34. Erloschene Flammen

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Nur zwei Tage später stand bereits Weihnachten vor der Tür, auch wenn sich dies im Internat nicht wirklich bemerkbar machte, wenn  man von der ungewöhnlichen Stille einmal absah.
Im Gegensatz zu heute waren die Gänge im Vorjahr bereits zwei Wochen vorher mit Weihnachtsschmuck vollgestopft gewesen, in der Mitte der Mensa hatte ein riesiger, mit Lametta bedeckter Tannenbaum gestanden, auf dessen Spitze ein riesiger Stern thronte und an jeder Ecke roch es nach Räucherkerzen, Zimt und Tannenadeln. Wie die Feiertage hier gewesen waren, konnte ich nicht sagen. Immerhin hatte ich Weihnachten letztes Jahr noch bei meinen Eltern gefeiert. Dieses Jahr allerdings feierte ich es das erste Mal ohne sie. Zu meinem Glück war ich wenigstens nicht ganz allein. Christian war noch da, und natürlich Coral und Alice, auf die ich mich immer verlassen konnte. Sie waren es auch, die dafür sorgten, dass mein Heilig Abend nicht gänzlich im Schnee versank.

Wir feierten in einem kleinen Kreis auf unserem Zimmer. Coral, Alice, Oskar, Christian und ich. Oskar erzählte uns gerade, wie die Adventszeit in Dänemark gefeiert wurde und ich war mir sicher, dass Kiki das auch interessiert hätte.

"Ich habe die Weihnachtszeit eigentlich immer mit meiner Familie verbracht, weswegen es ein bisschen ungewohnt ist, jetzt nicht bei ihnen zu sein", erzählte er zu Beginn. "Aber ich dachte, ich beschäftige mich mal ein wenig mit der amerikanischen Kultur und finde heraus, wie ihr es zelebriert."

Coral kicherte. "Kultur? Ich dachte sowas haben wir hier gar nicht", scherzte sie leise, sodass nur ich es hören konnte und verkniff sich ein Grinsen. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, zumal ich Oskars Erzählung viel zu spannend fand, als auf Corals Kommentare einzugehen.

"Auf jeden Fall beschmücken wir in Dänemark wirlich alles. Dächer, Laternen, Gärten, unseren Arbeitsplatz... Am liebsten stellen wir Julenisser auf. Das sind kleine, rote Weihnachtswichtel aus Stroh. Wenn man ihnen über Nacht eine Schüssel mit warmem Milchreis hinstellt, essen sie ihn auf und lassen dir kleine Geschenke zurück, sagt man. Ich habe das als Kind ziemlich oft gemacht und immer ein kleines Geschenk bekommen, bis ich eines Nachts aufgewacht bin und meinen Vater dabei erwischt habe, wie er die Schüssel aus meinem Zimmer mitgenommen hat", berichtete Oskar und lachte amüsiert. Selbst Alice musste über Oskars Geschichte grinsen, sicherlich nicht nur wegen seines dänischen Akzents.

"Aber die schönsten Erinnerungen verbinde ich mit dem Lucia-Tag. Das ist eigentlich eine schwedische Tradition, aber sie hat sich auch in weiten Teilen Skandinaviens durchgesetzt. Er findet am dreizehnten Dezember statt, häufig an Schulen. Wir haben ihn auch an der Elemava-Akademie in Kopenhagen gefeiert. Man stellt dort eine Gruppe von Mädchen zusammen, die in weißen Gewändern durch die Gänge der Schule schreiten und das Lied der heiligen Santa Lucia singen. Meine Freundin durfte an vorderster Stelle laufen und den Weihnachtskranz mit brennenden Kerzen auf dem Kopf tragen. Das ist wirklich eine große Ehre bei uns."

Alice, die bis eben noch wie hypnotisiert an Oskars Lippen gehangen hatte, hob eine Augenbraue. "Deine... Freundin?", hakte sie nach, was Oskar offenbar ein wenig ins Schwitzen brachte. "Ist es etwa deswegen deine schönste Erinnerung?", fragte sie skeptisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

Oskar kratzte sich verlegen am Kopf und suchte scheinbar nach den richtigen Worten. Sein Englisch war ohnehin noch etwas fehlerhaft, weshalb er sich sicherlich genau überlegen wollte, wie er diese Aussage am besten erklären sollte.
"Wir waren mal zusammen und ja, es ist am Lucia-Tag passiert, aber wir sind kein Paar mehr", versuchte er die Situation zu retten, doch Alice schien nicht sehr überzeugt zu sein. Ihre Eifersucht verpuffte jedoch schneller als gedacht. Offenbar konnte sie Oskar nicht länger als 10 Minuten böse sein, wie Coral im Nachhinein kichernd feststellte.

Wir waren etwa gegen 11 ins Bett gegangen. Alice hatte sich dazu entschieden, die Nacht im Zimmer von Oskar zu verbringen, was dieses Mal nicht nur bei Kiki, sondern auch bei mir für ein Grinsen sorgte. Selbstverständlich nicht aus dem Grund, dass dies einen Verstoß gegen die Schulregeln darstellte. Daraufhin hatte ich mich unwillkürlich fragen müssen, was ich antworten würde, wenn Christian mich zu sich eingeladen hätte und war zu dem Entschluss gekommen, dass ich Coral als gute Freundin nicht allein gelassen hätte, egal wie sehr ich die Nacht mit Christian verbringen wollte. Vielleicht kannte mich Christian mittlerweile schon so gut, dass er dies von vornherein gewusst und mich deshalb nicht gefragt hatte, denn ich war mir beinahe sicher, dass er es getan hätte, wenn Coral nicht gewesen wäre.

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