Kuss, Leni

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Nachdem ich den Inhalt meiner Clutch auf dem roten Teppichboden vor dem Eingang unseres Korridors entleert hatte, fand ich endlich die Schlüsselkarte; verkantet in einer der kleinen Seitentaschen. Ich klaubte meine Sachen zusammen, quetschte sie in die Tasche und zog die Schlüsselkarte durch den silbernen Schlitz links neben der Tür. Der Kontrollknopf leuchtete grün auf und verschaffte mir Zutritt. Das Licht auf dem Flur reagierte per Bewegungsmelder. Kaum war die Doppeltür ins Schloss gefallen, wurde der Flur durch die in die edle Holzdecke eingelassenen Halogenspotlights hell erleuchtet. Die Wände waren in einem cremigen Weiß gestrichen, der Teppichboden, wie im Vorraum, königsrot. Auf dem Weg zu meinem Zimmer kam ich an den Zimmern der Jungs vorbei.
Stille. Keiner war hier.
Vermutlich wollten die Jungs ihr erstes freies Wochenende seit zwei Monaten gebührend feiern. Das war vermutlich auch der Grund, warum Samu mich an meinem Geburtstag alleine zum Hotel zurückfahren ließ.
Schlagartig schlug meine Stimmung um.
Ich war hier.
Alleine.
Ohne meine Freunde, meine Familie.
Ich schlenderte lustlos und irgendwie frustriert zu meinem Zimmer am Ende des Ganges. Das war wohl die Kehrseite des „Ruhms". Das Alleinsein. Aber bald sollte auch das ein Ende haben und ich würde wieder zur Universität gehen. Mit meinem Bruder, mit meiner besten Freundin. Mit all den Menschen, die ich so sehr liebte.
Die Jungs hatten zu Beginn des „Einzuges" vor ungefähr acht Wochen ein Schild für mein Zimmer entworfen, auf dem „Girl's room" stand. Das Stück Papier klebte etwas schief an der dunklen Eichentür, machte den Hotelflur aber irgendwie wohnlicher. Ich strich lächelnd über das Eselsohr oben links, zog meine Schlüsselkarte durch den Kartenschlitz, betrat mein Zimmer und schaltete mit einem gekonnten Griff nach rechts das Licht an. Ich kickte meine schwarzen Pumps in die Ecke des kleinen Vorraums und verschwand nach rechts in das mit weißem Marmor ausgelegte Bad. Ich ließ Badewasser ein, friemelte die gefühlt 1000 Haarklammern aus meinen kupferroten Haaren und ging dann in den Wohn- und Schlafbereich um die Handtücher zu holen, die Tomás mir im Laufe des Tages hatte bringen lassen. Die Fensterfront war bereits mit den weißen Vorhängen zugezogen worden. Auf einem kleinen runden Tischchen neben dem Fernseher lagen frische Handtücher. Auch der Obstkorb stand daneben. Ich legte die Handtücher erst einmal auf das Bett, welches genau gegenüber stand. Zwischen den ganzen Bananen, Nüssen und Erdbeeren steckte eine Karte.
„Alles Gute zum Geburtstag, Emma. Wir hoffen, Sie hatten einen schönen Tag!
Ihr Team vom Hyatt Hotel Düsseldorf (insbesondere Tomás)"
Ich lächelte und nahm mir vor, mich im Laufe der nächsten Tage bei Tomás persönlich zu bedanken, wenn ich nicht die Gelegenheit bekommen würde, mit ihm essen gehen zu können. Ich steckte die Geburtstagsgrüße zurück zwischen das Obst, tippelte zu dem weißen Kleiderschrank in der rechten Ecke des Zimmers und nahm ein kleines Päckchen aus dem obersten Fach. Meine beste Freundin hatte es mir geschickt. Marlen war zurzeit auf Fuerteventura und hatte auf Grund ihres Jobs in einem Hotel keine Zeit persönlich vorbeizukommen. Ich setzte mich mit angezogenen Beinen auf das Kingsize-Bett, öffnete das Paket und las laut vor:
„Allerliebstes Schweinchen!
Ich wünsche dir alles Liebe zu deinem 24. Geburtstag! Es tut mir so unendlich leid, dass ich nicht bei dir sein kann. Aber ich verspreche dir hiermit, dass wir uns in spätestens zwei Monaten sehen! Ich habe Ende des Jahres eine Woche Urlaub und werde dich dann in Düsseldorf (wann endet dein Praktikum nochmal?), Berlin, München oder Bochum besuchen kommen. Wie du weißt, war ich Anfang des Monats eine Woche mit den Kollegen auf dem spanischen Festland. Und du kannst dir nicht vorstellen, wo ich dort gewesen bin... (Jetzt solltest du den Brief zur Seite legen und das Geschenk auspacken, Schweinchen.)"
Hastig riss ich das blaue Geschenkpapier des länglichen Kartons auf, welches ich mit dem Brief aus dem Schrank genommen und neben mich gelegt hatte und staunte nicht schlecht, als ich einen karierten Satin-Zweiteiler und ein weißes Negligé mit schwarzer Spitze von Victoria's Secret in den Händen hielt.
„Du würdest dir niemals diese Wäsche kaufen", las ich weiter, „niemals. Deswegen war ich für DICH bei Victoria's Secret in Barcelona und habe für DICH eingekauft. Ich weiß, dass du für beides eine Verwendung haben wirst.
Ich vermisse dich sehr, Schweinchen. Wir sehen uns ganz bald. Fühl dich gedrückt!
Kuss, Leni."
Ich legte den Brief zur Seite und starrte auf das Negligé. Es würde niemand zu Gesicht bekommen außer meinem Kleiderschrank. Von innen.
Spaßeshalber stellte ich mich vor den Ganzkörperspiegel, der neben dem Kleiderschrank hing und hielt es mir an. Ganz so schlecht sah das teure Stück an mir gar nicht aus. Ich posierte und überlegte kurz, ob ich es nicht vielleicht doch mal richtig anprobieren sollte als es plötzlich an meiner Tür klopfte.
„Emma?", hörte ich Samu vor meiner Tür fragen, „bist du da?"
Ich warf das Negligé zurück auf das Bett, fuhr mir mit den Finger durch meine Haare um eine halbwegs passable Frisur hinzukriegen, lief schnell zur Tür und öffnete.
„Ja bitte?"
„Hei... Ich wollte wissen, ob du bist schlafen", lächelte er und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen.
„Nein, siehst du ja", antworte ich ungewollt arrogant.
Samu war bereits umgezogen und trug eine graue Jogginghose und ein weißes Tanktop. Er musste kurz nach mir im Hotel angekommen sein.
„Are you angry?", fragte Samu verwundert.
„Nein, entschuldige. Magst du reinkommen?"
Er sagte nichts.
„Do you want...", begann ich erneut, weil ich mir nicht sicher war, ob er mich verstanden hatte.
Er unterbrach mich.
„I understand every word you have ever said, Emma", lachte Samu und stützte sich nur mit dem rechten Arm im oberen Drittel des Türrahmens ab. Ich starrte auf seine muskulösen Oberarme und musste darauf achten nicht zu sabbern.
Ich schluckte.
„Du hast Wasser an?", fragte er.
Ich ging schnellen Schrittes ins Badezimmer und ließ den 38- jährigen Finnen vor meiner Tür stehen.
Der komplette Boden des Badezimmers war nass. Geistesgegenwärtig drehte ich das Wasser ab. Die Katastrophe war überschaubar, musste aber sofort beseitigt werden. Der Badeschaum war zu einem Schaumberg heran gewachsen, der sich nun auch den Weg aus der Wanne suchte. Ich rannte in den Wohn- und Schlafbereich, winkte Samu dabei rein und nahm mir zwei der neuen Handtücher. Er setzte sich auf mein Bett und hielt sich seinen Bauch vor Lachen.


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