Schmerz

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»Hydra, warte mal!«, Gracen eilt hinter mir aus dem Klassenzimmer, seinen Schulranzen um nur eine Schulter geworfen. Er hat Mühe mich einzuholen und erwischt mich gerade noch an der Kapuze meines Hoodies. Es wundert mich, dass er mich überhaupt erwischt hat, nach dem Läuten bin ich direkt aufgesprungen und aus dem Klassenzimmer gehastet.

Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck drehe ich mich um und reibe mir meinen Hals, der zurückgezogene Hoodie hat ziemlich dagegen gedrückt.

»Was?«, ich habe keine Lust nach der unangenehmen Situation da drinnen noch mit irgendjemanden zu reden. Ich möchte einfach mit Jeremy stillschweigend in die Cafeteria gehen, mir mein Mittagessen holen und mich dann, natürlich mit ihm, mit meiner guten Freundin Zoe unter dem großen Baum in unserem Schulhof treffen und dort mein Mittagessen einnehmen, in der Cafeteria bekomme ich immerhin nur selten einen Platz.

»Was war da drinnen los, du bist doch sonst so schlagfertig?«, Gracen mustert mich, seine Augenbrauen hat er zusammen gezogen. Das macht er immer wenn er nachdenkt oder kritisierend ist. »Ich wüsste nicht was dich das angeht.«

»Es ist wegen ihm oder?«, mein Bruder spannt sein Kiefer an und ballt seine rechte Hand kaum merklich zu einer Faust, sodass seine Fingerknöchel weiß hervor treten. Ich senke automatisch meinen Blick. Natürlich ist es wegen ihm, du Idiot.

Alles ist wegen ihm.

Es fühlt sich an, als würde ich ertrinken, obwohl ich mich an Land befinde, es ist als würde ich von einem Baum fallen und bei dem harten Aufprall all die Luft und Lebensenergie von mir genommen werden. Als hätte ich Atemnot.

Als würden sich meine Knochen in mein Fleisch bohren, sich zusammenziehen und probieren mein Herz so stark zusammen zu quetschen, bis es wieder ganz ist, aber es kann verdammt nun mal nicht mehr ganz werden.

Wegen ihm, Gracen.

Am Liebsten würde ich meinem Zwillingsbruder all diese Dinge gegen den Kopf werfen, stattdessen beiße ich die Zähne zusammen und starre meine Schuhe an. Sean hat es gehasst, wenn ich geweint habe, es war in seinen Augen Schwäche.

Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb ich nun so sehr mit meinen Gefühlen zu kämpfen habe. Ich möchte nicht schwach wirken, nicht schwach sein. Ich will ich bleiben, dieselbe Hydra, die auch da war als Sean und ich noch ein Paar waren und teils gelingt es mir auch. Selbst wenn meine Handlungsschritte alle weit weg von Trauer sind, sind meine Gedanken mitten drinnen, gefangen in einer dunklen, leeren Welt.

»Es ist wegen Sean, oder?«, Gracen wiederholt seine Frage und ich zucke leicht zusammen. »Chill, es ist alles okay. Ich hab einfach etwas Kopfweh.«

Es ist tatsächlich wahr, dass ich Schmerzen habe. Das sich diese in meinem Kopf befinden, ist allerdings eine Lüge.

»Hör zu, Hydra, ich weiß, dass...«

Wütend sehe ich ihn an: »Kannst du mich bitte in Ruhe lassen? Es ist alles okay. Es ist nicht wegen Sean«, mit diesen Worten drehe ich mich um und gehe mit schnellen Schritten Richtung Cafeteria.

-

»Hier dein Essen, das Übliche. Das war es doch, was du wolltest, oder?«, Jeremy lächelt mich breit an und ich nehme ihm dankend das Tablett ab. Ich esse meistens dasselbe, da das Essen in unserer Cafeteria nicht unbedingt ein Hit war, im Gegenteil.

Das Essen schmeck nicht nur wie ausgekotzt, sondern es sieht auch so aus, und mal ganz unter uns- es gibt nicht einmal einen Beweis, dass es das nicht ist.

»Gehen wir nach draußen?«, mein Blick glitt zu der Glastür der Cafeteria, die in den Schulhof führte. »Es ist draußen kalt, das weißt du«, Jeremy musterte mich mit gerunzelter Stirn und ich verdrehte die Augen.

avenged Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt