Hilflosigkeit

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Es ist schwer  mit Verlusten umzugehen.

Auch wenn Lydia nicht gestorben ist, wurde ihr durch diesen Racheplan zu viel genommen- Ihr, einer Caspers engster Freundinnen!

Immer noch frage ich mich, ob er mich wirklich nieder fahren wollte. Kann es sein, dass alles was er gesagt hat gelogen war? Ist Casper ein Psychopath? Oder ist er einfach ein überreagierender Idiot?

Ich habe ihm nie etwas angetan, also wieso sollte er mich umbringen wollen?

Oder kann es sein, dass er mich nur verletzen wollte? Er hat gesagt, dass er mich liebt. Und ich habe ihm geglaubt. 

Es scheint als wäre da irgendeine Erinnerung aus meiner Vergangenheit, die ich übersehen und vergessen hätte. In Caspers Augen lag eine verdammt tiefe Verzweiflung, obwohl ich diejenige sein sollte, die hilfslos um sich blickt.

Ich wollte mit ihm reden, wirklich. Aber es ist schwer sich aufzuraffen und zu dem Typen zu fahren, der für all das verantwortlich ist. Aber eigentlich ist er das nicht.

Ich muss auf aufhören mich hinter Casper zu verstecken. Es ist nicht nur er schuld. Ich hätte mich nie auf die Rache Idee einlassen dürfen und vor allem nicht auf Caspers Plan.

Ich habe ihn schon immer gehasst und dieser Hass war so verstärkt, dass ich mit der Zeit vergessen habe weshalb. Vielleicht war es meine Intuition, die mir geraten hat, dass er böse war, oder mein Unterbewusstsein, aber jedenfalls habe ich diesen Rat überhört und ihm begonnen zu vertrauen.

Und dafür schäme ich mich.

Wenn ich nicht einmal auf mich selbst gehört habe, wieso sollte es dann je ein anderer tun? Wieso sollte mir jemals jemand glauben?

Meine Familie steht hinter Lydia, dass es mehr als drei Wochen her ist, seit sie mit dieser neuen Situation umgehen muss ist beinahe unglaublich. Mehr als das.

Die Zeit verfliegt und die Tage enden ohne begonnen zu haben.

Gracen hat mein Selbstmitleid nicht mehr ausgehalten. Er meinte es ändert nichts an Lydias jetziger Lage und er hat recht. Aber es ist schwer damit umzugehen, weil ich nicht viel daran unternehme mich daran zu gewöhnen.

Als ich jedoch heute aufgewacht bin, hatte ich das Gefühl, dass alles besser werden kann, auch wenn ich nicht wusste wieso. 

Klar, momentan ist alles scheiße und Lydias Prothese wird mich ein Leben lang an meine Leichtsinnigkeit erinnern, aber ich muss weitermachen. Und das Leben wird nicht besser indem ich warte. 

Während ich die Stiegen zum ersten Mal seit drei Wochen nach unten ins Esszimmer steige, braut sich etwas Merkwürdiges in meiner Magengegend zusammen. Ein schräges Gefühl.

Lydia sitzt neben Gracen, sie unterhalten sich tiefgründig und ich merke, dass diese Trauer in ihren Augen schwächer geworden ist. Es wird wahrscheinlich Monate um Monate dauern, bis sie sich komplett an diese Situation gewöhnt hat, ich bin mir nicht sicher, ob sie mir je vergeben kann.

Aber was ich weiß ist, dass ich mich entschuldigen muss.

Ich nehme langsam ihr gegenüber Platz und starre sie eine kurze Zeit an und als sie mich erblickt lächelt sie. Und sie lächelt froh.

»Hydra!«, es scheint als wäre sie so dankbar, dass ich nun endlich aus meinem Zimmer draußen bin, anders als ich verarbeitet sie diese ganze Sache komplett anders. In ihren liegt ein leichtes Funkeln, dass jedoch nach einer winzigen Sekunde wieder verschwindet.

Es ist das erste Mal, dass ich so richtig mit Lydia rede, seit dem Unfall. Ich habe mich schon bei ihr entschuldigt, aber das war eher in einer Schocklage. Das hier ist bewusst und mit ganzem Herzen. Ich versuche die richtigen Worte zu finden, starre sie einige Zeit lang nur an, sie in ihrem Rollstuhl, den sie momentan noch benutzt um nicht so viel laufen zu müssen, und während ich sie wie in einem Schockmoment, in dem die Zeit steht und nichts sich verändert, ansehe und verzweifelt überlege, wie ich meine Gedanken formulieren soll, sammeln sich Tränen in meine Augen und mein Hals fühlt sich ganz trocken an. 

avenged Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt