Kapitel 39- Das letzte Element

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Brav wartete ich meine Zeit im Krankenzimmer ab. Als die Sterne spät am Abend am Himmel standen, tat ich mich schwer mit dem Einschlafen. Andauernd musste ich mich auf die andere Seite wälzen. Wie konnte jemand wie Christian nur so gut aussehen und doch so böse sein? Ich hatte immer daran geglaubt, dass seine Seele nicht verdunkelt war und Christian noch auf der guten Seite stand. Ich hatte allen Ernstes geglaubt, er würde die Elemava-Akademy verteidigen. So konnte man sich in einem Menschen täuschen. Aber wenn ich mir auch nur seinen muskulösen Oberkörper ins Gedächtnis rief, kam es mir vor, als hätte Christian mich nie belogen.
Er wollte dich töten, mahnte ich mich und zog mir die Bettdecke bis über das Kinn. War es so falsch gewesen, ihm eine Chance zu geben? Eigentlich nicht, jeder verdiente eine zweite Chance.
Nochmal, der Typ wollte dich vergiften, schallte es in meinem Hirn. Ich hasste es, wenn mein inneres Ich Recht behielt. Seufzend wälzte ich mich auf die andere Seite. In Zukunft würde ich mein Vertrauen nur denen geben, die mich nicht belogen und dazu auch nicht noch unmenschlich gut aussahen. Meine Gedanken schweiften weiter, zu Cat. Wie es ihr wohl gerade ging? Und ob sie mir wegen des Spiegels wütend sein würde? Natürlich würde sie das. Er war von ihrer Großmutter! Ich wusste noch nicht, wie ich ihr das erklären sollte, also überlegte ich mir im Traum ein paar Möglichkeiten...

Am nächsten Morgen stand neben meinem Bett auf einem kleinen Rollgefährt ein Tablet mit meinem Frühstück. Selbstverständlich war es hauptsächlich mit gesunden Sachen beladen, bis auf den Kakao und dem Schokoriegel daneben. Darunter waren außerdem ein Kamillentee, ein Obstteller, eine Schnitte mit Wurstscheiben, ein Ei (ohne Salz, naja) und ein Joghurt. Man ging es mir gut. Essen ans Bett gab es bei mir noch nie. Ich nahm das Tablet vorsichtig und setzte mich auf. Ich machte mich regelrecht über das Minibuffet her.
Nachdem ich fertig gegessen hatte, versuchte ich ein wenig zu schlafen, aber es ging einfach nicht. Obwohl ich todmüde war musste ich weiterhin an Christian denken. Wenn er Schüler vergiftete, hatte es vielleicht den Grund, dass er die Elementbändiger schwächen wollte, damit sie uns beim Kampf nicht unterstützen konnten. Aber warum wollte er mich und Drew schwächen? Wir waren schließlich noch gar nicht in der Obersekunda, denn erst ab dem dritten Jahr wären wir zum Kampf ausgebildet worden. Christian hatte den Schatten wahrscheinlich von Drew erzählt und dass er die Gabe hatte Lava zu bändigen. Er wurde dadurch als stärkere Bedrohung eingestuft. Es passte alles zusammen. Und... dann müsste ich ja auch als Bedrohung eingestuft worden sein. Erst in diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Irgendwie hatte Christian mitbekommen, dass ich der Avatar war. Aber wie? Ich übte immer im geheimen Trainingsraum. Danach musste ich Szu heute unbedingt fragen. Ich legte mich auf die Seite und gähnte. Hoffentlich würden mich die Heilerinnen zur rechten Zeit wecken.
Nach einiger Zeit rüttelte mich eine Krankenschwester an der Schulter. Ich blieb dennoch liegen und regte mich nicht. Erst als sie meine Bettdecke wegzog, schreckte ich aus dem Schlaf. Kälte umspielte meine Beine. Bibbernd winkelte ich sie an und schlag meine Arme um sie. Auch an den Armen zitterte ich. Jemand hatte das Fenster aufgemacht. Mein Blick wanderte zu einer schlanken Heilerin mit langen blonden Haaren. Sie hatte hohe Wangenknochen und ein strahlendes Lächeln aufgesetzt, als ob es ihr gefiel, mich frieren zu sehen. Sie ging zum Fenster, schloss es und rückte den Vorhang zurecht.
"Entschuldige diesen kleinen... Vorfall. Du hast dich einfach nicht aufwecken lassen und da habe ich ein wenig nachgeholfen. Vielleicht wäre es besser, wenn du lieber noch ein Weilchen hier bleibst", erzählte die Heilerin und blickte mich besorgt an. Mit einem Mal war ich hellwach. Heute hatte ich die letzte Gelegenheit ein Element von Szu beigebracht zu bekommen. Ich musste von hier weg.
"Nein, nein. Ich war nur sehr müde, wegen gestern, aber nach diesem Schlaf geht es mir schon viel besser", log ich und biss mir für diese Lüge beinahe die Unterlippe blutig. Die Heilerin beäugte mich misstrauisch.
"Ich finde, das solltest nicht du entscheiden. Ich fände es besser, wenn wir das nocheinmal nachprüfen. Keine Angst, das tut überhaupt nicht weh", versicherte sie mir. Fast hätte ich mit den Augen gerollt. Ich war doch kein Kind mehr.
"Ist schon in Ordnung", meinte ich schnell und schlüpfte aus dem Bett.
"Mir geht es prima und Sie können gehen!"
"Sicher?"
"Sicher!"
Die Heilerin seufzte und wandte sich zum Gehen.
"Nagut, aber sollte das Gift noch Nachwirkungen haben, begibst du dich bitte zu einer ärztlichen Behandlung bei Mrs Schulz", befahl sie und ich nickte heftig. Als die Tür ins Schloss gefallen war, zog ich mich um und rannte auf schnellstem Wege zu unserem Zimmer. Oben angekommen klopfte ich dreinmal gegen das massive Holz und wartete kurz. Meinen Schlüssel hatte ich wohl noch im Zimmer gelassen, als der Unfall mit Cats Spiegel passiert war. Wie war der Spiegel nochmal zerbrochen? Ich konnte mich nicht mehr so recht daran erinnern. Auf jeden Fall hatte ich das so dumm angestellt, dass ich dafür in ein Krankenzimmer musste. Irgendwie konnte ich mich an viele Sachen nicht mehr erinnern.
Endlich ging die Tür auf und Coral stand im Türrahmen. Als sie mich erblickte, umarmte sie mich stürmisch und drückte mich fest.
"Was hast du nur angestellt?", fragte sie nebenbei, doch es klang nicht böse, sondern eher erleichtert. Tja, wenn ich auf ihre Frage nur eine Antwort wüsste...
Wir ließen uns lange nicht los. Wie lange war ich nur weg gewesen? Ichbkonnte nicht mehr klar denken.
Aufeinmal trat Coral ein paar Schritte zurück.
"Du hast Cats Spiegel zerstört", stellte sie fest und schaute über ihre Schulter zu einem kleinen Kästchen auf ihrem Nachtschrank.
"Warum sind die Scherben schwarz?", wollte sie wissen. Bei dieser Frage kehrte dieses schwindelerregende Gefühl zurück. Ich hielt mir den Kopf.
Langsam tauchte eine Erinnerung vor meinem inneren Auge auf. Ich stand in unserem 5er Zimmer, die Hände zu Fäusten geballt und verspürte eine große Wut, die ich einfach rauslassen musste. Ich drehte mich in die Richtung von Cats Spiegel und schoss einen Energieblitz ab. Einen Energieblitz aus Feuer. Die Arme schützend über den Kopf haltend, hockte ich dort und wartete den Scherbenregen ab. Einige streiften meine Arme, ich schrie vor Schmerzen. Und als der Scherbenregen endete, glänzte es um mich herum, als stünde ich in einem Meer aus taubedeckten Blumen, in denen sich das Licht der Sonne brach. Ich kehrte zurück in die Realität. Coral war nicht dumm, sie wusste, dass ich ihr etwas verschweigen würde, ich musste sie irgendwie abwimmeln, denn wenn ich sie auch noch anlog, könnte mir das kein bisschen weiterhelfen.
"Ähm, nimms mir nicht übel, aber ich möchte gern für mich allein sein sein", antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich wollte mich an ihr vorbeidrücken, doch sie versperrte mir den Weg.
"Mads, jetzt hör doch damit auf, mir irgendetwas zu verschweigen. Vielleicht kann ich dir helfen. Geteiltes Leid ist halbes Leid."
Woher sie den Spruch nur wieder hatte? Mir fiel gerade nicht ein, von wem er stammte, aber ich hatte ihn schon mal gehört.
"Bitte lass mich erstmal allein. Wenn es mir besser geht, können wir meinetwegen darüber reden", versprach ich. Coral besah mich skeptisch, als ob sie überlegte, ob sie mir glauben sollte. Dann trat sie zur Seite mit den Worten: "Dann möchte ich dir nicht im Weg stehen." Ich lächelte zaghaft und ging an ihr vorbei zur Geheimtùr. Ich gab den Code ein und ging durch den beleuchteten Gang. Am Ende des Ganges stieg ich die Treppe zur Holztür hinauf und schlüpfte hindurch. Die alte Bibliothek lag verlassen da, durch das winzige tellergoße Fensterfielen vereinzelt Sonnenstrahlen in den Raum. Mir kam es vor, als wäre ich eine Ewigkeit nicht hier gewesen, dabei waren gerade mal zwei Tage vergangen. Ich drückte die Tür auf, die zum Übungsraum führte und entdeckte Szu. Sie schwebte im Schneidersitz über der Matte und atmete in gleichmäßigen Atemzügen ein und aus. Für mich sah es so aus, als würde sie meditieren.
Ich schritt näher an die Matten heran und setzte mich neben sie. Sofort kam sie auf dem Boden auf und saß neben mir auf der Matte. Sie öffnete zwar die Augen, sah mich aber nicht an.
"Ich weiß schon Bescheid, warum du gestern nicht erschienen bist. Gut, dass es dir wieder besser geht", begrüßte sie mich, den Blick starr geradeaus gerichtet. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, also räusperte ich mich und stellte eine Frage.
"Ja, ich... ähm... welches Element kommt heute dran?", fragte ich unsicher. Woher die plötzliche Unsicherheit in meiner Stimme kam, konnte ich auch nicht sagen.
Szu drehte den Kopf und sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Ich schluckte, denn Szu wirkte heute so bleich und ich erkannte deutlich die dunklen Augenringe unter ihren Augen. Irgendetwas stimmte nicht. Ich traute mich nur noch nicht sie zu fragen, vielleicht ja am Ende des Trainings.
"Du wirst heute das Element Erde erlernen", entschied sie und erhob sich langsam. Erde, aber warum denn Erde?
"Ist es nicht sinnvoller, wenn ich noch Luft erlerne? Ich meine, Luft ist doch viel wichtiger als Erde und wir haben nur noch einen Tag Zeit bis du gehen musst. Können wir nicht beide Elemente an einem Tag üben?", wollte ich wissen. Szu schwebte zum Fenster und schwieg zuerst, dann schwebte sie wieder zu mir und schüttelte den Kopf.
"Es tut mir leid, aber das geht nicht. Zwei Elemente an einem Tag könnten deine Konzentration durcheinander bringen und, wenn du Erde bändigen möchtest, bändigst du stattdessen vielleicht Luft oder umgekehrt. Bei deinem jetzigen Zustand kannst du nicht zwei Elemente erlernen. Du trägst noch immer das Gift in dir und kämpfst dagegen an. Das kann dir zum Verhängnis werden. Wenn du dagegen ankämpfst, schwächt es dich noch mehr. Lass dich von der Kraft der Elemente leiten, lass die Elemente durch dich fließen und du wirst geheilt werden. Heute dürfen wir nicht das Schicksal herausfordern. Versteh doch, ich darf nicht in den Kapf eingreifen, ich kann dir einzig und allein behilflich sein. Es ist deine Entscheidung, ob du meine Hilfe annimmst. Ich möchte, dass ich dich heute im Element Erde trainiere, denn Erde ist im Frühling gestärkt und Luft im Herbst. Das heißt, deine Luftfähigkeiten wären zu dieser Jahreszeit äußerst geschwächt und aus diesem Grund ziehe ich Erde vor",erklärte sie. Lange Rede, kurzer Sinn. Dann also Erde. War mir auch recht. Trotzdem musste ich irgendwie die Kunst des Luftbändigens erlernen. Ich machte es mir auf der Mathe bequem und Szu begann mit dem nötigen Wissen.
"In Erde kann ich dich wie du weißt, am besten unterrichten. Es ist sehr schwer diese Kunst zu erlernen, denn dazu musst du die drei Arten des Jings beherrschen. Das positive Jing brauchst du zum Angriff, das negative für den Rückzug. Das neutrale gilt dafür, wenn du nichts tust. Der eigentliche Schlüssel zum Erdbändigen ist die Geduld. Du darfst nicht aufgeben, bis du es geschafft hast. Wie ich schon sagte, ist die Erde das Gegenstück zu Luft. Durch das Auftreten auf die Erde können Risse entstehen, du kannst damit aber auch Felsbrocken hochheben. Die gut trainierten Erdbändiger können sogar meilenweit ihre Umgebung sehen. Sie sehen alles, was auf der Erde steht oder liegt. Wir können auch staubiges Wasser oder Schlamm bändigen. Bei Sand jedoch haben wir starke Probleme. Eine Legende besagt, dass es einen Erdbändiger gab, der Kristalle bändigen konnte. Und Fortgeschrittene können Metall bändigen. Die erste Metallbändigerin hieß Toph. Aber das wichtigste: Du kannst kein Platin bändigen. Wenn Platin in Kontakt mit deinem Körper kommt, werden deine Bändigerkräft enorm geschwächt. Und das gilt nicht nur für Erde. Bitte merke dir, dass Platin nicht gebändigt werden kann!", forderte sie mich auf. Ich schluckte. Das mit dem Platin klang gar nicht gut und ich hoffte, dass ich nie mit Platin zu tun haben würde.
Nach dem Wissensberich widmeten wir uns dem Training, aber irgendwie klappte heute gar nichts. Ich schaffte es nicht die Erde aus den Behältern zu bändigen.
"Bestimmt fällt es dir nur schwer, weil wir uns über der Erde befinden. Wenn du möchtest, kannst du die Erde auf den Boden werfen, damit du sie richtig fühlst. Vergiss nicht, lass dich von der Kraft der Elemente leiten." Ich tat wie sie geraten hatte und streute Erde auf dem Boden aus. Ich trat sie glatt und schloss die Augen. Szu legte mir ihre warme Hand auf die Schulter und mit einem Mal durchströmte mich eine gewaltige Macht. Überall in meinem Körper schien es zu kribbeln. Ich stampfte auf die ausgelegte Erde auf, um mich herum stob die Erde auf. Ich öffnete die Augen. Auf Augenhöhe schwebte vor mir ein baskettballgroßer Erdball. Ich streckte meine Hand aus und ließ ihn in der Luft schweben. Szu nahm ihre Hand von meiner Schulter.
"Ich... ich hab es geschafft. Ich hab Erde gebändigt", jubelte ich, doch Szu erwiderte nichts.
"Szu?", fragte ich und richtete meinen Blick über die Schulter. Aber dort stand nicht Szu.
"Mads? Aber was...?" Eine entgeisterte Coral starrte mich an.


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