33. Der verstummte Hurensohn

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Der verstummte Hurensohn

„Vergiss es", ruft Andrew empört, nachdem ich ihm meinen Plan präsentiert hatte, was mich zum Augenrollen bringt. Obwohl seine Fürsorge ja eigentlich ziemlich süß ist.

„Aber", beginne ich, doch werde sogleich unterbrochen.

„Jules, nein. Ich werde hier nicht seelenruhig im Auto sitzen bleiben, während du diesen dummen Leuten irgendwas beweisen möchtest. Du warst letzte Woche nicht da und es war da schon schlimm, also bilde dir jetzt nichts ein, ich werde mit kommen, verstanden?" Gegen diese Worte würde ich nicht mehr ankommen. Also entscheide ich mich dazu, schweigend die Autotür aufzureißen und an die Luft zu treten. Und plötzlich bin ich froh, dass Andrew sich nicht von mir abwimmeln lassen hat, sondern neben mir steht. Zwar sind noch nicht besonders viele Schüler auf dem Pausenhof, doch die, die sich bereits dort aufhalten, reichen mir schon aus. Es herrscht Totenstille, während ich da lang laufe. Jeder sieht zu uns, sogar die kleinen Schüler aus der Unterstufe starren. Plötzlich wird mir bewusst, was sie alle meinten. Und in mir kommt der Wunsch auf, wieder zu verschwinden. Wie sollte hier je wieder Ruhe rein kommen? Ich werde doch für immer die Gestörte bleiben. Auswandern - das sollte ich.

Andrew flüstert mir zu, ohne dass wir den Blick von den anderen abwenden: „Achte nicht zu sehr auf der ihr Gerede."

Der hat leicht Reden. Die ganze Schule verachtet mich, wie soll man da nicht drauf achten? Hoffentlich hat noch kein Lehrer davon mitbekommen - was sollten die sonst nur von mir denken? Und ich will doch meinen verdammten Abschluss noch machen.

Mit dem letztlichen Betreten des Schulhauses wird es nicht besser; im Gegenteil: Hier halten sich mehr Schüler auf, natürlich sind eine größere Anzahl an Blicken noch unangenehmer.

„Du kannst jetzt aber wirklich gehen", meine ich, denn gleich müssten eh Cara und Tam neben mir erscheinen.

Andrew schüttelt stumm den Kopf. Seufzend folge ich ihm also, sehe dabei zu Boden, um mir einreden zu können, dass es die anderen um uns nicht gibt. Zusammen steuern wir meine Freundinnen an, die im Foyer neben den Stühlen stehen. Während ich die beiden umarme, ertönt die Stimme meines Bruders: „Passt auf sie auf, okay?"

Selbstbewusst schleicht sich ein Grinsen in Tams Gesicht. „Aber hallo."

Cara streicht sich eine verirrte Strähne hinters Ohr, sie sieht weniger überzeugt aus, doch lässt ihre Worte anders klingen: „Tyler müsste auch gleich kommen, sollte irgendwer was sagen, hilft er auf jeden Fall."

Ich kenne sie allerdings zu gut, sie haben Angst. Vielleicht sogar mehr als ich selbst. Mein Bruder merkt es ihnen wahrscheinlich nicht an, doch wir wissen alle, dass diese Selbstsicherheit nur Show ist.

Trotz allem wende ich mich wieder an ihn: „Siehst du? Wir packen das. Geh du jetzt zu deinen Freunden. Und ich verspreche dir, sollte wider erwartend doch irgendwas sein, dann komm ich und hole dich, großer Bruder, einverstanden?"

Er sieht nicht glücklich aus, mich alleine zu lassen, atmet tief durch und ringt mit sich. Doch schließlich verspricht er: „Sollte irgendetwas sein oder ich irgendwas mitbekommen, komme ich sofort."

Aufmunternd lächele ich. „Geh jetzt", gebe ich sanft von mir.

„Bis nachher", meint er noch, ehe er sich langsam von uns dreht und dann verschwindet.

So drehe ich mich wieder zu meinen Freunden. Trotz der bedrückten Stimmung und dem Wissen, dass so gut wie alle zu uns sehen und die, die es nicht tun, tratschten über uns - über mich und meine Freunde, die sogar nach meinen vermeintlich kranken Aktionen immer noch zu mir standen -, beginnt Cara zu fragen: „Irgendwas neues bei dir?"

Ich schaue mich kurz verstohlen um, ob auch ja niemand nah genug an uns dran steht und meine dann: „Er war gestern da. Betrunken, aber trotzdem. Und Clara hat deswegen mal keinen Aufstand gemacht."

