10. Schattenwald

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Ich überstand die beiden nächsten Lateinstunden und die Extrastunde danach, Heilen. Danach fühlte ich mich so ausgelaugt, dass ich mich an diesem Abend nur ungern in irgendeiner Weise körperlich betätigen wollte. Sogar in der Nacht fiel es mir schwer mich auf die Seite zu drehen vor Überanstrengung und Müdigkeit.

Meine Zimmermitbewohnerinnen schliefen tief und fest, nur ich lag mit den Finger im Nacken verschränkt in meinem Bett und starrte die Decke an, so wie ich es immer tat, wenn ich nicht wirklich einschlafen konnte. Und das obwohl die Müdigkeit wie ein Gewicht auf mir lastete. Als ich kurz die Augen schloss, musste ich irgendwie an unsere heutige Stunde im Heilen zurückdenken.

Unser Lehrer Mr Fry hatte uns verletzte Kaninchen mitgebracht, von denen er behauptete sie im Wald gefunden zu haben, verletzt von Schatten, worauf sich die ganze Klasse vor Lachen gekrümmt hatte. Besonders Kevin bevor er unter Sauerstoffmangel wegen seinem erstickenden Lachanfall prustete: "Oh nein, mein Schatten ist hinter mir her! Ich hab das Gefühl, dass er mich verfolgt. Spürt seine Kälte!"

Mr Fry blieb jedoch ernst und schärfte uns noch einmal eindringlich ein, dass wir den Wald niemals allein betreten sollten. Aber auf dieses Verbot achtete niemand, da wir viel zu belustigt waren von der Tatsache, dass uns ein Schatten verfolgen könnte. Nur Kiki blickte besorgt drein und erklärte: "Ich habe mal ein Buch gelesen, in dem die Schatten tatsächlich lebendig geworden sind."

Schließlich widmeten wir uns immer noch kichernd den Kaninchen zu. Für das Heilen brauchte man wirklich viel Talent und vor allem Geduld. Man musste das Wasser wie einen Verband um die Verletzung legen und das Wasser in fließenden Bewegungen an der Haut beziehungsweise am Fell entlangstreichen lassen. Und das so lange wie es brauchte, dass der Kratzer verheilt war oder in meinem Fall bis ich die Hände nicht mehr länger oben halten konnte. Ein Extra-Training würde mir sicherlich gut tun...

Die Kanichen hatten alle an ihren zarten Beinen leichte Kratzer und Mr Fry fand sogar mehr verletzte Kaninchen, als wir Schüler in unserer Klasse waren. Mein Kaninchen hatte ein weiches, braunes Fell und lange Löffelohren. Es wirkte so veränstigt und ich glaubte, es wäre schon längst weggelaufen, wenn es denn könnte. Aber irgendetwas stimmte mit seiner Pfote nicht und als ich die Krallen näher untersuchte, merkte ich, dass die Krallen ausgefahren waren und die in der Mitte nach unten gebogen war.

Ich streckte meine Hände nach dem kleinen Wasserkrug aus und formte eine Kugel, woraufhin das Gefäß nun einen Riss schmückte. Wann würde ich endlich lernen, meinen Wasserkugeln die passende Größe zu verleihen? Naja, wenigstens brach es nicht zusammen.

Ich legte meine Hände auf die Pfote des Kaninchens und zog sie langsam zurück, um dem Wasser Platz zu machen. Und dies war die Position, in der ich praktisch die ganze Stunde lang verharren musste, so als ginge es in Mr. Frys Unterricht nicht um das Heilen, sondern um Ausdauer und Durchhaltevermögen. Das Kaninchen schnupperte, nachdem ich es geheilt hatte, noch kurz an meinen Fingern und hopste schließlich wieder in seine Heimat. Den Schattenwald. Ich hatte ihm noch kurz nachgesehen, etwas verwundert darüber, dass es mich doch so lieblich verabscheidet hatte, denn normalerweise hielten Tiere zu mir einen Sicherheitsabstand ein.

Nachdem ich meine Gedanken sortiert hatte lag ich noch immer mit geschlossenen Augen in meinem Bett, aber ich spürte nichts mehr, ein Zeichen, dass ich eingeschlafen war. Zu spät bemerkte ich, dass wir noch gar nicht unsere Zimmerschlüssel in das Schlüsselloch der Geheimtür gesteckt hatten. Das musste wohl bis morgen warten, denn heute Abend wurde das definitiv nichts mehr.

Ich erwachte aus meinem Tiefschlaf erst, als mich Cat an der Schulter rüttelte.

"Hey, wach auf. Selbst der Wecker hat dich nicht wach gekriegt, also ist das jetzt wohl meine Aufgabe gewesen", meinte Cat, die sich bereits umgezogen hatte, wie ich sofort bemerkte, als die langen Fransen ihres weiten, dunkelblauen Tops meinen Oberarm kitzelten.

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