Stufe Zwei

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Es gibt Pläne, die einmal durchgeführt werden und dann erledigt sind.

Und es gibt Pläne mit 985916-Stufen. Diese stammen in den meisten Fällen von einem Typen namens Casper Parker.

Ich bin mir nicht sicher, was ich erwartet habe, doch ich schätze dabei hat es sich um etwas Anderes als ein spontaner Anruf von ihm gehandelt. 

Noch dazu nicht um einen die ich erst um elf Uhr abends entgegennehme. Vielleicht habe ich auch die ganze Zeit tief in mir drinnen, damit gerechnet, dass Stufe zwei so wie Stufe eins abläuft. Lange geplant, viel Vorbereitungen und vielleicht, was ganz schön wäre, mit einem Happy End. 

Doch in Wirklichkeit liege ich seelenruhig in meinem Bett und versuche zu schlafen, als mein Handy beginnt irgendein Lied, das ich schon lange abgehört habe, zu spielen. Als dann Caspers Name aufleuchtet, kann ich nicht anders als die Augen verdrehen. 

»Ich hab die Dosen!«

»Kein Hi? Kein Hallo? Kein tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken?«, ich kann nicht anders als zu schmunzeln, Casper verdreht nur die Augen.

»Keine Zeit! Ich stehe vor der Schule, versteckt hinter den Müllcontainern. Sean wird in wenigen Minuten dasein. Komm schnell vorbei. Und wenn es geht dann zieh einen schwarzen Hoodie und eine schwarze Jean an«, seine Stimme klingt hektisch, leise und durchdringlich. Kurz erstarre ich und versuche zu realisieren was er vor sich hinbrabbelt.

»Moment. Redest du von der zweiten Stufe des Plans?«, ich verziehe leicht das Gesicht und es dauert kurz bis Casper antwortet.

»Nein, vom Nikolaus«, selbst in dieser Situation klingt er noch so sarkastisch, dass ich mir tatsächlich vorstellen kann, wie er die Augenbraun hochzieht. Dieser ironische Unterton in seiner Stimme... Ich schüttle den Kopf, um negative Gedanken zu vertreiben. Aber irgendwoher kenne ich den Ton, dessen bin ich mir sicher. 

»Okay, Genie, und wie soll ich dort hin kommen?«

»Mit dem Auto natürlich?«, er klingt verwirrt und ich werfe einen Blick durch mein dunkles Zimmer. Ich muss leiser reden. Gracen schläft schon, oder er spielt Handy. Aber Mom mag es nicht, wenn wir spät abends noh laut telefonieren. 

Ich seufze auf, »Casper du Intelligenzbestie, du weißt doch ganz genau, dass ich keinen Führerschein habe und immer bei meinem Herzallerliebsten Bruder, Lydia oder einem meiner Freunde mitfahre?«

Es sit still. Ich weiß nicht für wie lange, ob es Minuten, Sekunden oder Stunden sind, aber eines weiß ich: Damit hat er nicht gerechnet. 

»Okay, okay. Ich hol dich ab. Wir verlieren Zeit, aber mit etwas Glück und gutem Timing geht es nicht aus«, für einen kurzen Moment scheint es so, als würde er mit irgendjemanden flüstern, aber dort ist niemand, nur er. 

Daraufhin spricht er weiter. 

»Okay, Planänderung. Ich bin das Ganze nocheinmal durchgegangen. Ich befinde mich jetzt vor der Schule, immer noch hinter den Müllcontainern. Sean ist gerade angekommen und steht vor der Mauer, die in ein paar Minuten mit unseren wunderschönen Sprühkunstwerken verziert ist. Ich werde ihn fotografieren und dann wird er abhauen, wenn alles nach Plan verläuft. Er wollte sich hier mit Melanie treffen, die gehen jetzt noch zu irgendeiner Party nur eine Straße weiter«, Casper senkt seine Stimme und ich höre ein Rascheln. Ich würde gerne wissen, was bei ihm abgehe tund wieso er den Plan so gut wie ohne mich durchzieht, immerhin bringt mir das dann auch nichts.

Es vergeht Zeit. Ich mache mein Handy auf Lautsprecher, aber sorge dafür, dass es nicht zu laut ist, sodass Mom oder Gracen nicht wachwerden. Oder Lydia. Sie ist heute früher ins Bett, weil sie morgen eine wichtige Prüfung hat. 

Und dann ziehe ich mich an. Schwarz, wie Casper es mir geraten hat. Ein großer Hoodie von meinem Bruder, bei dem mir die Kapuze bis tief ins Gesicht hängt. Eine schwarze nicht enge Jean. Meine Haare binde ich zusammen. 

Und während ich mir ausmale, welche Schuhe ich anziehe und auf weitere Anweisungen warte, erinnere ich mich selbst ein wenig an die Hauptdarstellerin aus Revenge. Wann immer sie auf eine geheime Vergeltungsmission geht, was ziemlich oft ist, und sie wo einbricht, dann trägt sie auch schwarz. Nur, dass wir nirgendwo einbrechen. Wir verunstalten Privateigentum. 

Eigentlich habe ich Graffiti nie als sonderlich schlimm empfunden, aber man kann tatäschlich ins Gefängnis kommen und hohe Geldstrafen zahlen. Meine Familie hat eigentlich viel Geld, aber dennoch hätte ich deswegen Sorgen. Ich will niemanden enttäuschen- Am wenigsten mich selbst. 

»Sean und Melanie sind jetzt weg«, höre ich Casper sagen, dieses Mal spricht er ein wenig lauter. 

»Hast du ein Foto?«, meine Stimme klingt immer noch gesenkt. 

»Ja«, ich höre das Knallen einer Autotür. »Ich steige jetzt in den Wagen und fahre zu dir. Mach dich bereit, ich bin in ein paar Minuten da.«

Mit den Worten legt er auf. Ich lass mein Handy in meine Hosentasche gleiten und verlasse leise mein Zimmer. Als ich an Gracens Zimmer vorbeigehe, sehe ich einen dünnen Lichtspalt, weswegen ich mir sicher bin, dass er tatsächlich noch am Handy ist. 

Ich tapse leise die Stiege nach unten, versuche nicht zu poltern und kaum ein Geräusch von mir zu geben. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich nervös. 

Mein erstes Problem ist, dass ich Mom nicht aufwecken kann. Morgen ist Schule und das bedeutet, dass sie mich nicht mehr rauslässt, wenn sie mich erwischt. Mein zweites problem ist meine scheußliche Angst, dass wieder etwas schief geht. 

Und das dritte Problem ist, dass ich so verdammte Schuldgefühle habe, weil ich Sean so etwas anhänge. Und das ist das größte Problem.

Er hat es verdient und ich will ja auch, dass er es zurück gezahlt bekommt, aber ich glaube, dass ich nun endlich über ihn hinweg bin. Ih habe eindeutig keine Gefühle mehr für ihn. Und ich kann mich eindeutig mit der Tatsache, dass er mit Melanie zusammen ist, abfinden. 

Was mich nervt ist aber eben Melanie. Er soll glücklich werden, was immer er will.

Aber sie will immer nur das, was ich habe. Wenn Casper und ich Chancen haben vielleicht wirklich eines Tages zusammen zu kommen, dann will sie mir diese nehmen. 

Ihr geht es um das Erobern, um das Rumkriegen und anderen Nehmen, nicht um die Person selbst.

Dessen bin ich mir sicher. 

Sie hat Sean, jetzt will sie Casper. 

Ich wähle meine ausgelatschten schwarzen Converse aus, die ich auch sonst immer trage. Schlicht und obwohl ich auf so einer Mission bin, bleibe ich meinem Style treu.

Eigentlich mache ich diesen ganzen Racheplan nur noch für Casper. Weil ich seinen Worten »Danach fühlst du dich besser« glauben schenke. 

Aber auf der anderen Seite- Was wenn das Letzte, das meinem entgütigen Glück im Weg steht, loslassen ist? 

Ich versuche die Gednaken aus meinem Kopf zu vertreiben. Casper hat sich super reingehaut in den Plan, das wird klappen. Alles wird klappen.

Und wer weiß, vielleicht geht es mir danach wirklich besser.

Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich nachgedacht habe, aber es ist Zeit vergangen. Als ich das Haus verlasse und die Türe leise hinter mir ins Schloss fallen lasse, sehe ich wie Casper seinen Wagen vor mir hält. Er stellt nicht mal den Motor ab, wartet einfach darauf, dass ich einsteige.
Und das tue ich.
Und so unterzeichne ich mein Schicksal.

avenged Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt