Kapitel 41- Das letzte Angebot

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Der Weg über die Wiese kam mir dieses Mal ziemlich kurz vor und meine Beine fühlten sich jetzt schon an wie Wackelpudding. Natürlich wusste ich, dass dieser Moment irgendwann gekommen wäre, doch jetzt, wo er da war wurde mir speiübel. Das schien auch Coral zu bemerken. Sie warf mir einen mitleidigen Seitenblick zu. Ich musste mehrere Male schlucken und biss mir auf die Unterlippe. Das taubedeckte Gras unter meinen Schuhen machte ein seltsames Geräusch. Ich versuchte mich nur darauf zu konzentrieren und senkte den Blick. Langsam näherten wir uns dem Kampfplatz. Am besten wäre es wohl, wenn ich gar nicht daran dachte, dass dies vielleicht meine letzten Schritte sein könnten. Fast stieß ich gegen einen Oberstufenschüler, sah aber noch rechtzeitig zwei Füße vor mir. Ich schaute auf. Ja, jetzt gab es kein zurück mehr. Wir standen so ungefähr am Rand der riesigen Schülertruppe, sodass ich ab und zu einen Blick auf die Schattenarmeé erhaschen konnte. Es war ein grauenhafter Anblick. Auch wenn die Oberstufenschüler unserer Schule schon viele waren, übertrafen uns die Schatten mit ihrer Truppe mindestens um ein dreifaches. Der Boden unter ihren schwarzen Körpern wirkte grau, ausgetrocknet und verseucht. Die Grashalme, auf denen wir gerade standen, waren grün, saftig und lang. Ganz vorne hatte sich der Schattenherr postiert. Anders als bei den letzten Malen glänzte seine schwarze Maske in einem Sonnenstrahl. In dem Moment, als ich das dachte, schoben sich Wolken vor die Sonne und ein kühler Luftzug zerzauste meine Haare. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus, wenn sie nicht schon vorher da gewesen war. Ich strich mir eine lose Strähne aus dem Gesicht und so fiel mein Blick auf Christian. Er trat aus der Schattenarmeé hervor und positionierte sich neben dem Maskentyp. Christians Entscheidung stand fest und er würde sich nicht mehr umstimmen lassen. Die Stille, die nun folgte war sehr unbehaglich.
"Seid gegrüßt, Schattenherr", sprach Mrs Chatfield nach einer Weile. "Sagt, was ihr wollt und wir werden sehen was sich machen lässt." Ihre kraftvolle Stimme kämpfte gegen das Pfeifen des Windes an. Ich fand, sie ging noch viel zu höflich mit den Schatten um, wenn man mal davon absah, dass sie die Schatten gerade angelogen hatte. Sie würde ihnen niemals einen Wunsch erfüllen.
Der Schattenherr trat etwas näher an die Elementbändiger heran. Niemand bewegte sich vorne oder ging einen Schritt zurück, wahrscheinlich um zu demonstrieren, dass wir keine Angst hatten. Ich war mir nicht so sicher, ob ich da mitgemacht hätte. In den vorderen Reihen standen sowieso nur die Lehrer und die Gründer und blickten den Schatten kampfbereit entgegen. Zumindest die Lehrer, denn die Gründer und der Schattenherr würden niemals kämpfen. Sie waren viel zu wichtig für ihr Volk (bzw. Für ihre Schule) und durften keinesfalls in den Kampf hineingezogen werden. Die Schatten blickten ebenfalls hasserfüllt zu uns.
"Wir begehren nicht etwas, sondern jemanden", sagte er mit krächzender, rauer Stimme. "Wir werden nicht kämpfen, wenn ihr uns die Person die wir suchen ausliefert." Zur gleichen Zeit breitete sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend aus. Ich probierte, ob es sich unterdrücken ließ, ohne Erfolg. Der Schattenherr wartete noch immer auf eine Reaktion.
"Wie lautet Euer Begehr?", fragte Mrs Chatfield, ohne sich von der nahenden Gefahr einschüchtern zu lassen.
"Wir wollen den Avatar!", antwortete der Schattenherr und bleckte die Zähne zu einem fiesen Grinsen. Wenn ich könnte, hätte ich's dem Kerl längst gezeigt. Dies müsste der Zeitpunkt gewesen sein, in dem ich mich freiwillig durch die Schüler drängelte, um mich selbst den Schatten ausliefern. Doch dieser Moment verstrich, ohne dass ich mich bewegte. Mrs Chatfield zögerte.
"Wir sind uns noch nicht bewusst, was die Existenz des Avatars angeht", meinte sie etwas unsicherer, denoch hielt sie dem Blick des Schattenherrn stand.
"Das macht nichts, solange wir es sind", wiedersprach der Schattenherr. Ich konnte förmlich spüren, wie er hinter seiner schwarzen Maske höhnisch grinste. Dem würde das Grinsen schon noch vergehen!
"Es tut mir leid, aber wir können in diesem Fall nichts tun. Der Avatar existiert nicht mehr. Und selbst wenn er existieren würde, so hätten wir ihn Euch dennoch nicht freiwillig ausgeliefert. Ihr habt einen Vertrag unterschrieben, der deutlich besagt, dass Sie auf dieses Schulgelände keinen Zutritt haben. Also kehrt zurück in den Wald und lasst uns einen Krieg und diesen Kampf vermeiden", bot die Schulleiterin an. Eigentlich war es gar kein Angebot, auch keine Bitte. Ich bewunderte sie wirklich. Sie konnte so überzeugend wirken, aber ich wusste, dass das nicht ausreichen würde. Und ich behielt recht.
"Wir werden uns nicht zurückziehen. Wir haben uns auf diesen Kampf vorbereitet und um ihn zu vermeiden, müsstet ihr uns nur den Avatar aushändigen." Er spuckte das Wort Avatar beinahe aus und er sagte es, als sei ich irgendein Gegnstand, den man in die nächstbeste Tasche stopfen könnte.
"Ihr habt also die Wahl: Entweder, ihr übergebt und den Avatar oder die Generation der Elementbändiger nimmt mit diesem Kampf ihr absoulutes Ende", fügte er noch hinzu. Die Schulleiterin schwieg noch immer.
"Ich werde meine Schüler und Lehrkräft nicht opfern, für einen unnötigen Kampf, doch den Avatar kann ich Euch nicht geben." Sie wollte damit nur Zeit schinden, doch was brachte uns das? Ein paar Sekunden länger die wir zu leben hatten. Der Schatten lachte sein falsches Lachen.
"Ich denke, mit diesen Worten habt Ihr eure Entscheidung getroffen. Ich sehe das, als ein klares Nein. Schatten macht euch bereit zum Angriff", forderte er seine Armeé auf. Christian begab sich in Kampfstellung. Die meinten das wirklich ernst! Ich musste doch irgendetwas tun können.
"Wollen Sie wissen, was ich denke?" Natürlich erhielt Mrs Chatfield keine Antwort. "Ich denke, Sie müssen akzeptieren, dass der Vatar längst getötet wurde. Der Avatar, Szu, starb vor vielen Jahren im Avatarzustand. Der Avatarzyklus ist somit unterbrochen und es wird auch nie wieder einen Avatar geben", versicherte sie den Schatten. "Ich verstehe nicht, wieso Sie uns trotzdem belästigen, mit Themen, die schon längst geklärt wurden." Ihre melodische Stimme wurde vom Wind verschluckt, doch der Schatten hatte sie klar und deutlich verstanden.
"Und was kommt noch? Als nächstes kommt sicher der Vorschlag, dass wir das Kriegsbeil begraben können. Schatten, wie lange haben sich unsere Vorfahren mit dem Tod des Avatars rumgeschlagen? Hat das nicht viel zu lange gedauert? Wir haben die Chance es besser zu machen. Dies kommt uns mehr zu Gute, als ein lebender Avatar, der uns alle vernichten könnte. Wir werden unseren Nachfahren von dieser Geschichte erzählen. Wir werden diejenigen sein, die das geschafft haben, wozu unsere Vorfahren nicht fähig waren." Der lezte Teil seiner lurezn Rede endete im tosenden Beifall auf der Seite der Schatten. Wir sahen eher missbilligend zu ihnen hinüber. Auch etwas ratlos standen wir nun da und warteten. Aber auf was eigentlich? Auf ein Gemetzel?
"Nun denn, wir haben den weiten Weg hier her nicht hinter uns gelgt, damit wir hier gemeinsam plaudern können. Wir haben schon zu viel Zeit vergeudet, die wir hätten nutzen können. Unsere Zeit ist gekommen. Wir haben uns entscheiden für den Krieg und wir werden nicht auf eure Entscheidung warten", verkündete der Schattenherr und gab seinen Schatten ein Zeichen.
Ich rührte mich nicht. Wie erstarrt blickte ich geradeaus, einen dicken Kloß im Hals. Coral rüttelte mich an der Schulter. Ich hatte ganz vergessen, dass meine Freunde noch hinter mir standen.
"Madline? Willst du wirklich all diese ganzen Leben riskieren?", wollte sie wissen. Ihr Gesicht wurde von einer panischen Miene geziert. Nein, das wollte ich nicht! Aber wie lange würde ich noch leben, wenn ich mich ihnen opferte. Ich musste es tun, doch ich konnte es einfach nicht. Ich musste mich entscheiden. Und wenn ich die falsche Netscheidung traf? War es als Avatar, als Auserwählte, nicht meine Pflicht, die Elementbändiger zu beschützen? Warum nur ich? Der erste Schatten machte sich zum Angriff bereit. Ich konnte das nicht mit ansehen. Wo war Szu, wenn man sie brauchte? Coral rüttelte nocheinmal an meiner Schulter, zur Verwirrung der anderen. Ich sah sie mit glasigen Augen an.
"Ich... ich", stammelte ich und setzte eine entschlossene Miene auf. Die Hände zu Fäusten geballt, die Augen zu Schlitzen verengt, sammelte ich meine Kraft. Ich würde sie nun brauchen!


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