Kapitel 31- Ausversehen

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Immer noch geschockt schlüpfte ich durch den Geheimgang zurück in unser 5er Zimmer, wo Cat schon ungeduldig auf ihrem Bett auf mich wartete. Sie warf ihr Buch von sich, als wäre es eine giftige Schlange und sprang auf mich zu. Die Umarmung blieb dieses Mal aus.
"Und? Was hast du im Übungsraum gemacht? Was ist passiert?"
Ich verkniff mir den Instinkt die Augen zu verdrehen. Klar war Cat meine Freundin und es lag ja nicht an ihr, dass ich gerade ein bisschen genervt war. Ich brauchte einfach mal Klarheit in meinem Kopf. Genau auf die Fragen, die Cat mir stellte wusste ich selbst keine Antwort und ich kochte fast vor Wut, wenn ich daran dachte, dass mir dieses Internat immer wieder neue Rätsel stellte und ich mit jedem dieser Rätsel ein neues Problem mit mir rumtragen musste. Außerdem hatte ich gerade einfach nicht die Kraft Cat zu antworten und ich hielt es für besser, wenn ich ihr die Frau im Übungsraum erst einmal verschwieg, um es ihr beim richtigen Zeitpunkt mitzuteilen. Immerhin wusste Cat ja schon, dass ich oben mit jemandem geredet hatte (unter vier Augen).
Ich hob meine Hand, um Cat zu deuten, dass ich über vieles nachdenken musste. Sie nickte verständnisvoll und legte sich wieder auf ihr Bett.
"Übrigens,...", sagte ich, damit Cat nicht ganz so weggetreten von meinem Schweigen war,"Bücher wirft man nicht einfach so in eine Ecke."
Cat sah auf und grinste.
"Jaja, Bücher muss man pflegsam behandeln. Die sind Gold wert." Mit einem Kichern hob sie das Buch ultravorsichtig aus und lümmelte sich unter ihrer Bettdecke in den weichen Kissen ein. Es war noch ziemlich kalt draußen, deswegen schlüpfte ich auch unter meine Bettdecke und machte es mir dort gemütlich. Vielleicht würde mir Cat ja ein Kissen aus ihrer Kissensammlung leihen. Ob Eckig oder rund, darüber konnte ich gar nicht mehr nachdenken.

Am nächsten Tag, einem Mittwoch, hatte ich in den ersten beiden Stunden Wassertraining und musste mich mit Frühstück beeilen, um noch rechtzeitig zum Wasserbecken zu gelangen. Da in der letzten Zeit niemand mehr angegriffen worden war, wurde der Unterricht nun wieder nach draußen verlegt. Cat war meiner Bitte gefolgt und mit den anderen schon vorausgegangen. Ich krallte mir einen Apfel vom Buffet und eilte nach oben um meine Tasche zu packen. Nebenbei steckte ich mir den Apfel zwischen die Zähne und suchte meine Schulsachen für den heutigen Tag zusammen. Ich drehte den Schlüssel im Schloss und biss ein paar Mal von meinem Apfel ab, während ich in meiner Tasche noch einmal kontrollierte, ob ich etwas vergessen hatte. Gut möglich in der Eile. Ich sah auf und entdeckte Christian. Seit wann hatte ich ihn das letzte Mal nicht gesehen?
Kurzerhand ließ ich die Hand mit dem Apfel sinken. Ich musste zweimal hinsehen, um mich zu vergewissern, dass mir mein Gehirn keinen Streich spielte. Aber er war es wirklich. Beinahe hätte ich den Apfel fallen gelassen, konnte ich jedoch rechtzeitig in einen Papierkorb transportieren, bevor meine Hand es sich anders überlegte.
"Christian, warte mal", rief ich und rannte auf ihn zu. Hoffentlich würde ich mich jetzt nicht noch mehr verspäten. Christian drehte sich verwirrt um und sah mich in dem fast leeren Saal. Es musste bstimmt gleich klingeln.
"Ich habe was vergessen", erklärte Christian und hob seine rechte Hand, in der er irgend so ein Kästchen hielt. Neues Rästel, neues Problem. Sag ich ja! Was war wohl darin?
"Ich muss gleich wieder los", fügte er hinzu.
"Ich auch", bestätigte ich meine Eile. "Wo warst du denn so lange? Und jetzt sag nicht bei diesen widerwärtigen Schattendingern!"
"Ok, dann sage ich es dir nicht", versprach Christian. Ich seufzte. Dass er gleich wieder wegmusste, ließ mein Herz zum absouluten Tiefpunkt gefrieren. Und dann auch noch zu den Schatten. Ich dachte, er hätte sich endlich von denen abgewandt. Tja, falsch gedacht.
"Aber wieso? Ich meine, wann werde ich dich denn wiedersehen?" Die Frage kam mir einfach über die Lippen. Ich hatte es eigentlich nicht laut aussprechen wollen. Eigentlich!
"Schon sehr bald", gab Christian zurück. Es folgte eine unangenehme Stille meinerseits. Betretenes Schweigen hatte sich über den Gang gelegt. Alle Schüler befanden sich in den Klassenräumen. Ganz langsam näherte sich Christian meinem Gesicht. Und ich beugte mich ein kleines Stück näher zu ihm herüber. Als würde ich von einem Magneten angezogen werden. Ich schloss meine Augen, wie beim letzten Mal. Ich hatte so lange darauf gewartet, dass wir uns richtig küssen würden. Insgeheim hatte ich sogar schon einen Traum und er...
Es klingelte zur Stunde, doch obwohl ich wusste, dass ich jetzt beim Unterricht sein sollte, ließ ich mich nicht beirren. Christians Gesicht schwebte kurz vor meinem. Ich streckte meinen Hals über meine Tasche, die seltsamerweise vor mir brav in meinen Händen baumelelte und nicht an der Seite. Ich spürte ein eigenartiges, merkwürdiges Kribbeln im Bauch. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem sich unsere Lippen hätten berühren müssen.
Ich öffnete die Augen. Christian stand verlegen vor mir uns starrte zur Seite. Ich folgte seinem Blick. Das durfte doch nicht war sein.
Vor uns stand Mrs Chatfield mit verschränkten Armen, den Blick auf die Uhr geheftet. Ihr Fuß tippelte ungeduldig auf den Boden. Ich wich von Christian zurück.
"Ab in die Klassen", befahl sie streng, zwinkerte mir im Vorbeigehen jedoch verschwörerisch zu. Ich bemerkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Christian neben mir runzelte nur die Stirn. Unglaublich, dass schon wieder etwas dazwischen gekommen war. Wie sollte das aus und beiden jemals was werden. Der magische Moment war immer da gewesenmund dann platzte er, wie eine riesige Seifenblase. Unfassbar!
Christian wandte sich an mich.
"Mach dir nichts draus", meinte er ruhig. Er gab mir einen raschen Kuss auf die Wange, drehte sich um und ging den Gang hinunter in Richtung Treppe. Am Ende des Ganges löste er sich plötzlich in Luft auf.

"Du kommst zu spät", warnte mich Mrs Bluelight, als ich mit einem immer noch erröteten Gesicht und einem hängendem Kopf beim Wasserbecken eintraf. Jaja, als ob ich das nicht selber wüsste.
"Tut mir leid, ich wurde aufgehalten", behauptete ich, weil es das erste war, was mir einfiel.
"Das ist keine Entschuldigung, Madline. Von wem wurdest du aufgehalten?", bohrte die Lehrerin weiter nach. Oh Mist, was sollte ich jetzt antworten. Wäre es korrekt, wenn ich der Schulleiterin die Schuld gab? Sie hatte mich ja eigentlich nicht direkt aufgehalten. Aber was spielte das schon noch für eine Rolle?
"Ähm... Mrs Chatfield hat... mir mir geredet", erzählte ich. Mrs Bluelight nickte nur und ich war froh, dass sie nicht weiter nachgefragt hatte.
"Gut, dann stell dich bitte zu den anderen", kommandierte sie. Ich ließ meine Tasche im Extraschuppen, wie Kiki ihn getauft hatte, fallen und begab mich zu meinen Freundinnen.
"Nachher erzählst du mir alles", lachte Cat und Kiki stieg mit ein. Verwundert sah ich sie an. Woher wusste sie denn das etwas interessantes passiert war? Cat deutete meinen Blick richtig. Nachdem Mrs Bluelight ihr einen warnenden Blick zu geworfen hatte, weil Kiki und Cat sich immer noch nicht eingekriegt hatten, wisperte Kiki zurück: "Du solltest mal dein Gesicht verbergen. Jede Tomate wird bei deinem Anblick auf die Gesichtsfarbe neidisch. Es ist bestimmt wegen Christian."
Cat prustete los und hielt sich die Hand vor den Mund, um die Geräusche zu dämpfen. Mürrisch starrte ich die beiden an.
"Haha, sehr witzig. Ich lach mich tot." Damit fingen die beiden nur noch mehr an zu lachen und Coral schien daneben zu grinsen. Irgendwie konnte nun auch ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich blis die Backen auf, wie ein Frosch und stieß meine Luft in einem riesigen Lacher aus. Mrs Bluelight sah wieder zu uns.
"Was gibt es denn da wieder zu lachen, Madline?"
"Fragen Sie nicht mich das! Ich weiß es doch auch nicht. Fragen Sie die Verrückten neben mir!" Und obwohl ich mich gar nicht hatte lustig anhören wollen, prusteten jetzt auch ein paar andere los und die Stunde wurde zu einer großen Lachparty. Mrs Bluelight fand das zuerst gar nicht lustig, lächelte dann aber auch bald.
"Lasst und nun mit dem Unterricht fortfahren. Ich war gerade dabei, euch zu zeigen, wie ihr eine Eissäule macht. Haltet die Hände parallel vor euch in der Luft!"
Das Kichern und Lachen war noch nicht ganz verstummt, aber alle gingen der Aufforderung von Mrs Bluelight nach.
"Nun stellt euch eine Schnellflocke oder einen Wassertropfen vor, die sich ganz schnell vermehren. Wenn es euch hilft, dann schließt die Augen!"
Neben mir sah ich wie Cat langsam die Augen schloss, also machte ich es ihr nach. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper. In meinen Fußspitzen sammelte sich Energie an, die bis hinauf, durch meine Beine und Arme, aus meinen Fingerspitzen rausschoss. Ich öffnete die Augen.
"Wie ihr Wasser vereisen könnt, habt ihr ja bereits gelernt. Tut dies und haltet die Säule vor euch, damit ich sie begutachten kann."
Vor mir schwebte eine dicke Säule vor mir, so groß, dass ich die Enden knapp mit meinen Händen umschließen konnte, ungefähr einen halben Meter lang. Mrs Bluelight lobte mich dafür und ging weiter.
"So, und jetzt, nehmt eure Hände vorsichtig von den Seiten weg, damit die Kugel schwebt. Sucht euch eine Hand aus, mit der es am besten geht und macht eine schnelle Bewegung vom Körper weg nach vorn."
Ich schloss wieder die Augen und tat wie geheißen. Eine rasche Bewegung. Beim ersten Mal passierte noch nichts, beim zweiten Mal klappte es jedoch. Himmel, ich wurde ja immer besser in Wassertraining.
Von der Eissäule hatte sich eine dünne, spiegelblanke Scheibe abgelöst und flog nach vorne. Je schneller die Bewegung, desto schneller, flog die Eisscheibe. Ich probierte es noch ein paar Mal aus. Beim letzten Mal spürte ich eine Hitze in meinem rechten Fuß. Ich war zu beschäftigt, um nach unten zu sehen. Eine Eisscheibe schnellte vor mir weg. Die Hitze in meinem Fuß kroch mein Bein hinauf. Hitze beim Wasserbändigen? Das war doch ungewöhnlich. Ging das überhaupt? Ich blickte fragend nach unten und erschrak.
"Oh nein, Mrs Bluelight!", rief ich. Meine Gedanken rasten. Der Lehrerin sah mich über ihre Schulter hinweg an."Hier brennt es."

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