Ein neuer Tag, dieselbe Last

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Der Duft des Apfelkuchens hing immer noch leicht in der Luft, als Florentina ihn vorsichtig in den Kühlschrank stellte. Der restliche Tag verlief unspektakulär. Sie hatte gehofft, dass das Backen ihre Gedanken zerstreuen würde, doch die Leere und die Unsicherheit ließen sich nicht so leicht vertreiben. Immer wieder driftete sie in die Gedankenwelt ab, die sich immer wieder um den Krieg, die Narben und die allgegenwärtige Frage drehte, wie sie jemals wieder zu einem normalen Leben zurückfinden sollte.

Der Abend kam schneller, als sie es erwartet hatte, doch an Schlaf war nicht zu denken. Zu oft hatten die Albträume sie bereits in schlaflosen Nächten heimgesucht, und sie wusste, dass es auch diese Nacht nicht anders sein würde. Schließlich griff sie zu der kleinen Schachtel auf ihrem Nachttisch. Ihre Notmedikation. Vier Tabletten eines starken Schlafmittels, das sie seit einiger Zeit benutzte, um überhaupt schlafen zu können. Sie wusste, dass es keine Lösung war, aber es war momentan das Einzige, was ihr den nötigen Schlaf und die ersehnte Ruhe brachte.

Mit einem tiefen Seufzen nahm sie die Tabletten ein und legte sich ins Bett. Ihr Körper fühlte sich schwer an, als die Wirkung langsam einsetzte. Innerhalb einer Stunde, wie immer, begann sie, in einen tiefen, traumlosen Schlaf abzudriften. Der Krieg, die Schmerzen, die Narben, all das schien weit entfernt, als wäre es für den Moment eingefroren.

Am nächsten Morgen wurde Florentina von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, die durch die halbgeöffneten Vorhänge in ihr Zimmer fielen. Sie blinzelte verschlafen, die Müdigkeit noch schwer auf ihren Augenlidern, doch sie fühlte sich zumindest ausgeruht. Der kalte Boden unter ihren Füßen war ein unangenehmer Kontrast zur Wärme der Bettdecke, als sie aufstand und sich zum Fenster begab. Der Herbst hatte die Stadt fest im Griff, und die Bäume draußen vor dem Fenster ließen ihre braunen Blätter nach und nach zu Boden fallen. Es war eine stille Erinnerung daran, dass alles im Wandel war – auch sie, ob sie es wollte oder nicht.

Florentina streckte sich und ging ins Badezimmer. Sie betrachtete sich im Spiegel, wie sie es jeden Morgen tat, doch heute stach ihr Blick besonders auf die Narben, die sich über ihren Bauch und Oberschenkel zogen. Dunkle, grobe Linien, die fast wie eine Landkarte ihres Schmerzes wirkten. Jede Narbe erzählte ihre eigene Geschichte – eine Geschichte von Gewalt, von Verlust, von Überleben. Sie fuhr mit den Fingern über die rauen Kanten und seufzte leise. Diese Narben würden sie für immer begleiten, eine ständige Erinnerung daran, dass sie nicht mehr die gleiche Person war wie früher.

Nach einer Weile drehte sie sich vom Spiegel weg und begann, sich für den Tag fertig zu machen. Ihre Routine war einfach und schnell, fast mechanisch. Zähne putzen, Gesicht waschen, Haare zu einem strengen Zopf zusammenbinden. Frühstück ließ sie wie gewohnt aus. Der Gedanke an Essen widerte sie am Morgen regelrecht an, also verzichtete sie. Stattdessen zog sie sich ihre Uniform an, schlüpfte in ihre Stiefel und schnappte sich ihre Tasche, bevor sie das Haus verließ.

Die kühle Herbstluft begrüßte sie, als sie die Haustür hinter sich schloss. Die Sonne war inzwischen vollständig aufgegangen, doch ihre wärmenden Strahlen reichten nicht aus, um die Kälte aus der Luft zu vertreiben. Florentina zog ihren Mantel fester um sich, während sie zu ihrem Auto ging. Der Weg zur Wache würde nicht lang sein, doch in den letzten Tagen fühlte sich jeder Schritt, jede Fahrt, wie eine Reise in eine Welt an, die nicht mehr ihre war.

Als sie das Auto startete und langsam losfuhr, wanderten ihre Gedanken zu Franco. Er hatte heute frei, weshalb sie nicht wusste, mit wem sie ihren Dienst bestreiten würde. Ein leichtes Gefühl der Ungewissheit machte sich in ihr breit. Franco war wie ein Fels in der Brandung – immer ruhig, immer zuverlässig. Er war für sie fast wie ein Ersatzvater geworden, jemand, dem sie vertrauen konnte. Doch heute würde sie ohne ihn auskommen müssen.

Während sie die Straßen entlangfuhr, die mit den braunen Blättern der Bäume bedeckt waren, bemerkte sie, wie ihre Gedanken immer wieder zu Phil abschweiften. Ob er heute Dienst hatte? Sie hatte ihn seit der Nacht, als er sie nach Hause gebracht hatte, nicht mehr gesehen. Sein Bild, wie er in ihrer Wohnung stand, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie konnte seine Stimme immer noch hören, wie er ihr sagte, sie solle sich schonen. Die Fürsorge in seinen Augen hatte sie tief berührt, doch sie wusste nicht, was sie daraus machen sollte.

Ihre Gedanken waren verwirrend, durcheinander, und sie fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie ihn besser kennenlernen, wollte wissen, was hinter diesem ruhigen, besonnenen Mann steckte. Andererseits war da die Angst. Die Angst, jemanden in ihr Leben zu lassen, jemanden, der sie vielleicht verletzen konnte – sei es absichtlich oder unabsichtlich. Vertrauen fiel ihr schwer, und das lag nicht nur am Krieg, sondern auch an all den Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren gemacht hatte.

Sie seufzte und versuchte, ihre Gedanken wieder auf den heutigen Tag zu lenken. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, das sie momentan nicht kontrollieren konnte. Der Dienst auf der Wache würde ihre volle Aufmerksamkeit fordern, und das war vielleicht auch gut so.

Als sie schließlich an der Wache ankam und aus dem Auto stieg, spürte sie erneut die Kälte, die ihr ins Gesicht schnitt. Sie zog den Reißverschluss ihres Mantels noch ein Stück höher und machte sich auf den Weg ins Gebäude. Dort herrschte bereits das übliche morgendliche Treiben. Sanitäter und Notärzte gingen hastig durch die Gänge, bereiteten sich auf ihre Schichten vor oder besprachen die Einsätze der vergangenen Nacht.

Florentina suchte mit den Augen nach ihrem heutigen Partner, doch sie konnte niemanden entdecken, den sie kannte. Ein leichtes Gefühl der Nervosität stieg in ihr auf, doch sie schüttelte es ab. Sie würde schon sehen, mit wem sie heute arbeiten würde.

„Florentina!" Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und sah eine Kollegin auf sie zukommen, die sie nur flüchtig kannte. „Du bist heute mit Daniel im Team. Er ist schon draußen bei den Fahrzeugen."

Florentina nickte dankend und machte sich auf den Weg nach draußen. Daniel war neu in der Wache, erst seit ein paar Wochen im Dienst. Sie hatte bisher nur einmal mit ihm zusammengearbeitet, aber er schien ein guter Sanitäter zu sein. Ruhig, konzentriert, aber auch noch etwas unerfahren.

Als sie draußen ankam, sah sie ihn bereits am Rettungswagen stehen. Er war in ein Gespräch mit einem Mechaniker vertieft, der gerade die Ausrüstung überprüfte. Florentina trat zu ihnen und Daniel begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln.

„Guten Morgen, Florentina! Bereit für den Tag?"

„So bereit, wie man sein kann", antwortete sie mit einem leichten Schmunzeln. Auch wenn sie sich innerlich alles andere als bereit fühlte, wollte sie zumindest nach außen hin den Schein wahren.

„Gut, wir haben ein paar Routineeinsätze heute. Nichts allzu Spannendes, soweit ich weiß", erklärte Daniel und überprüfte noch einmal die Geräte im Wagen.

Florentina nickte, "Also haben wir KTW Dienst...", dachte sie sich und ging ihm zur Hand, während sie ihre Gedanken wieder in den Hintergrund drängte. Heute würde ein langer Tag werden, aber wenigstens konnte sie sich auf den Dienst konzentrieren – eine Flucht vor den Erinnerungen, die sie nachts nicht losließen.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt