7. Unter Beobachtung

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Cats Verhalten hatte mich so stutzig gemacht, dass ich es für besser hielt, sie nicht noch am selben Tag mit meinen Alpträumen zu konfrontieren. Allerdings tat sie beim Frühstück so, als wäre sie nie heimlich weg gewesen und ihre Miene wirkte weder betrübt, noch wütend, sodass ich davon ausgehen konnte, dass sie ihre Gefühle dieses Mal sehr gut versteckte oder dass sie tatsächlich nur einen ganz normalen Spaziergang draußen unternommen hatte. Auch Kiki und Coral warfen Cat während des Essens immer mal forschende Blicke zu, kamen letzendlich aber zu dem gleichen Schluss wie ich. Cat störte unsere Neugier nicht. Sie ließ sich von unseren Blicken nicht aus der Ruhe bringen und löffelte weiter ihr Lieblingsmüsli Count Chocula.
Die Schulwoche verlief weiter ohne besondere Vorkommnisse, nur Kiki wurde immer aufgeregter und fieberte wie alle anderen der Auslosung entgegen, in der man endlich bekannt geben würde, wer den Schüleraustausch antreten durfte. Cat und Coral wussten natürlich längst Bescheid, was ihren Eintrag in die Liste anging. Seitdem schleppte sie jederzeit ein Buch über die Kultur und Landschaft Australiens mit, das sie sich in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Die Chance, dass sie gezogen wurde, war ziemlich gering, aber ich ließ ihr die Hoffnung.
Während sie das Wochenende in unserer eigenen, kleinen Bibliothek verbringen würde, verabredeten sich Coral und Drew in der Stadt, nachdem sie die Genehmigung von der Schulleitung erhalten hatten und Cat wollte in die Ganztagsangebote reinschnuppern. Vor allem die Musik AG hatte es ihr im ersten Jahr angetan. Früher spielte sie mal Klavier in der Musikschule, doch als ihre Noten schlechter wurden, gab sie ihre Leidenschaft auf, um ihre Schulnoten zu verbessern. Im letzten Jahr war sie sich noch nicht sicher, ob sie es noch einmal versuchen sollte, weshalb sie die Schnupperkurse in diesem Jahr nutzen wollte.
Ich rief am Vormittag meine Mutter an, um ihr von der ersten Woche zu erzählen und bat sie, mir ein neues Buch zu schicken, weil ich das jetzige schon ausgelesen hatte und dringend neuen Lesestoff benötigte. Außerdem trug ich ihr auf, meinen Vater von mir zu grüßen und fragte sie nach ihrer Arbeitswoche, weil meine Mutter es liebte, wenn ich mich für ihren Alltag interessierte. Aber dieses Mal erzählte sie nicht besonders fiel und irgendwie hatte ich den Verdacht, dass sie gar nicht arbeitete. Spätestens, als sie erwähnte, dass sie sich etwas zum Mittag gekocht hatte und gleich darauf scharf die Luft einsog, konnte ich mir denken, dass sie zu Hause war. Ich beendete das Telefonat zeitig und überlegte, ob ich nocheinmal meine Kampftechniken trainieren sollte. Ich entschied mich dafür. Aber heute wollte ich nicht den stickigen Trainingsraum dafür nutzen, sondern verlegte das Training nach draußen an das Wasserbecken.
Hinter der Schule erstreckte sich eine große Wiese mit einem von Bäumen umgebenen Platz mit Bänken und den Trainingsplätzen für jede Art der Elementbändiger. Es war uns gestattet, die Plätze zum Üben zu nutzen, solange wir uns an die Schulregeln hielten und auf eine gewisse Sauberkeit achteten. Natürlich kam es vor, dass die Trainingsplätze mal von anderen Bändigern besetzt waren, vor allem an sonnigen Tagen, wie heute. Als ich das Schulgebäude verließ, schlug mir eine erdrückende Hitzewelle entgegen. Die Sonne brannte vom Himmel und es waren weit und breit keine Wolken zu sehen.
Als ich um das Schulhaus joggte, sah ich schon von weitem eine Person, die am Wasserbecken kniete und ihr Element in einem schlangenartigen Wassertentakel in die Höhe steigen ließ. Es war ein Mädchen mit dunkelbraunem Haar, das ihr in kleinen Wellen bis über die Schulterblätter ging. Ihre Hände bewegten sich so geschmeidig und geduldig, dass ich sie fast darum beneidete. Gedult war eine Tugend und ich besaß sie nicht. Ihr Körper neigte sich leicht nach links und die Säule bewegte sich im gleichen Moment ebenfalls nach links. Dann glitt sie nach rechts und das Wasser wand sich in einem kleinen Bogen nach rechts. Ruhig lenkte sie das Wasser zurück zur Mitte und teilte die Wassersäule mit einem Wink ihrer rechten Hand. Nun bewegte sie ihre beiden Zeigefinger gegen den Uhrzeigersinn und die Wassersäulen drehten sich in Spiralen weiter nach oben. Ich näherte mich ihr vorsichtig von hinten und sah ihr beim Bändigen der Wassersäule für einen Moment über die Schulter. Ich betrachtete das Wasserspektakel beeindruckend und hockte mich neben sie an den Beckenrand.
Das Mädchen hielt die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf ihre Atmung, wie ich erkannte. Langsam drehte sie die Handflächen zu Boden und kreuzte dabei die Arme. Das Wasser sank zurück ins Becken, ohne zu Spritzen oder Wellen auf der Oberfläche zu hinterlassen.
"Ich bin mir sicher, du kannst das auch", meinte sie plötzlich, sah mich jedoch noch immer nicht an. Verwunderung und Röte stiegen mir gleichzeitig ins Gesicht, doch dann lächelte ich.
"Da wäre ich mir nicht so sicher", antwortete ich ehrlich. Auch wenn ich als Avatar, als ziemlich mächtig galt, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals so gelassen zu bändigen, wie dieses Mädchen. Außerdem war es meine Aufgabe Kampftechniken zu lernen und keine langsamen Wassersäulen zu erschaffen. Im Ernstfall musste ich blitzschnell reagieren können.
Sie öffnete ihre Augen und wandte sich zu mir um. Ihre haselnussbraunen Augen strahlten Wärme und Vertrauen aus. Sie hatte hohe Wangenknochen und war auf jeden Fall älter als ich. Ihr dunkelblaues Kleid wehte leicht im Wind, der angenehm auf meiner Haut prickelte.
"Du weißt bestimmt nicht, wozu diese Technik gut ist", erwiderte sie und ihr Blick glitt wieder zum Wasser, das nun in leichten Wellen zum gegenüberlegenden Beckenrand schwappte und sich mit dem Wind bewegte.
"Nicht so richtig", gab ich zu und folgte ihrem Blick. So sehnsüchtig, wie sie das Wasser betrachtete, konnte ich nur ahnen, dass sie sich stark zu ihm hingezogen fühlte und auch früher schon eine enge Verbindung zum Wasser hatte.
"Weißt du, Wasser ist sehr vielseitig, nicht nur was das Bändigen angeht. Es kann viel mehr, als die Menschen glauben. Wenn man genau hinhört, kann man es singen hören", erklärte sie wissend. Jeder Andere würde sie wahrscheinlich für verrückt halten, aber ich glaubte, dass sie genau wusste, wovon sie redete, auch wenn ich kein Singen des Wassers vernahm. "Früher habe ich das Meer jeden Tag gesehen", fuhr sie fort. "Es war das Erste, was ich gesehen habe, wenn ich aufgestanden bin und das Letzte, bevor ich zu Bett gegangen bin." Sie drehte sich wieder zu mir. Erneut kam Wind auf und spielte mit ihren Haaren.
"Du musst wissen, meine Eltern haben ein großes Segelboot. Es ist das einzige Zuhause, das ich neben dem Internat habe. Meistens hielten wir es nicht länger als drei Tage an Land aus", erzählte sie, winkelte die Beine an und schlang die Arme darum. In diesem Moment musste ich sie wohl ziemlich selstam angestarrt haben. Klar, ich kannte es nicht anders, aber für sie war es bestimmt eine riesige Umstellung gewesen.
"Als ich erfuhr, dass ich auf eine richtige Schule gehen sollte, wurde mir ganz flau im Magen. Bisher wurde ich von meiner Mutter unterrichtet. Doch als sie von den Elementen erzählt haben, erkannte ich sofort, dass sie es ernst meinen und dass ich zum Wasser gehöre. Es kann so wild, stürmisch und aufbrausend sein, aber auch ruhig und klar und der Gedanke, dass sich unter der glitzernden Oberfläche mehr befindet, als du denkst, lässt dich nicht los. Dort unten ist es so dunkel und gefahrvoll, eine weitere Seite, bei der man genau hinschauen muss." Die Art, wie sie sich ausdrückte, wenn sie vom Wasser sprach, machte mich nachdenklich. Sie redete so offen und befreiend, als gäbe es nichts außer ihr und dem Wasser, als wäre es das einzige, was sie zum Überleben brauchte. Diese Verbindung war für sie wertvoller, als andere vermuten konnten.
"Wozu diese spezielle Technik gut ist, muss jeder Wasserbändiger für sich selbst herausfinden. Alles hat zwei Seiten, du musst nur richtig hinsehen", lehrte sie mich und schloss die Augen. Um ihre Lippen kräuselte sich ein Lächeln, als hätte sie genau diese Worte schon zu vielen anderen gesprochen. Ich wusste darauf nichts zu erwiedern, also fragte ich stattdessen: "Wie heißt du eigentlich?"
"Marina", antwortete sie. Allein daran, wie sie ihren Namen aussprach, vermutete ich, dass sie ihn mochte. "Und du bist Madline. Wer wüsste das nicht." Ich biss mir auf die Unterlippe. Ja, wer kannte nicht den Avatar, der sich im letzten Schuljahr als Versager herausgestellt hatte. Ich war für den Tod vieler Schüler verantwortlich.
Die Blätter der Bäume raschelten hinter uns im Wind. Vor uns lag der Schattenwald, jener Wald, in dem ich mich damals den Schatten gestellt und gegen sie verloren hatte. Die knorrigen Äste knackten und einige fielen auf den verbrannten Boden, der noch immer die Kampfspuren zeigte. Große Wellen wurden nun vom Wind zum Beckenrand getragen und mein Bauchgefühl sagte mir, dass hier etwas nicht stimmte. Alarmiert richtete ich mich auf, neben mir kam Marina auf die Beine. Mein Blick wanderte am Waldrand entlang und suchte die Umgebung ab. Ich spürte den Blick einer anderen Person auf mir liegen und es war weder Marinas, noch der eines anderen Schülers. Ich sah über meine rechte Schule. Die letzte Trainingsgruppe der Feuerbändiger war schon auf dem Weg zurück ins Internat.
Als ich mich zu Marina umdrehte, bemerkte ich, dass ihre Finger zitterten. "Du spürst es auch, oder?"
Statt zu antworten, umrundete ich das Becken und trat etwas näher an den Waldrand heran. Zwischen den dunklen Bäumen lauerte etwas. Natürlich trugen diese Bäume nicht viele Blätter, doch ihre Äste bildeten eine Art dunkles Dach und gingen beinahe ineinander über.
Wir wurden beobachtet, ich täuschte mich nicht, erst recht nicht, wenn Marina es auch spürte.
"Warte hier!", befahl ich ihr, nachdem ich noch immer niemanden sehen konnte und trat zwischen die Bäume auf den verbrannten Waldboden. Überall roch es verbracht, nicht nur am Waldrand. Ich schob ein paar schwarze Zweige aus dem Weg und kämpfte mich weiter voran. Eigentlich war es sinnlos, den Beobachter zu finden, da er sich in dieser Umgebung wahrscheinlich besser auskannte als ich, aber ich musste wissen, was er von uns wollte, vielleicht auch nur von mir.
Noch immer spürte ich seinen Blick, dieses Mal von rechts. Ich drehte mich einmal im Kreis. Obwohl ich noch nicht weit gegangen war, sah ich schon nicht mehr den Rand des Waldes, doch ein Rückzieher kam jetzt nicht in Frage und notfalls würde ich ihn im Kampf zwingen, mir eine Antwort zu geben.
