26. Seelensplitter

923 48 32
                                    

Grace

Eine Seelenspende? Das war doch verrückt! Ich hatte mit so ziemlich jedem Gefallen gerechnet, aber ganz sicher nicht mit diesem. Einen Teil seiner Seele zu spenden... das war definitiv nichts, dass man so einfach auf die leichte Schulter nehmen sollte. Die eigene Seele an den Körper eines anderen zu binden, bedeutete zum einen, das Risiko einzugehen, bestimmte Geisterfähigkeiten zu verlieren und zum anderen, eine enge Verbindung mit dieser Person zu schaffen. Aber ich kannte diesen Christian überhaupt nicht. Und die Tatsache, dass unsere Seelen miteinander verbunden wären, gefiel mir noch weniger. Er könnte jederzeit spüren, wo ich mich aufhielt oder in meinem Gedanken herumschleichen, wenn ich nicht aufpasste und ich war nicht bereit ein solches Risiko einzugehen.

"Die Antwort lautet Nein", sagte ich also an Kikis Freundin gewandt, die mich sofort mit schockierten Blicken bombardierte. "Wenn ich ihm einen Teil meiner Seele spende, wird sich das eventuell negativ auf meinen menschlichen Körper auswirken und vielleicht sogar auch auf die Gestalt meiner Geistererscheinung. Ich würde dir gern helfen, ihn zurückzuholen, aber es geht nicht. Zumal ich euch noch nicht einmal so gut kenne, dass ich behaupten würde, ich könnte euch vertrauen. Ich weiß ja noch nicht einmal deinen Namen." Als ich das Mädchen neben Kiki anstarrte, zuckte diese beinahe unmerklich zusammen, als hätte ich sie mit meinem letzten Satz in irgendeiner Weise aus dem Konzept gebracht.

"Ich verstehe deine Bedenken", erwiderte sie, ohne auf die Aussage von eben einzugehen. "Aber du bist meine letzte Chance ihn zu retten! Ich habe nicht ein halbes Jahr damit verbracht, mir alle möglichen teils zum Scheitern verurteilten Pläne auszudenken, um ihn endlich aus der Zwinschenwelt befreien zu können. Ich habe nicht mal jetzt aufgegeben, obwohl die Zeit so gut wie abgelaufen ist. Ich kann ihn nicht dort zurücklassen. Du solltest wissen, dass er mir damals das Leben gerettet und dafür sein eigenes auf's Spiel gesetzt hat. Ich bin ihm diese eine Sache schuldig und ich habe ihm mein Wort gegeben, dass ich eine Lösung finden werde. Und hier steht sie und weigert sich mir zu helfen, während er mit jeder weiteren Sekunde dem sicheren Tod entgegenschreitet. Wenn du die Wahl hast, ein Leben zu retten, auch wenn es bedeutet, deine eigenen Bedürfnisse fallen zu lassen... würdest du wirklich so entscheiden?" In ihren Augen lag eine Verzweiflung, wie ich sie bei niemandem zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Ihre Lippen bebten, als halte sie ihre Wut nur aus der Befürchtung zurück, ich würde bei meinen Worten bleiben.

"Beruhige dich! Du kannst ihr nicht unterstellen, dass es egoistisch ist, das eigene Leben über ein anderes zu stellen. Leben zu dürfen, ist ein Geschenk, das man nur einmal entgegen nehmen kann. Wenn eine von Grace lebenswichtigen Geisterfähigkeiten bei der Seelenspende verloren geht, bist du diejenige die es zu verantworten hat, wenn ihr deswegen etwas Schlimmes zustoßen sollte", erinnerte sie Kiki zaghaft und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter.

"Ich weiß", antwortete ihre Freundin mit zusammengespressten Lippen und beugte sich über Christians leblosen Körper. "Mir fällt es nur schwer, eine solch gravierende Entscheidung zu akzeptieren", gestand sie seufzend.

Sie so niedergeschlagen zu sehen, zerbrach mir fast das Herz, aber ich durfte das nicht tun. Schon einen Teil meiner Seele zu spenden, konnte verherende Folgen haben. Das versuchte ich mir jedenfalls immer wieder einzureden. Aber eine innere Stimme in meinem Kopf erinnerte mich immer wieder daran, dass die Seelenbindung keine verherenden Folge haben musste. Meine Chance zu überleben lag ungefähr bei 50 Prozent. Es stand außer Frage, dass mir nach der Spende irgendeine Fähigkeit fehlen würde, aber die Frage lautete, ob es eine notwendige wäre...

Dieser Christian würde auf jeden Fall sterben, wenn ich ihm nicht half, aber für meinen Tod gab es keine Garantie. Und dies war der Zeitpunkt, an dem ich begann, die Situation aus einem vollkommen anderen Blickwinkel zu betrachten.

School of Elements Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt