Kapitel 26- Drews Kraft

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Im nächsten Moment schubste ich Christian aus dem Zimmer und schloss hinter uns die Tür ab. So schnell konnte er gar nicht reagieren, als ich auf dem Weg zur Treppe war. Verdattert ließ ich ihn stehen, dann folgte er mir.
"Hey, warte", rief er hinter mir. Er durfte mich jetzt nicht einholen. Zum Glück setzte er keine Bändigertricks gegen mich ein. Unten stieß ich die große Tür auf und rannte über die Wiese. Hier und da warf ich ein paar Blicke zur Seite, um nach Coral Ausschau zu halten. Blöd war nur, dass ich irgendwann Seitenstechen bekam und Christian langsam aufholte. Ob der irgendeinen Trick kannte?
Ich beschleunigte meine Schritte, doch vor mir verschwamm langsam alles. Oh Beine, lasst mich jetzt nicht im Stich! Ich rannte weiter, wurde jedoch immer langsamer. Als Christian mich vor dem Schattenwald fast eingeholt hatte, musste ich einsehen, dass ich ihn nicht mehr abhängen würde. Ich sank in mich zusammen und spürte das Gras unter mir. Es war noch von dichtem Tau bedeckt, obwohl es schon später Nachmittag war. Wie ein Häufchen Elend lag ich im Gras und hörte das Rascheln unter Christians sich nähernden Schuhen. Er beugte sich über mich und murmelte etwas unverständliches. Ich vertand ihn nicht, auch nicht als er seine Frage wiederholte. Ich richtete mich ein wenig auf. Mein Mund fühlte sich so trocken an. Christian kniete neben mir.
"Ist alles in Ordnung?", fragte er und in seiner Stimme lag ein Hauch von Besorgnis. Ich nickte.
"Mir ist nur etwas schwindelig und in meinem Kopf dreht sich alles", erzählte ich und Christian streckte mir seine Hand hin. Ich ergriff sie. Etwas wackelig stand ich auf den Beinen und wäre fast nocheinmal hingefallen, wenn Christian mich nicht rechtzeitig am Arm gepackt hätte.
"Du bist einfach aus dem Zimmer gerannt. Das Buch gehört dir nicht. Ich möchte es wiederhaben", verlangte Christian vorwurfsvoll.
"Ja, ja", drängte ich und rollte mit den Augen. "Wenn wir Coral gefunden haben, kann ich darüber nachdenken." Ich kehrte Christian den Rücken zu. Ja, ich würde darüber nachdenken und bei meiner Antwort eher zu Nein tendieren. Mich nervte es wie schnell Christian seinen Charakter änderte. Kurzfristig war er hilfsbereit und danach konzentrierte er sich nur auf sich und sein Vorhaben.
Ich bändigte mir aus dem Tau eine Wasserkugel und wusch mir darin die Hände, die mit Gras und Dreck beschmiert worden waren. Danach zerplatzte die Kugel aus Wasser einfach.
"Mads, gib mir doch das Buch! Für dich hat es keinen Wert. Für mich schon", entgegnete Christian hartneckig.
"Vielleicht", gab ich zurück. "Ich kann besser nachdenken, wenn ich weiß, dass meine Freundin nicht in Gefahr ist." Empört ging ich weiter. Hinter mir vernahm ich Christians Seufzen. Kurze Zeit später gingen wir am Waldrand des Schattenwaldes entlang.
"Das Buch muss dir ganz schön wichtig sein", vermutete ich und hätte mir für diesen Satz am liebsten auf die Zunge gebissen. Es klang ja so, als würde ich denken, dass Christian an dem Buch hing, so wie an keinem anderen.
"Nun ja, es gibt auch andere Sachen oder Personen, die mir viel bedeuten", erklärte er und warf mir einen Seitenblick zu, den ich nicht erwiderte. Wenn er mich tatsächlich mochte, würde er mich nicht zu etwas drängen was ich nicht wollte, wie ihm zum Beispiel ein Buch zu geben, dass ich noch behalten mochte.
"Du meinst bestimmt deine Eltern", sagte ich um ihn in dem Glauben zu lassen, dass ich nichts ahnte. Ich stapfte durch das hohe Gras, das hier am Waldrand sehr hoch wuchs. Christian schwieg, als ob er überlegte mir zu antworten. Wir liefen nebeneinanderher.
"Ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich zerbrochen bin. Und das nur wegen meinen Eltern", erklärte er und ich spürte einen Stich in meinem Herzen. Er hatte Recht. Ich sollte ihn nicht bedauern, wegen etwas, dass sich nicht ändern ließ.
"Irgendwann kommt man drüber weg eine geliebte Person verloren zu haben", glaubte ich und zuckte mit den Schultern. Christian fuhr herum.
"Nein, du irrst dich. Ich habe nicht eine geliebte Person verloren, sondern zwei. Ich habe sie beide geliebt. Tag für Tag denke ich an den Tag zurück, an dem ich sie verloren habe. Ich will mich an der Person rächen, die ihnen das angetan hat. Ich weiß wer es war. Aber ich kann mich nicht rächen. Ich möchte es, aber ich kann es nicht. Du weißt nicht, wie das ist, wenn man ganz alleine ist." Ich schluckte schwer. Jetzt irrte er sich.
"Du bist nicht allein. Du hast deine Freunde. Wir sind immer für dich da. Außerdem habe ich meine Großmutter auch verloren. Christian, ich bin darüber weggekommen, über ihren Tod, weil ich wusste, dass sie immer noch bei mir ist", sagte ich leise. Ich hoffte, Christian würde wissen, was ich damit meinte. Wir kämpften uns durch das kniehohe, dichte Gras. Plötzlich zuckte Christian neben mir zusammen.
"Ich habe einen Schrei gehört", klärte er mich auf. Hoffnung durchströmte mich.
"Coral?", wollte ich wissen. Christian zögerte und nickte. Wir rannten über das Gras hinweg und waren schon außerhalb des Schulgeländes. Die Schreie wurden lauter, je näher wir kamen. Christian bog in den Wald ein und ich folgte ihm ächzend und keuchend. Ich hatte heute schon ein Extratraining hinter mir. Ich verlangsamte meine Schritte, verlor Christian aber nicht aus den Augen.
"Da vorne ist sie", rief er mir zu und ich trampelte hinter ihm her, wie ein Elefant nach einem Marathon. Heute hatte ich eindeutig zu viel Sport getrieben und die Strecke musste ich ja auch wieder zurück. Bitte nicht im Rennen. Die Eins im Ausdauerlauf schaffte ich auch immer nur ganz knapp. Dann stolperte ich auf eine Lichtung und entdeckte Coral. Auch wenn sich dies komisch anhörte, musste ich mir eingestehen, dass es genau das war, wonach es aussah. Eine schwarze Hand, die aus dem Loch eines Baumes herausragte, hielt Coral fest umklammert und zerquetschte sie beinahe. Sie schrie laut auf.
"Was ist das?", kreischte ich, als wäre nicht Coral von einem Baum gepackt worden.
"Der Schatten hat Besitz von einem Baum angnommen und kontrolliert ihn sozusagen. Also wenn man es genau nimmt, ist der Schatten die neue Seele des Baumes, bis er sein Objekt wieder verlässt", erklärte Christian in der Kurzform und rollte sich zur Seite, als ein Ast auf ihn zugeflogen kam.
"Duck dich!", rief er gegen Corals Schreie an und ich duckte mich, bevor mich der gleiche Ast niederschmettern konnte. Entsetzt schnappte ich nach Luft. Neben mir startete Christian einen Versuch den Baum zu verbrennen. Feuer war das wirkungsvollste Element gegen Schatten, die das Licht ja verabscheuten.
"Christian, verbrenn nicht den Baum. Er ist ein Lebewesen und hat keinen Einfluss auf den Schatten", schrie ich.
"Was machen wir dann, wenn wir den Baum nicht verletzen können?", rief Christian. Ich überlegte scharf. Was hatte ich nur gemacht, als der Schatten mich angegriffen hatte.
"Du musst nicht seinen Körper treffen. Verbrenn ihm die Hand, damit er Coral fallen lässt!", kommandierte ich. Als hätte uns der Baum gehört, bewegten sich seine Arme auf uns zu. Christian wich geschickt aus. Ich hatte da nur leider nicht so viel Glück. Der Ast warf mich zu Boden und ich stieß mir den Kopf. Wahrscheinlich an einer Wurzel. Benommen stand ich wieder auf. Coral brauchte mich und ich ließ mich nicht von ein paar Kratzern oder Schürfwunden aufhalten. Leider brachte Wasser nicht viel gegen Schatten. Ich schaute zu Christian, der ununterbrochen Feuerbälle nach dem Schatten warf. Einige gingen daneben. Erschrocken eilte ich herbei und löschte das Feuer an den betroffenen Bäumen. Coral zappelte noch immer in der Hand des Schattenbaumes.
"Christian, tu was! Feuer ist die einzige Waffe, die ihn vernichten kann", krächzte ich. Ich sah mich nach meinem Freund um. Wo war der nun wieder? Da sah ich ihn. Er lag am Boden und kämpfte wortwörtlich mit einer Wurzel, die ihn von den Füßen gerissen und seine Beine umschlungen hatte. Er versuchte die Wurzel zu verbrennen, doch seine Hand wurde mitten in der Bewegung von einem Ast festgehalten. Unbeholfen blickte er zu mir. Ich stöhnte, was sollte ich nur tun? Wasser konnte mir überhaupt nicht helfen den Schatten zu besiegen. Ich musste es anders schaffen. In diesem Moment sprang jemand hinter den Bäumen hervor und bombadierte den Schattenbaum mit Feuer. Drew!
"Wo kommst du denn her?"
"Erkläre ich später", antwortete er und richtete seinen Blick auf die schwarze Hand.
"Nun, vielleicht wird es kein später mehr geben", konterte ich und wich dem nächsten Ast aus.
"Ich habe Schreie aus dem Wald gehört, als ich trainiert habe. Da bin ich ihnen gefolgt und mir ist aufgefallen, dass sie sich wie die von Coral anhören. Und jetzt habe ich euch gefunden. Sieht aus, als könntet ihr Hilfe gebrauchen",fiel ihm auf und ich beeilte mich zu Nicken. Währenddessen legte sich ein dunkler Finger über Corals Mund und sie verstummte. Igitt!
"Schnell, wir müssen was tun", fügte er hinzu. Ich rollte genervt mit den Augen.
"Blitzmerker", keuchte ich und duckte mich, als ein Baumstamm vorbeiflog. Meine Güte, das ging zu weit.
"Die Feuerbälle nützen nichts. Ich verfehle die Hand", rief Drew. Ich schaute zu Christian der vergebliche Versuche machte, seine Hand zu befreien.
"Können wir sonst noch was tun?" Ich bekam keine Antwort. Hatte ich auch gar nicht erwartet. Dann sprang Drew zur Seite und streckte seine Hände aus. Wie zur Bestätigung stampfte er mit dem Fuß auf und aus dem Boden trat eine glühende Flüssigkeit hervor. Sie bewegte sich in einer großen Welle auf den Baum zu. In diesem Moment passierten mehrere Sachen gleichzeitig: Der Baum schlug mit einem Ast nach Drew, sodass dieser gegen einen Baum geschleudert wurde, Christian konnte sich befreien, die Flüssigkeit traf den Schattenbaum und Coral fiel zu Boden. Entsetzt rannte ich zuerst zu Coral, während der Schatten sich in Luft auflöste und der Baum dem Erdboden gleich gemacht wurde.
"Alles in Ordnung?", fragte ich. Coral hustete und gab mir ein Zeichen, dass alles okay war. Dann liefen wir zu Christian und zum verletzten Drew. Coral stürzte sich an mir vorbei und tastete nach seiner Hand, um seinen Puls zu testen.
"Er ist noch am Leben, aber auf den ersten Blick sieht es gar nicht so aus", schluchzte Coral. Ich konnte ihr nur zustimmen. Christian fiel die Kinnlade herunter.
"Wisst ihr nicht, was er gerade gemacht hat?", fragte er mit weit aufgerissenen Augen. Coral und ich schüttelten die Köpfe und sahen Christian neugierig an. "Er hat... Lava gebändigt!"

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