Ich bin mir nicht sicher wie lange ich mich schon auf der Toilette befinde und wie lange ich bereits heule. Alles was ich weiß ist, dass meine wasserfeste Wimperntusche verschmiert ist.
Unter anderen Umständen hätte mich das sauer gemacht, immerhin haben die Entwickler extra noch wasserfest in dicken fetten neonfarbenen Buchstaben auf die Verpackung geschrieben, aber heute entscheide ich mich einfach, über diese Tatsache hinweg zu sehen.
Ich habe meine ganze Energie dazu verbraucht wegen Sean zu weinen, ihn und Melanie in Gedanken auf mehrere Weisen zu massakrieren und somit keine Kraft mehr mich wegen einer "wasserfesten" Wimperntusche aufzuregen.
Mein Zeitgefühl habe ich schon vor einer halben Ewigkeit verloren, ich könnte hier schon Stunden sitzen, oder erst Minuten.
Sean.
Seine Worte haben mich nicht verletzt, sondern die Art wie er es gesagt hat. So als wäre seine Zeit mit mir nur existent gewesen um ihn auf Melanie vor zu bereiten. Als wäre ich ein Übergang gewesen.
Ich schluchze kurz auf und wische mir mit eine Taschentuch, dass ich aus meiner Handtasche gefischt habe, das verschmierte Make-Up so gut es geht aus dem Gesicht und beginne alles in Frage zu stellen. Meinen Blick richte ich auf den weißen Fliesenboden der Toilette, er wirkt kalt und oberflächlich, während ich meine Hände auf meine Knie lege.
Das Bedauern, das sich in mir ausbreitet, wird ersetzt durch Wut, ich spüre, wie etwas in mir wächst und am Liebsten würde ich schreien, irgendetwas kaputt machen oder einfach weinen.
In mir bricht alles zusammen und ich bin mir nicht sicher wie ich damit umgehen soll. Da sind so viele Gefühle auf einmal, so viele Dinge, die mich überfordern. Wie soll ich mit allen gleichzeitig zurecht kommen?
Es ist als stände ich im Sturm, als würde der Regen um mich peitschen und Donner mich verschrecken. Als wäre ich mit einer Situation überfordert.
Es fühlt sich an als könnte ich nicht atmen, als würde ich ertrinken, obwohl da kein Wasser ist, als würde jede einzelne Nervenfaser in mir sich zusammen krümmen und auf den Tot warten. Meine Gedanken sind eine Mischung aus bunt und schwarz, eine Mischung aus weiß und rot.
Rot wie die Liebe?
Nein, rot wie der Hass.
Mich durchfährt ein spitzer Schmerz und ich zucke zusammen. Ich habe mir meine Fingernägel während meines Gedankenmonologs unabsichtlich tiefer als gedacht in meine Knie gebohrt. Mein Zeigefinger fährt behutsam über die Stelle, ich spüre die Abdrücke.
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, Tränen rinnen mir hinunter. Ich brauche etwas zu trinken, jetzt. Abgesehen davon, dass ich erst sechzehn und noch nicht einmal einundzwanzig bin und Alkohol in dem Alter mehr als nur verboten ist, scheiße ich auf die Alkohol-Regel.
Ich weiß, es hat seinen Grund und ich weiß, dass es ein Fehler ist wegen Sorgen ins Glas zu schauen, aber ich halte das nicht mehr aus. Ich brauche etwas, dass meine Gefühle dämmt, denn ich kann nicht mehr mit ihnen leben. Nicht in der hohen Dosis.
Meine Gedanken werden durch ein lautes Klopfen gegen die Tür unterbrochen.
»Ich muss mal aufs Klo!«, ich bin kurz davor auszurasten als ich Melanies Stimme höre.
»Du kannst mich mal! Geh auf das Klo oben, hier ist besetzt wie du sehen kannst!«, wütend trete ich gegen die Tür und ich kann mir ihr verdutztes Gesicht förmlich vorstellen. Ich warte noch einigen Sekunden bis sie weg ist und verlasse dann die Toilette um noch einen kurzen Blick in den Spiegel zu werfen und meinen Lippenstift nach zu ziehen. Meine Augen sehen besser aus als erwartet, ich denke so kann ich in die Öffentlichkeit gehen.

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avenged
Fiksi Remaja»Ist es nicht seltsam, dass sich Tag für Tag nichts ändert, aber wenn man in die Vergangenheit schaut, alles anders ist?« _____ Copyright by @letzteEinhorn Cover by @letzteEinhorn