Kiki und ich waren nach unserer Flucht mit dröhnenden Köpfen aufgewacht, ohne genau zu wissen, wie lange wir schon bewusstlos unter dem riesigen Baum gelegen hatten. Die Sonne war weitergewandert und hatte die Wolken über uns in ein orangefarbenes Licht getaucht, sodass uns schlagartig bewusst wurde, dass wir uns schnell auf den Rückweg machen sollten. Schnell bedeutete in diesem Falle nicht wirklich schnell, denn die Schmerzen, die der Magierstein durch den Transport verursachte, hatten ihre Nachwirkungen, wozu unter anderem auch Müdigkeit gehörte.
Kiki und ich sprachen den ganzen Weg über kein einziges Wort miteinander, was nicht daran lang, dass wir es nicht wollten. Wahrscheinlich waren es die starken Kopfschmerzen, die uns zur Ruhe zwangen. Erst als Kiki ihren Vater anrief, vernahm ich wieder ihre glockenhelle Stimme und dennoch hörte sie sich in diesem Moment unglaublich fremd an. Als hätte ich sie nicht seit wenigen Stunden, sondern schon seit einigen Jahren nicht mehr gehört.
Marcus brauchte auch nicht wirklich lange für die Fahrt zu unserem Standort. Wahrscheinlich hatte er irgendwo in der Umgebung Besorgungen erledigt. Allerdings musterte er uns ziemlich besorgt, als Kiki und ich gähnend die Autotüren aufrissen.
"Wo seid ihr so lange gewesen? Ich habe euch diesen Ausflug erlaubt, weil ich annahm, ihr wärt in ein paar Stunden wieder zurück und jetzt sind ganze neun Stunden vergangen, in denen ich nur eine einzige SMS von meiner Tochter bekommen habe", begann er und holte erst tief Luft, als müsse er unsere späte Rückkehr erst einmal verdauen. Kiki schienen seine anklagenden Worte wenig zu interessieren. Schweigend starrte sie aus dem Fenster und sank in das weiche Polster des Rücksitzes.
Marcus warf einen skeptischen Blick auf die Rückbank und seufzte, als er uns erblickte. Wir mussten wirklich fertig ausgesehen haben, denn auf einmal wurden seine Worte sanft.
"Ihr wisst doch, dass ich nicht sauer auf euch bin. Ich bin einfach nur besorgt, weil ihr euch so lange nicht gemeldet habt. Die alleinige Verantwortung für ein Kind zu haben, ist nicht leicht, erst recht nicht für zwei und deshalb versuche ich natürlich, meinen Pflichten als Sorgeberechtigter so gut es geht nach zu gehen und zu verhindern, dass mir noch jemand genommen wird, den ich über alles liebe."
Kikis Blick ließ vom Fenster ab und wanderte zu ihrem Vater, der gerade den Motor startete. An ihrer Stelle hätte ich darauf geantwortet, um ihm irgendwie zu erklären, dass es nicht seine Schuld war, dass Kikis Mutter nicht mehr unter uns weilte. Ich hätte ihm beruhigende Worte schenken können, um ihn irgendwie von ihrem Tod abzulenken. Kiki jedoch blieb still, selbst in diesem einen Moment, in dem ihre Worte so viel ausmachen konnten. Und ich verstand nicht, wie sie ihn in dem Glauben lassen konnte, dass es ihr vollkommen egal war.Zurück in der Villa der Cornways ließen wir uns vollkommen erschöpft auf das weinrote Sofa fallen, während unsere Füße automatisch aufzuatmen schienen, weil sie nicht mehr ständiger Bewegung ausgesetzt waren. Kikis Vater hatte sich nach unserer Ankunft in die Küche zurückgezogen, um ein halbwegs essbares Abendessen auf den Tisch zu bringen, denn wie ich wusste, blieb neben seinem Job als Fotograf nie wirklich Zeit zum Kochen, weshalb meistens ein Bestelldienst die Sache richten sollte. Seine Kochkünste waren daher ein wenig eingerostet und wahrscheinlich war dies auch der Grund, warum wir ihn mehrere Male verzweifelt in der Küche fluchen hörten.
Dabei stellte sich mir die Frage, wozu man eine so geräumige Küche benötigte, wenn man sie fast nie benutzte.Kikis Augen waren geschlossen und ich vernahm deutlich ihren gleichmäßigen Atem, der mich vermuten ließ, dass sie eventuell eingeschlafen sein könnte. Mein Blick wanderte im Wohnzimmer umher, fiel auf den weichen Ohrensessel und die einladenden Fenster, an denen die Dunkelheit der herannahenden Nacht beinahe zu lecken schien und zuletzt auf die hell gestrichenen Wände mit allerhand eingerahmten Fotos der Familie Cornway. Kikis Mutter lächelte mir von fast jedem Foto entgegen und es überraschte mich, dass es Kiki und ihren Vater kein bisschen schmerzte, sie immer vor Augen zu haben ohne Tränen zu vergießen. Ich könnte es nicht ertragen, jemanden lächeln zu sehen, den ich vor Jahren hatte sterben sehen.
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School of Elements
Fantasy~ Zwei Bände in einem Buch ~ ◆ School of Elements I - Ruf der Elemente ◆ School of Elements II - Nacht der Elemente ◆ School of Elements III - ? Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, jemand anderes zu sein. Ein komplett anderes Leben zu leben, a...