kam. Dort hatte sie nie die Wahl gehabt, ruhigere Aufgaben zu übernehmen. Aber hier, im zivilen Leben, musste sie lernen, dass auch die kleinen Dinge zählten. Menschen sicher zu transportieren, ihnen in schwierigen Momenten beizustehen - das war genauso wertvoll wie jede Rettung.

Der Tag ging in ähnlicher Manier weiter. Sie hatten insgesamt sechs KTW-Transporte zu bewältigen, und zwischen den Fahrten wechselten Florentina und Daniel sich beim Fahren ab. Die Arbeit lief reibungslos, doch während Florentina hinter dem Steuer saß oder im Wagen mit den Patienten sprach, schweiften ihre Gedanken immer wieder ab.

Und jedes Mal landeten sie bei Phil.

Was war es nur an ihm, das sie so faszinierte? Sie hatte schon oft darüber nachgedacht, aber es fiel ihr schwer, eine klare Antwort zu finden. Es war nicht nur seine Fürsorge oder die Art, wie er sie ansah - es war etwas Tieferes, etwas, das sie an sich selbst erinnerte. Vielleicht war es die Tatsache, dass auch er Narben trug, auch wenn sie nicht so sichtbar waren wie ihre eigenen. Vielleicht erkannte sie in ihm jemanden, der ebenso wie sie versuchte, mit der Vergangenheit klarzukommen.

Florentina seufzte leise, während sie den Wagen durch den dichten Stadtverkehr lenkte. Sie wusste nicht, wohin all diese Gedanken führen würden, aber sie konnte sie nicht einfach abstellen. Vielleicht war es an der Zeit, sich den Gefühlen zu stellen, die sie seit einiger Zeit unterdrückte - gegenüber Phil, gegenüber ihrer Vergangenheit und gegenüber sich selbst.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt