Ratlosigkeit
Müde raffe ich mich am nächsten Morgen auf. Ich würde tatsächlich heute die Schule schwänzen, wäre ich nicht letzte Woche schon krank gewesen. Aber so muss ich doch gehen.
Andrew fragt während der Autofahrt ab und an mal, wie es mir geht, doch mir ist nicht nach reden, weshalb ich einzig schweigend aus dem Fenster sehe. Auch Claras drängende Stimme kann das nicht ändern. Die ganze Zeit schon zweifel ich an meiner Entscheidung - hätte ich uns nicht einfach glücklich werden lassen können? Hab ich uns möglicherweise unnötigen Leid zugefügt?
Die Blicke sind heute schon weniger intensiv, natürlich lassen sie nicht alle gleich ihre Augen von mir, doch irgendwie interessiert mich das heute so gar nicht. Starr geradeaus blickend laufe ich neben meinem Bruder in das Gebäude, verabschiede mich dort von ihm, woraufhin er aber doch noch einmal fragt: „Alles gut bei dir?" Er schaut besorgt drein; wissend, wie sehr mich der ganze Mist mit Blake mit nimmt. Auch, wenn er unsere Freundschaft, oder was auch immer es war, nie gut geheißen hat, will er nur, dass ich glücklich bin.
Ich zucke mit den Schultern, ringe mir dann aber doch ein verkniffenes Lächeln ab und nicke. „Geht schon."
Er presst die Lippen aufeinander, während er mir eine Hand auf die Schulter legt. „Du schaffst das schon. Bis nachher."
Zum Abschied hebe ich die Hand, ehe ich mich auf den Weg zu meinen Freunden mache. Heute begrüßen sie mich mal nicht mit Worten, sondern stürzen auf mich und verteilen Kuscheleinheiten. Es ist diese Nähe, die ich gebraucht habe; ich bin nicht alleine.
„Wie geht es dir?", fragt Tam fürsorglich, während sie mich eine Armeslänge von sich entfernt hält. Cara sieht von der Seite aus direkt zu mir, fragt mit ihren Worten, was Tam ausgesprochen hat.
„Könnte besser sein", gestehe ich, versuche aber gleichzeitig nicht zu jammern. Ich habe schließlich so entschieden.
Sie versuchen mit ihren Blicken mir Mut zu machen, sehen mich aufmunternd an, und ich zwinge mich, daran zu glauben. Morgen sieht die Welt bestimmt schon wieder besser aus.
Nach kurzer Schweigephase ist Tamara es, die das Wort wieder übernimmt. „Aber Jules", beginnt sie, „wenn es dir mit deiner Entscheidung so schwer fällt, ähm."
Abwartend sehe ich sie an, auch Cara blickt zu ihr, sie scheint aber eher als ich zu verstehen, was Tam uns sagen will, denn sie fährt für sie fort: „Hast du nicht schon einmal dran gedacht, ihm doch noch eine Chance zu geben?"
Betrübt spiele ich mit meinen Fingern, fahre mir dann mit ihnen durch die Haare, ehe ich seufzend erwidere: „Doch, schon, um ehrlich zu sein. Aber ... Aber das kann doch nicht gehen."
Hastig schüttelt Tam ihren Kopf. „Wieso nicht? Er liebt dich, hat er doch selbst gesagt und versuchen kann man es doch", meint sie also letztlich und klingt dabei sehr überzeugt.
Cara fügt hinzu: „Und schau doch mal, wie sehr du darunter leidest. Vielleicht bereust du irgendwann deine Entscheidung und dass du es nicht wenigstens probiert hast."
Doch bestimmt schüttele ich den Kopf. Warum zweifeln alle? Warum zweifel auch ich? Warum bin aber gleichzeitig der Meinung, dass es nicht funktionieren würde? „Ich würde gerne, Leute, aber das klappt nicht. Das, was hier los war, war doch nun der Beweis genug, oder? Wenn das wieder schief geht, muss ich den ganzen Mist noch einmal ausbaden und das kann ich nicht", gebe ich ehrlich von mir.
