19. Komische Menschen

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Komische Menschen

Am nächsten Montag sitze ich gerade auf meinem Bett und ziehe ich mir meine Socken an, als es an der Tür klopft.

"Ja?", rufe ich zögerlich. Kurz darauf wird die Tür sachte geöffnet und meine Mutter tritt, zusammen mit meinem Bruder in mein Zimmer.

"Können wir kurz reden?", gibt sie ruhig von sich, während sie etwas unsicher zu meinem Bruder sieht. Auch ich schaue zu ihm, möchte ihn mit meinem Blick fragen, was das hier soll, woraufhin er nur mit den Schultern zuckt.

Genervt seufze ich. "Von mir aus." Ich streife frustriert über meine Decke - ich wusste ja, dass es zu einem Gespräch kommen muss, nur hatte ich gehofft, noch etwas Zeit zu haben. Meine Wut von Freitag ist etwas verflogen, dafür spüre ich größer denn je, wie enttäuscht ich eigentlich von ihnen bin. Dass sie nie für uns da waren, dass sie sich augenscheinlich nie um uns gesorgt haben, dass wir ihnen nichts wert waren und vor allem, dass sie nicht begreifen, was unser Problem ist. Dass sie uns im Allgemeinen nicht verstehen, weil sie uns nie im wirklichen Alltag erlebt haben.

Unentschlossen blickt meine Mutter meinen Sessel, der direkt neben meinem großen Schreibtisch steht, an; mein Bruder setzt sich geradewegs neben mich aufs Bett. "Darf ich?", möchte meine Mutter zaghaft wissen, doch mir ist es egal.

"Mach doch", gebe ich zynisch zurück.

Andrew greift sofort nach meiner Hand, drückt sie fest, womit er mir wohl klar machen möchte, dass er da ist. Und das immer. Mit einem zusammengekniffenen Lächeln sehe ich zu ihm. Mittlerweile hat sich meine Mutter gesetzt, sie fängt vorsichtig an: "Ich kann verstehen, dass ihr uns nicht mit offenen Armen empfangt."

"Ist ja auch verständlich, oder?", erwidert Andrew sofort und verdeutlicht damit, dass er, selbst wenn sie einen auf verständnisvoll macht, nicht gut auf sie zu sprechen ist. Sie muss mit dieser Nummer also auch gar nicht erst anfangen.

"Ja", fährt sie leicht geknickt fort, nickt währenddessen, "und ich möchte auch mal gesagt haben, dass wir stolz auf euch sind. Ich weiß Andrew, dass es nicht immer leicht war und ich weiß auch, dass das alles gar nicht hätte dein Ding sein müssen. Die Kindermädchen hätten etwas sein müssen, was dich nicht belastet, aber weil wir nie da waren, waren sie das. Wir haben aber auch nie, wirklich nie, euch schaden wollen. Ganz im Gegenteil: Wir wollten euch die bestmögliche Kindheit ermöglichen, mit allem, was dazu gehört und -"

Ich lache sarkastisch auf, weswegen sie aufhört zu reden: "Meinst du nicht, zu einer tollen Kindheit gehören die Eltern und keine Kindermädchen?" Kindermädchen, die wir nie mochten, die Andrew uns schön reden musste. Er war früh sehr reif und immer der Erwachsene bei uns gewesen. Unsere Eltern wissen gar nicht, wie sehr sie ihn schätzen müssen.

"Ihr hattet eine tolle Kindheit, das könnt ihr nicht bestreiten", ruft sie aufgeregt dazwischen und zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass sie sich selbst dessen gar nicht sicher ist. Vielleicht haben sie das immer nur gesagt, damit sie es sich selbst einreden können.

"Woher willst du das denn wissen? Ihr wart doch nie da!", entgegne ich genauso aufgebracht.

Sie fässt sich an die Stirn, versucht offensichtlich sich zu beruhigen und meint irgendwann schließlich: "Gut. Ich verstehe, dass ihr sauer seid und wenn ich richtig liege, wird sich das so schnell wohl auch nicht ändern?"

Fragend sieht sie uns an, ich seufze nur, Andrew ist es diesmal, der das Wort übernimmt. "Wir sind nicht sauer, aber offensichtlich begreift ihr das ja nicht. Das, was ich nur noch sagen kann, ist, Jules und ich sind uns einig, dass wir keinen Dauerstunk hier Zuhause wollen. Auch Clara zuliebe."

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