Thanksgiving
Meine Laune ist, wie man es sich bereits denken kann, während der ganzen Fahrt am Tiefpunkt.
"Denken sie wirklich, dass jetzt wieder alles gut wird?", frage ich erneut frustriert und Andrew wirft mir nur einen ratlosen Seitenblick zu.
"Ehrlich gesagt, weiß ich selbst nicht, was sie sich erhoffen."
"Und vorallem, was sich Clara erhofft. Wieso ist sie so, so, so -"
"Gutgläubig? Blind? Naiv?", unterbricht er mich.
"Genau."
"Ich schätze, sie will bloß diese heile Familie endlich. Das, was sie in ihrem ganzen Leben noch nicht hatte. Während alle anderen Kinder von ihren Müttern aus dem Kindergarten und später aus der Schule abgeholt wurden, musste sie immer verzichten. Vielleicht liegt es daran", gibt er weise von sich, blickt dabei stur geradeaus und lenkt auf den Parkplatz der Schule.
"Ich wünschte, sie wäre auf unserer Seite", seufze ich; verstehe gleichzeitig aber auch, was er meint. Vielleicht bin ich ihnen gegenüber genau deswegen so verbittert: Sie haben mir die Kindheit genommen, in der ich eine glückliche, vollständige Familie habe. Stattdessen war da immer nur Andrew, als große Beschützerperson. Wobei das jetzt umgerechnet klingt, er ist wunderbar.
"Komm mal her", er breitet seine Arme aus, nachdem er das Auto geparkt und sich in meine Richtung gedreht hat. Etwas durch den Wind schmeiße ich mich an ihn. "Ich hab dich lieb, hörst du? Wir haben bisher auch alles ohne sie gepackt."
"Hm", nuschele ich, mit geschlossenen Augen. " Ich hab dich auch lieb."
__
Der Nachmittag verläuft grottig. Milo hat überhaupt gar kein Interesse daran, hier rum zu stehen und vergebens darauf zu warten, dass sich jemand unser Plakat anschaut. Zugegeben, ich mache das auch alles andere als gerne, aber der Unterschied zwischen uns beiden ist nun einmal, dass ich ihn niemals einfach hätte stehen lassen.
Also ist er weg, und alle anderen, mit denen ich hätte reden können, haben ihre eigenen Sachen zu tun.
Ich will nach Hause.
Doch nachdem mir einfällt, wer noch da ist, beschließe ich, dass ich da doch nicht hin will.
"Was fällt dir ein?", ertönt Claras Stimme hinter mir, woraufhin ich erschrocken zusammen zucke und mich in ihre Richtung drehe.
"Was?", frage ich verwundert, ziehe dabei meine Augenbrauen zusammen.
"Das weißt du ganz genau", zischt sie, "sie geben sich solche Mühe und du zickst so rum. Willst du, dass sie wieder fahren? Hm, willst du das?"
Wiederholt frage ich mich, wie blind sie einfach sein muss. Diese Menschen interessieren sich nicht für uns und wenn sie es tun, dann haben sie dies in den letzten Jahren erfolgreich überspielen können. Und jetzt tauchen sie auf und alles ist normal? Wie soll ich mit ihnen unbefangen umgehen? Wie sollen sie mit uns umgehen, wenn sie mich nicht einmal kennen? Das ist absurd, nur Clara will das nicht verstehen.
"Weißt du was? Eigentlich will ich wirklich genau das", offenbare ich, "ich weiß ja nicht, was in deinem Köpfchen so vor geht, aber anscheinend so wenig, dass du nicht verstehst, wie diese Leute wirklich ticken. Tut mir leid, aber ich möchte wirklich nicht schauspielern. Ich kann mit ihnen nichts anfangen und dementsprechend habe ich auch keine Lust, dass sie jetzt permanent lächelnd Zuhause sitzen und so tun, als wäre alles gut. Das ist zu viel."
Ihr Gesicht verdüstert sich, ich weiß, wenn sie jetzt den Mund aufmacht, habe ich keine Chance. "Aber-", beginnt sie, doch sofort falle ich ihr ins Wort.
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Knicklichter
Roman d'amour"Das heißt, dass wir es lassen sollten", sage ich, auch wenn es mich traurig macht. "Weil wir in einer Stufe sind", stellt Blake fest. Unmerklich schüttel ich den Kopf: "Und weil du du bist und ich nicht damit klarkomme, wenn du mich nochmal verle...