Mit Absicht spreche ich seinen Namen nicht aus, ich will ja nicht dafür sorgen, dass noch mehr Gerüchte in Umlauf gebracht werden. Vielleicht würde ja gesagt werden, dass ich ihn abgefüllt und dann mit zu mir nach Hause geschleppt hatte. Oh Gott, was für Menschen hier rum laufen. Um irgendwelchen Gefahren aus dem Weg zu gehen, füge ich hinzu: „Aber ich glaube, hier ist nicht der beste Ort, um darüber zu reden."

Ihre etwas verwirrten Gesichter wandeln sich in wissende und sie nicken mir zustimmend zu. „Magst du vielleicht heute Nachmittag drüber sprechen? Wir könnten ja ins Shoppingcenter gehen", schlägt Cara vor und wendet sich an Tamara: „Kannst du auch?"

Entschuldigend meint sie: „Leider nein, ich muss mit meiner Mom noch was wegen der Scheidung klären gehen. Aber vielleicht kann ich ja nach kommen. Und wenn nicht, dann telefonieren wir heute Abend einfach, Jules."

Ich nicke verständnisvoll. „Klar. Aber Cara, ich hab Zeit." Doch ihr Blick liegt nicht mehr auf mir, stattdessen sieht sie geradewegs an mir vorbei, mit geweiteten Augen, was mich dazu bringt, verdutzt hinter mich zu blicken. In diesem Moment tippt mich jemand an der Schulter an, doch ich kenne das Gesicht nicht. Irgendein wildfremder Typ steht also da.

Mit gerunzelter Stirn frage ich: „Was willst du?"

Und ich weiß sofort, dass dieser Junge nur Ärger bedeuten kann. „Dich fragen, wie man sich so als Stalkerin fühlt."

Genervt verdrehe ich die Augen, doch antworte nicht. Das übernimmt Tamara: „Verpiss dich, du Idiot."

Ihre Worte hätten mich zum Schmunzeln gebracht, doch solange dieser Arsch vor mir steht, verziehe ich keine Miene. „Du musst doch richtig dumm im Kopf sein. Und vor allem: Was hast du dir denn davon erhofft? So scheiße wie du aussiehst, hättest du doch-"

Ehe er seinen dummen Satz beenden konnte, liegt eine Faust mitten in seinem Gesicht. Irgendwie bin ich froh, dass ihn jemand zum Schweigen gebracht hat, denn drei Mädchen wären gegen einen großen, leicht muskulösen, Typen sicher nicht angekommen. Auch, wenn das für Blake sicher Ärger bedeutet. Aber sollte er jemanden von den Umständen berichten, haben die Lehrer bestimmt, zumindest etwas, Verständnis.

„Ich zeig dir mal, was scheiße aussieht, du scheiß Hurensohn", brüllt Blake ihn an, während er ihn gegen die Wand drückt. Er ist ihm körperlich deutlich überlegen. „Fühlt sich nicht so cool an, bedrängt zu werden, was?"

Gebannt verfolge ich das Geschehen. Der ekelhafte Arsch sieht aus, als würde er gleich heulen. Große Klappe nichts dahinter, anscheinend.

Blake drückt noch einmal fester zu. „Ich hab dich was gefragt", wiederholt er und klingt eiskalt.

Die Leute, die vorher reichlich Abstand zu mir gehalten haben, stehen plötzlich direkt neben mir und zum ersten Mal an diesem Tag interessieren sie sich nicht für mich, sondern sehen zu den beiden Jungs.

Der Arsch schüttelt den Kopf, seine Nase blutet, sein Gesicht sieht verschwitzt und völlig fertig aus, doch er meint dann zitternd: „Ich wollte der doch bloß sagen, wie-"

„Du brauchst ihr gar nichts sagen. Du lässt sie in Ruhe, hast du das verstanden?", bevor er ihn los lässt, erhöht er den Druck auf ihn erneut. Dann wendet er sich an die gesamte Schar. „Und ihr auch. Sie hat absolut nichts getan, damit ihr Pussies es wisst. Kümmert euch um euren eigenen Scheiß."

Verdutzt sehen sie alle zu ihm, dann zu mir. Blake schenkt mir einen kurzen Blick, nickt mir zu, doch geht dann wieder. Gefolgt von Milo. Und ich bin zu überrascht und geschockt, als dass ich reagieren könnte. Mir war klar, dass er den ganzen Mist mitbekommen hat - wie hätte er auch nicht -, aber ich hab doch nicht mit einer derartigen Aktion gerechnet.

„Wow", erklingt Caras Stimme, woraufhin ich mich zu ihnen drehe, „er hat zwar letzte Woche auch immer mal wieder was gesagt, aber das übersteigt gerade meine Erwartungen."

Die Massen um uns verteilen sich wieder, jeder ist überrascht. Vielleicht konnten ja so all diese dummen Gerüchte endlich aus der Welt geräumt werden.

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Ich hoffe, ihr hattet angenehme Tage & habt das neue Kapitel genossen! 

Bis nächste Woche.

- Cynthia <3

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