Stumm machen wir uns nach diesen Worten auf den Weg zu unseren Schließfächern. Auch, wenn ich mich heute wahrscheinlich überhaupt nicht auf den Stoff konzentrieren kann, dafür ist zu viel passiert in den letzten Tagen. Hoffentlich leiden meine Noten nicht auch noch darunter.
„Hey", stupst Cara mich irgendwann an und reißt mich so aus meinen Gedanken, „aber egal wie es weiter geht, wir stehen hinter dir, okay?"
Müde lächele ich ihnen entgegen. „Danke", nuschele ich.
In genau diesem Moment kommt Tyler zu uns, nimmt Cara in den Arm und gibt ihr einen kleinen Kuss. „Hi", begrüßt er sie, ehe er sich an uns wendet. „Was ist bei euch so los? Wie geht's dir heute, Jules?"
Wie wirklich jeder fragt, ob es mir gut geht. Verdammt, nein, wie soll es mir schon gehen? Und dann bedenke ich mich wieder, nicht so garstig zu sein; sie können alle nichts dafür, sondern wollen mir nur helfen.
„Geht", wiederhole ich, was Cara mit einem Schulterzucken unterschreibt. Tyler begreift anscheinend und trampelt nicht länger darauf herum.
Wir biegen gerade um die Ecke, da kann ich meinen Spind schon ausmachen. Er hebt sich deutlich von den anderen ab, die Schmierereien lassen ihn förmlich strahlen. Cara zieht harsch die Luft ein und zischt sogleich: „Solche Arschlöcher."
Wortlos bleibe ich vor ihm stehen, betrachte das Gekritzel. Etliche Schimpfwörter schmücken ihn, viele Zettel mit noch mehr Beleidigungen hängen an dran. Ich muss meinen Blick abwenden, sehe dafür wie Blake zusammen mit Milo auf uns zu stolziert. Er sieht mir kurz nichtssagend in die Augen, vielleicht ist er verletzt, vielleicht ist da aber auch nichts; ich weiß es nicht; ehe sein Blick schließlich auf mein Schließfach fällt. Mit hochgezogenen Augenbrauen nimmt er den Dreck zur Kenntnis, welchen er dann von der Tür reißt. Ohne noch etwas zu sagen, marschiert er weiter. Milo aber verweilt noch kurz auf seinem Platz, sieht uns dabei nacheinander an, aber auch er wirkt ratlos.
„Scheiße, Kleines", flucht er, „was hast du nur aus ihm gemacht?"
Das könnte ich ihn auch fragen. Was hat er nur aus mir gemacht? Kann doch nicht wahr sein, dass ich so durch den Wind wegen ihm bin. Das kenne ich einfach nicht. Und erst recht nicht wegen so einem Jungen. Frustriert schüttelt er seinen Kopf, folgt dann aber Blake.
„Krass", kommentiert Tyler schließlich, „ich hätte nie gedacht, dass es ihn wirklich so sehr mit nimmt."
Cara sieht fragend zu ihm. „Was meinst du?"
Wir bewegen uns alle ein Stück zur Seite, damit wir nicht den ganzen Gang blockieren. Dann erklärt er: „Na ja, ich hatte beim Rauchen mal mit ihm gesprochen. Klar, er wirkte irgendwie anders, und hat auch plötzlich von Jules gesprochen, aber immer hin ist es Blake, oder? Ich dachte, das würde sich gleich wieder legen. Aber wenn ich das so sehe."
Entschuldigend sieht er mich an. Mein Blick geht wieder zum Gang; dahin, wo Blake vorhin verschwunden ist. Ich kann nur hoffen, dass Tyler mit seiner Vermutung richtig lag. Hoffentlich legt sich das bald wieder alles.
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Knicklichter
Romance"Das heißt, dass wir es lassen sollten", sage ich, auch wenn es mich traurig macht. "Weil wir in einer Stufe sind", stellt Blake fest. Unmerklich schüttel ich den Kopf: "Und weil du du bist und ich nicht damit klarkomme, wenn du mich nochmal verle...