Ich stieg über einen umgefallenen Baumstamm und starrte vor mich in die Dunkelheit. Auf meinen Armen breitete sich eine Gänsehaut aus. Die plötzliche Kälte ließ mich frösteln. Niemals hatte ich mir diese Blicke eingebildet. Plötzlich vernahm ich hinter mir ein leises Rascheln, das kurz darauf verstummte. Langsam näherte ich mich einem Busch und an zwei Stellen, an denen die Blätter fehlten, starrten mir zwei leuchtende gelbe, Schlitzaugen entgegen. Bevor ich meine Kräfte sammeln konnte, hatte sich die Person auf mich gestürzt. Fast wären wir auf dem Waldbogen aufgekommen, doch er hielt mich fest und schlug mit der geballten Faust tief in meine Magengrube. Die Luft entwich mir, doch ich drehte mich zur Seite und verhinderte einen weiteren Treffer. Schneller als ich denken konnte, hatten meine Hände zwei lange Eisspitzen geformt, die blitzschnell auf ihn zuschossen, doch mein Angreifer wischte mit der flachen Hand in der Luft und erschuf einen schwarzen, klebrigen Schutzschild, an dem die Eisspitzen klirrend zersplitterten.
Ein Schatten! Aber er gehörte nicht hierher. Ich hatte alle Schatten in diesem Gebiet vernichtet.
Flink wob der Schatten mit seinen Händen ein Netz aus klebrigen Fäden, setzte zu einem Salto an und sprang. Ich schickte ihm eine Wasserblase entgegen, doch er wich geschickt aus und rollte sich auf dem Waldboden ab. Bevor er aufstehen konnte, nagelte ich ihn am Boden fest, sodass ihm das Netz aus der Hand glitt.
"Was willst du von mir?", keuchte ich und betrachtete ihn vorerst genauer. Sein Gesicht war mit einer schwarzen Maske bedeckt, was mich irgendwie an den Schatteherren erinnerte. Sein rabenschwarzes Haar sah zerzaust aus. Ansonsten war sein Körper komplett in einen schwarzen Kampfanzug gehüllt. Feindselig starrte er mich durch seine gelben Augen an. Ich musste wissen, wer hinter dieser Maske steckte.
"Du unterschätzt mich", murmelte er plötzlich und im nächsten Moment lag ich am Boden. Er hatte recht. Das Gefühl, ihm überlegen zu sein, hatte meine Deckung geschwächt. Seine Hände hielten mich schraubstockartig am Boden fest.
"Was willst du?", knurrte ich nocheinmal. Er antwortete nicht. Meine Beine ließen sich außerdem nicht bewegen. Sie fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Reflexartig griff er nach dem Netz und bevor meine Hände einen Abwehrzauber bilden konnten, senkten sich die dunklen Fäden über mich und brannten glühend heiß auf meiner Haut. Ich schrie schmerzvoll auf. Schatten hätten sich an Hitze verbrannt, doch dieser nicht. Schattenmasse war kalt, weil Schatten Feuer und Wärme verabscheuten. Wäre er ein Schatten gewesen, hätte er dieses Netz niemals berühren können. Qualvoll wand ich mich unter dem Netz. Mein Versuch, eines der Elemente herbeizurufen, scheiterte kläglich.
Seine Augen funkelten gefährlich auf mich hinab.
"Jeder muss irgendwann seinem Schicksal entgegensehen", sagte er und ein kehliges Lachen ertönte hinter seiner Maske. Dann beantwortete er meine Frage. "Ich bin hier, um Rache zu nehmen."

Hallo, ich hoffe dieses Kapitel gefällt euch und zum Schluss habe ich noch eine Frage: Das vorherige Kapitel heißt Alptraum und meine Sis Alexa und ich streiten uns gerade darum, ob das Wort mit b oder mit p geschrieben wird. Im Duden steht beides, in einem Buch, dass ich gerade lese, hat die Autorin es auch mit p geschrieben. Schreibt bitte eure Meinung in die Kommis, wenn ihr wollt. Ansonsten wünsche ich euch noch ein schönes Wochenende
:)
Lg Em

School of Elements Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt