15. Alles andere als einfach

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Alles andere als einfach

Ich bin unendlich erleichtert, als ich meine Schwester am nächsten Morgen in der Schule entdecke. Stürmisch gehe ich auf sie zu und reiße sie an der Schulter herum, als ich bei ihr angelangt bin.

"Was soll denn das? Wieso meldest du dich nicht mehr bei uns?", frage ich sie aufgebracht, weswegen sie mich aber nur verdutzt ansieht.

"Ja, was?", ich werde immer lauter, "Wir machen uns auch Sorgen." Wild fuchtele ich mit meinen Armen in der Luft rum, doch sie fängt einzig an los zu prusten.

"Ich bezweifel, dass ihr euch Sorgen macht", erwidert sie, als würden wir uns einen Dreck um sie scheren.

Erbost hebe ich meinen Zeigefinger. "Findest du das fair? Wir sind doch eine Familie. Wir drei, eigentlich müssen wir zusammen halten", rede ich weiter. Ich kann nicht glauben, dass sie denkt, uns wäre es egal, wenn sie über Nacht nicht auftaucht und wir auch sonst kein Lebenszeichen von ihr erhalten.

Ihr Gesichtsausdruck ändert sich. Ich hatte zwar gehofft, meine Worte würden was bewirken, aber damit gerechnet, habe ich, ehrlich gesagt, nicht. Offen bin ich wirklich etwas baff.

"Entschuldige", murmelt sie. "Die Sache mit Blake, ich bin durcheinander."

"Kommst du heute denn dann wieder nach Hause? Du kannst doch auch mit uns darüber reden", mütterlich lege ich meine Hand auf ihre Schulter, rechne aber eigentlich damit, dass sie sie weg stößt. Es bleibt aus.

"Ich bin heute Abend Zuhause", verspricht sie. "Aber jetzt muss ich."

Mit einem Nicken verabschieden wir uns voneinander und sie verschwindet mit ihren Freundinnen in die entgegengesetzte Richtung. Mit einem großen Seufzer drehe ich mich zu Tam und Cara.

"Sie ist momentan so anstrengend", gebe ich von mir. "Wir hatten nie das beste Verhältnis, aber was momentan los ist, ist der absolute Oberhammer."

"Das wird schon wieder", gibt Cara optimistisch von sich, doch meine Zweifel daran werden nur immer größer.

"Na, wenn du dir da so sicher bist", erwidere ich, woraufhin wir uns alle unsicher ansehen. Schließlich füge ich hinzu: "Aber los jetzt. Wir müssen auch." Jeder richtet seine Tasche und wir alle schauen uns an, als warten wir nur darauf, dass der erste los geht. Die Motivation für den Unterricht ist heute gleich Null.

"Jules!", höre ich es rufen und drehe mich daraufhin in die Richtung, aus der die Stimme meines Bruders kam. "Warte mal."

Ich sehe, wie er wild mit den Armen in der Luft rum fuchtelt, während ich ihm entgegen gehe. "Ich hab Clara gerade 'ne Ansage gemacht; ich glaube, sie hat verstanden, dass das so nicht geht", erzähle ich sofort, als er vor mir steht. Er wirkt aus der Puste und ein wenig durcheinander.

"Gut", sagt er zwar, doch es ist offensichtlich, dass ihm etwas anderes auf dem Herzen liegt.

"Was ist los?", möchte ich sofort wissen. Er sieht aus, als gäbe es Probleme und ich habe Angst. Eigentlich will ich nur, dass einmal alles in Ordnung ist.

"Unsere Eltern haben sich gemeldet", erklärt er und unwillkürlich verdrehe ich die Augen.

"Welch eine Ehre", rufe ich sarkastisch.

"Sie wollen Freitag kommen", fährt er fort, ohne auf meine Anmerkung eingegangen zu sein.

Theatralisch werfe ich die Arme in die Luft, während ich mit voller Ironie zurückgebe: "Na, sollen sie doch. Wir freuen uns alle schon tierisch."

Etwas ratlos fährt er sich mit der offenen Hand quer über's Gesicht. "Die kommen nie, wenn sie nicht was wollen."

"Andrew, sie kommen nie. Selbst, wenn sie was wollen", gebe ich zurück. "Spätestens Donnerstag wird der Besuch gestrichen" - als könnten sie uns einfach aus ihrem Leben streichen, als wären wir irgendein Geschäft, füge ich giftig stumm hinzu - "Mach dir keinen Kopf." Aufmunternd lächle ich ihm zu, was ihn dazu bringt, kurz seine Arme um mich zu legen.

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