Kapitel 35- Elterngeheimnis

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Die Osterferien standen nun nur noch kurz bevor. Die Frühblüher reckten langsam ihre Hälse der wärmenden Sonne entgegen. Und der Tau im Morgengrauen glitzerte, als lägen auf der Wiese Abertausende von Perlen. Am Samstag, dem letzten Wochenende vor den Ferien, hatte mich mein Wecker zu früh geweckt, weil ich vergessen hatte ihn von den Schulaufstehzeiten zurückzustellen. Ich drückte irgendeinen Knopf und der Wecker verstummte plötzlich. Ich gähnte laut, weil ich natürlich noch müde war und rieb mir die Augen. Sie waren wir zugeklebt. Allerdings wusste ich, wenn ich einmal aufwachte, dann konnte ich auch nicht wieder einschlafen. Cat daneben reckelte sich und drehte sich auf die Seite. Na wenigstens hatte der Wecker leise geklingelt. Coral schnaubte von ihrem Bett, aber auch sie rührte sich sonst nicht weiter und die anderen beiden schliefen wie Steine. Ich drückte die Augenlider gequält auseinander und hätte mich hinterher gedanklich tadeln können. Ich lief zu meiner Fensterbank und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Knie eng umschlungen, schnappte ich mir die Decke, die ich in der Ecke platziert hatte und mummelte mich ein. Leider konnte man nicht an alles denken, vielleicht mal an ein Kissen. Doch sonst fühlte ich mich richtig geborgen. Die Elemava Academy war ja auch mein zweites Zuhause, eigentlich sogar mein erstes. Und außerdem war die Schule quasi nach mir benannt.
Ich kuschelte mich noch weiter ein und ließ meinen Blick über den Tau schweifen. Die Morgensonne warf die ersten Strahlen aus und die Schatten der Bäume schienen das Licht förmlich verdrängen zu wollen. Es sah wunderschön aus. Ich packte meine Kamera ein, die ich von Dad zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, zog mir eine dünne Jacke über und rannte barfuß die Treppen herunter, hinaus auf den Hof. Die Kieselsteinchen in der Einfahrt, dei der der Bus gewöhnlich seine Runden fuhr, störten mich kein bisschen. Sie picksten ein wenig, denoch hielt mich das nicht auf. Es sah fast peinlich aus, so wie ich vor Freude lachend über den Hof auf die Wiese rannte. Als renne dort ein vierjähriges Kind, dass noch die draußen war, dass noch nie Freiheit gespürt hatte.
Als ich die Wiese erreichte, blieb ich zögernd stehen. Mein Blick glitt hinab zu meinen Füßen. Fast vernahm ich das ungute Gefühl, dass sie wieder in Feuer steckten, doch das Gefühl verschwand sofort. Der nasse Tau unter meinen Füßen linderte den Schmerz der Kieselsteinchen und die Hitze wich von mir. Ich rannte weiter und ließ mich irgendwann mitten ins Gras fallen. Der Tau benetzte meine Haut. Mein Kopf lag weich auf der Kapuze. Ich schloss für einen Moment die Augen und genoss die Geräusche der Natur. Neben mir im Gras raschelte es leise, Vögel zwitscherten um die Wette und der leichte Wind fuhr durch die knorrigen Äste. Ich atmete tief ein. So also fühlte sich frei sein an. Die Kamera fest an mich gedrückt, verweilte ich noch ein wenig in dieser Position, bis ich aufstand und ein paar Schnappschüsse machte. Die Sonne zeigte sich heute von ihrer besten Seite und das musste ich einfach feixend ausnutzen.

"Hast du schon deine Eltern wegen den Ferien gefragt?", wollte Cat wissen und schaufelte sich einen Löffel Müsli in den Mund. Ihr Lieblingsmüsli mit den kleinen Schokostückchen. Sie würgte es hinunter, als ginge es um den Wer-isst-sein-Müsli-am-schnellsten-Wettbewerb. Ich seufzte und stocherte mit meinem Löffel in dem Obstkompott herum, das ich mir geholt hatte. Sofort schwand das wohle Gefühl, welches sich vorhin noch so deutlich in meiner Magengegend ausgebreitet hatte. Ob meine Eltern wieder Nein zu den gemeinsamen Ferien sagen würden. Wie immer würde ich sie anrufen, auch wenn ich ihre Antwort bereits kannte.
"Ähm nein", antwortete ich wahrheitsgemäß und wich Cats Blick aus. Sie stöhnte vielsagend.
"Du denkst bestimmt, dass sie wieder nein sagen. Wenn du möchtest, kannst du mit zu mir kommen. Ich kann Hilfe bei den beisen echt gebrauchen. Wenn mein Vater am Kuchenwochenende dann kommt, wird er meiner Mutter sicher wieder auf den Kecks gehen und dann entfernen sie sich immer mehr voneinander. Nur wegen ihrer schlechten Laune. Bei denen läuft es gerade irgendwie nicht so gut, aber das kriege ich schon hin", winkte Cat ab, bevor sich noch irgendjemand Sorgen um sie machte. Am liebsten hätte ich ihr einen Arm um die Schulter gelegt, doch ich saß ihr leider gegenüber und an diesen runden Tischen würde mein Arm nicht zu ihr reichen.
"Welchen Kecks? Butterkecks oder Schokokecks", scherzte Kiki und zwinkerte uns zu.
Ich lächelte, nicht nur wegen Kikis Scherz, sondern auch wegen Cats Angebots. Ja, ein bisschen Ablenkung könnte mir sicher gut tun. Doch dann erinnerte ich mich an die schlechten Launen, die ich nach den Anrufen meiner Eltern hatte oder wenn ich wusste, dass ich nicht würde kommen können. Ich wollte Cat nicht ihre Ferien vermiesen, wegen schlechten Launen, wie sie eben gesagt hatte. Ich würde sie nur runterziehen und sie unnötig anmotzen, so nach dem Motto Du bist Schuld daran, dass meine Eltern ständig absagen. Wenn ich sauer war, konnte ich ganz schön ausflippen und das wollte ich Cat nicht auch noch antun.
"Nein, nein, schon gut", beruhigte ich sie deswegen. "Bestimmt können meine Eltern dieses Mal nicht anders, als meine Bitte anzunehmen", log ich und biss mir auf die Unterlippe. Die beste Freundin anzulügen war voll daneben. Doch mir fiel ein, dass ich das ja bereits tat. Ich verheimlichte ich, dass ich der Avatar war und verheimlichen war fast noch schlimmer als jemanden anzulügen. Ich bekam eine leichte Gänsehaut. Das Wort Avatar hörte sich langsam immer vertrauter an.

Wenig später saß ich wieder oben auf der Fensterbank, das Telefon ans Ohr haltend und versuchte die Laute neben mir auszublenden.
"Was? Ich versteh dich nicht, Mum", brüllte ich in den Hörer, während neben mir Kissen durch den Raum flogen. Eins landete sogar vor meinen Füßen. Im Zimmer lagen schon eine Menge Federn herum. Alice konnte ein Niesen nicht unterdrücken und duckte sich unter den fliegenden Kissen hinweg auf die Zimmertür zu. Ihre pinkfarbene Chanel-Handtasche hatte sie unter den Arm geklemmt. Vorhin wurde in diesem Raum noch leise gelesen und Alice wühlte in ihrem Schrank herum und fragte andauernd, ob sie die Chanel-Handtasche oder lieber die von Loui V. Nehmen sollte. Zumindest stand das auf der grünen Designerhandtasche drauf. Loui Viton oder so ähnlich. Nun herrschte hier wildes Durcheinander in einer lauten Kissenschlacht.
"Das ist mein Kissen", rief Cat lauthals aus, bevor sie ein Kissen ins Gesicht geschleudert bekam.
"Na und?", kam es von der grinsenden Coral.
"Seid leise!" Diese Aufforderung schrie ich so laut ich konnte. "Wie bitte, Mum?"
"Geht nicht", kicherte Kiki und setzte den Fuß auf die Kante ihres Bettes. Erschrocken sahen wir anderen zu, wie sie vom Bett fiel. Einige Sekunden vergingen bis sie die Kissen, die sie aufgefangen hatten in die Luft schleuderte. Eins erwischte Coral, sodass sie ungewollt von den Füßen gerissen wurde und weich im Bett landete. Ich rollte mit den Augen. Ich musste hier ein ernstes Gespräch führen!
Alice stahl sich aus dem Zimmer und knallte die Zimmertür hinter sich zu, sodass der Fernseher, dem nachts der Stecker entnommen wurde (wir durften nach um Acht nicht mehr gucken, außer an Wochenenden) bedrohlich wackelte und hin und her schwankte.
"Ich sagte, wir... keine Zeit...", getsnad Mum. Ihre Worte verschollen im Gelächter meiner Freundinnen, doch ihre Antwort war wie erwartet. Ich würde wiedermal nicht kommen können.
"Dad meint ihr habt euch nicht getrennt, aber irgendwie glaube ich ihm nicht. Ist das der Grund warum ich nie kommen kann?", fragte ich seufzend und lehnte meinen Kopf an die Fensterscheibe. Gleich zum Punkt zu kommen ersparte mir die Besorgnisanfälle meiner Mutter.
"Nein,... du darauf?", vernahm ich Mums Stimme am anderen Ende der Leitung. Wie ich darauf kam? Tja, wie konnte ein Kind auch schon darauf kommen, wenn es immer nur ein Elternteil zu Gesicht bekam. Misstrauisch zupfte ich mir eine Feder aus den Haaren. Das sie es leugnete, hätte ich mir denken können. Ich wollte gerade auflegen, weil ich mir keine Ausreden anhören mochte, aber in diesem Moment ertönte ein hustendes Geräusch aus dem kleinen Handy.
"Mum? Geht's dir gut?" Hinter mir evrstummte das Gekicher, als hätte jemand den Ton abgestellt. Nervös wartete ich auf die Antwort, die jedoch erst nach langem Husten zu mir durchdrang.
"Alles bestens. Ähm... hör zu, ich muss auflegen. Wir schicken dir einen Brief mit einem Foto. Wir möchten nicht, dass du dir Sorgen machst. Uns geht es gut, wirklich. Das Foto ist der Beweis." Und mit diesen Worten legte sie auf. Verwundert starrte ich das Tastenhandy an. Meine Erfahrungen mit dem Wörtchen wirklich lauteten: Eher nicht, auf keinen Fall. Wirklich sendete mir ein Signal mit der Nachricht Lüge. Mich durchzuckte das Gefühl, dass Mum und Dad etwas vor mir verborgen hielten, nur wusste ich nicht was. Also blieb mir nichts anderes übrig als auf den Brief zu warten.

Sry, dass dieses Kapitel etwas unspektakulär ausgefallen ist, aber ich habe gar nicht gemerkt, dass das was noch kommen sollte in ein ganzes Kapitel reinpasst. Demnächst wird es wieder spannender. Kapitel 38 kommt aus diesem Grund voraussichtlich am Wochenende :) 5 K Reads schon und ich bin noch immer sprachlos. Vielen Dank ^^
Lg EmFantasybook

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