Alarmglocken

673 17 0
                                    


„Samu?", flüsterte eine Stimme, als ich ein Knacken in der Leitung hörte.
„Hm?", brummelte ich.
Es war spät. Sehr spät. Nachdem ich das Interview mit dem finnischen Radiosender hinter mich gebracht hatte, konnte ich mir sowohl von Mikko als auch von Jukka eine Standpauke anhören, wie unzuverlässig ich geworden sei. Ich würde meinen Job vernachlässigen, hatten sie gemeint. Nach endlosen Stunden der Diskussion konnte ich mich von den beiden losreißen und war nach Hause in mein fast leeres Haus gefahren und hatte bis zum zu Bett gehen das Internet nach neuen Möbeln durchforstet. Ohne nennenswerten Erfolg.
„Hi, ich bin auf dem Balkon, deswegen flüstere ich. Ist bei dir alles in Ordnung?"
Ich schlug die Augen auf.
„Emmi?"
„Ja sicher! Wie gehts dir? Hab ich dich geweckt?"
Natürlich hatte sie das. Aber die Freude über ihre Stimme am Telefon zu hören überwog meiner Müdigkeit.
„No no, I was awake", log ich mit Speichel in den Mundwinkel.
„Du lügst doch", lachte sie süß, „sorry, dass ich mich jetzt erst melde."
„No problem. Ich war in trouble und konnte nicht mailen, sorry. How was your day?"
„Ganz gut. Deiner?"
„I was in quarrel with Mikko and Jukka. But jetzt alles ist gut", nuschelte ich ins Telefon, „where is der portugali?"
„Das mit Jukka und Mikko tut mir leid", meinte sie ehrlich betroffen.
„War nicht deine mistake, Lady. Everything ok", schmatzte ich verschlafen, „wo ist der portugalboy?"
„Der liegt im Bett."
„Sleeping?"
„Noch nicht, aber gleich, denke ich."
„How can he sleep without you?"
„Du kannst das doch auch", lachte sie.
„Aber sehr sehr schlecht. Is he falling asleep because you ba..."
„Nee, ich hab nicht mit ihm geschlafen", unterbrach sie mich.
Gott sei Dank!
„Das wollte ich nicht wissen."
„Wir haben auch nicht geknutscht."
Am liebsten wäre ich aufgesprungen um einen Flickflack zu machen. Aber da ich durch das schiefe Sitzen auf der Luftmatratze unendlich viele Muskelverhärtungen auf dem Rücken hatte, beschränkte sich mein Freudensprung auf das Anziehen des Unterarms.
„Do you wanna talk about something?", hakte ich nach, weil mir Emmas Stimmlage komisch vorgekommen war.
Emma holte tief Luft und erzählte mir, dass sie sich wegen mir mit Leni gestritten hätte. Sie wäre auf mein Geld aus und hätte mich nur deswegen gern. Das war für mich natürlich die andere Seite der Medaille.
Aber ich hatte Emma so nie wahrgenommen. Während ihres Praktikums war sie der normalste Mensch der Welt gewesen. Ich hatte ihr die Alben schenken wollen, was sie kategorisch ablehnte, weil sie sich diese selbst besorgen wollte. Sie war alles andere als auf mein Geld aus. Und der Portugiese... Ich hätte mich gefreut, wenn er endlich das Feld geräumt hätte. Aber er schien sie wirklich zu lieben. Was ich zu Beginn dieser Beziehung eigentlich nicht vermutet hätte. Als ich hörte, dass er mit ihr zusammen ziehen wollen würde, läuteten meine Alarmglocken.
Sie atmete laut aus und wechselte die Stimmlage von angespannt zu niedlich, "danke für das Hemd und die Fliege. Ich werds mitnehmen, wenn ich zurückfliege."
„Ich danke. You're lying next to me at this moment", meinte ich und schielte zu dem Shirt, welches ich bei Emma hatte mitgehen lassen, „wann musst du back?"
„Ich werde morgen nach einem Flug für nächste Woche schauen, denke ich."
„And afterwards you come to Helsinki?", wollte ich wissen.
„Vorher flieg ich nach Hause, aber dann hab ich eigentlich genug Zeit", sie schien nachzudenken, „ja klar. Warum nicht."
„Deal?"
„Natürlich Herr Hebel."
„Did you already see it?"
„Vor einigen Stunden, ja. Noch konnte ich nicht stalken."
„Don't do that. It's embarrassing."
„So peinlich wie mein Tattoo?", hörte ich sie schmunzeln.
„You must show me, Emma."
„Mach ich bei Gelegenheit."
„No joke?"
„Ich versprechs dir. Ich muss mich dafür ja nicht ausziehen."
„Why not?", fragte ich betroffen und musste grinsen. Am anderen Ende der Leitung hörte ich Emma lachen.
„Du bist 'n Schweinchen, Samu."
Wieder dieses finnische „ß".
„Emmi?"
„Hm?"
„Ich bin really tired", gähnte ich, „can we talk tommorrow?"
„Aber klar. Meld dich, wenn du Zeit hast, ok?"
„Ich verspreche. Have a good night, Lov."
„Schlaf schön, Alek."
„Du auch", lachte ich und drückte den roten Hörer.
Mit dem Handy in der Hand stiefelte ich müde ins Wohnzimmer und schob die große Balkontür auf. Meine Zigaretten hatte ich vor Stunden hier vergessen. Durch die kalten, jedoch nassen acht Grad in Munkkiniemi war die Packung komplett aufgeweicht.
Wenn sie wirklich mit dem Portugiesen zusammenziehen würde...
Wütend pfefferte ich die Zigarettenschachtel auf die Terrasse und hätte damit beinahe eine meiner Katzen, die sich durch meine Beine nach draußen geschlängelt hatte, getroffen.
„Ksch", machte ich laut, um Mimmi wieder zum Reingehen zu animieren. Mit eingezogenem Schwanz huschte sie schnell an mir vorbei. Ich setzte mich auf einen der feuchten Gartenstühle, schaute gen Himmel und ließ das Gespräch mit Emma Revue passieren. Sie hatte distanzierter gewirkt als noch vor einigen Stunden. Ich war mir unsicher, ob sie sich nicht auf lange Sicht „entlieben" würde.
Ich wollte niemand anderen als sie.
Auch, wenn sie mich immer irgendwie abblockte.
Emma löste in mir dieses Gefühl der Schwerelosigkeit aus. Dieses Gefühl, welchem man am Anfang einer Beziehung ausgeliefert war. Ich hatte bisher alles mir mögliche getan, um sie näher an mich zu binden. Um ihr näher zu sein.
Und dennoch gab es dieses Portugiesen, der genau jetzt neben ihr lag und ihr vermutlich durch die Haare strich. Ich wollte Emma eine letzte SMS schicken, als ich auf das Display starrte und eine neue Nachricht einer mir unbekannten Nummer hatte:
„Gin?"

Friendzoned?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt