13. Aufbruch

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Kiki hatte am Montagabend sofort ihren Vater angerufen und angefragt, ob das Angebot für das Elternwochenende noch aktuell war. Ihr Vater griff in weniger als fünf Sekunden zum Telefon und war sehr erfreut zu hören, dass Kiki sich umentschieden hatte. Er liebte seine Tochter mehr als alles Andere, denn außer ihr, gab es keinen einzigen Menschen, dem er sich so gut anvertrauen konnte. Besonders nach dem Tod von Kikis Mutter wuchs sie ihm immer näher ans Herz. Selten hatte ich eine so innige Verbindung zwischen Vater und Tochter erlebt, wie zwischen den beiden. Als wären sie nicht Vater und Tochter, sondern beste Freunde.

Er hatte auch nichts dagegen, dass ich das Wochenende bei Kiki verbringen würde und mit diesem Telefonat war die Sache abgesprochen.

Nachdem ich mich am Freitag von Cat und Coral verabschiedet hatte, wurde mir ganz schwer ums Herz. Sicher, es waren nur zwei Tage, aber irgendwie hatte ich meine Bedenken, dass mit Kikis Austauschschüler, den sie Coral anvertraute, alles glatt laufen würde. Ungeduldig warteten wir auf den Bus, der uns hoffentlich noch rechtzeitig zum Bahnhof bringen würde. Nach fünfzehn Minuten Verspätung passierte der Bus endlich das eiserne Tor der Schule.

Ich half Kiki, ihren Koffer in den Bus zu hieven. Sie hatte um einiges mehr eingepackt, weil sie die ungewaschene Wäsche irgendwie nach Hause befördern musste und die ausgelesenen Bücher gegen Neue ersetzen wollte.

"Sag mal, hast du dort Mühlsteine drin?", erkundigte ich mich und packte den Koffer an der Unterseite, um ihn anzuheben.

"Nein, da sind ganz normale Backsteine drin", meinte Kiki trocken und trug ihren Koffer über die winzigen Stufen in den Mittelgang. Ich folgte ihr mit meinem etwas weniger gepackten Koffer und hob ihn auf die Gepäckauflage, um danach Kiki zu helfen.
Wir ließen uns auf zwei der vorderen Sitze nieder. Tatsächlich waren Kiki und ich die einzigen Schüler, die den frühen Bus nahmen. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass nur ganz wenige Elementbändiger aus Missouri stammten und nur die Minderheit wirklich ihre Chance nutzte, die Eltern über das Wochenende zu besuchen. Aber vielleicht würden ja noch ein paar andere Schüler den nächsten Bus nehmen.

Ich steckte mir die Kopfhörer meines Handys in die Ohren und lauschte den neusten Songs der Charts, wobei ich sagen musste, dass mir viele der darin vorkommenden Rap-Songs nicht wirklich zusagten, weshalb ich irgendwann mein letztes Buch zur Hand nahm.

Die Fahrt dauerte wie immer nicht viel länger als eine halbe Stunde, dennoch bemerkte ich mit einem Blick auf meine Handyuhr, dass der Zug, mit dem wir mit Kikis Vater nach Wisconsin fahren wollten, schon in ein paar Minuten abfahren würde.
Wir beeilten uns mit Kikis Koffer, was gar nicht so leicht war. Ich ließ meinen Blick über den Bahnhof schweifen und entdeckte den Zug am dritten Gleis. Die Bahnhofsuhr zeigte zwei Minuten nach dreiviertel Drei. Drei Minuten bis zum Gleis waren zu schaffen.

"Los Kiki, nimm die Beine in die Hand", rief ich ihr zu und rollte meinen Koffer schnellen Schrittes über die Straße.

"Das sagt sich so leicht", brachte Kiki hervor und trug ihren schweren Koffer über die Bordsteinkante.

Ich marschierte geradewegs auf den Tunnel zu, der zum Gleis führte und stieg die Stufen in Windeseile abwärts. Kiki kam mit einigen Schwierigkeiten hinterher.
Bei der nächsten Treppe nahm ich zwei Stufen auf einmal, rannte auf die sich gerade schließenden Türen zu und drückte auf den Türöffner. Kiki mühte sich noch die Treppe hoch, aber dieser Zug würde nicht ohne Kiki losfahren. Notfalls würde ich dem Fahrer dieses Zugs eine kleine Kostprobe meiner Fähigkeiten geben. Obwohl ich so weit, dann doch nicht gehen würde.

Ich stellte meinen Koffer zwischen den genervt wartenden Mitfahrern ab, sprintete auf Kiki zu, packte ihr Gepäckstück noch einmal an der Unterseite und gemeinsam trugen wir das monströse Ding in den Zug, kurz bevor die Türen mit einem Piepen das Signal zur Abfahrt bekannt gaben.

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