Lernst du damit auch Buchstaben wie „ä", „ö" und „ü"?

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Die Stimmung in Studio 2 der Antenne Düsseldorf war erstaunlich locker gewesen. Samu hatte alle Fragen in verständlichem Deutsch beantworten können und schwärmte im Anschluss noch von einer App, mit der er sein Deutsch stetig verbessern würde. Kurz hatte ich überlegt, ob er Geld dafür bekam, wenn er den Namen der App nannte.
Draußen vor dem riesigen Gebäudekomplex atmete Samu tief ein und holte einen Schachtel Zigaretten aus seiner Jackeninnentasche. Er steckte sich eine in den Mundwinkel und bot mir auch eine an. Ich schüttelte dankend den Kopf; hatte ich doch noch nie geraucht.
„War gut, not?", nuschelte Samu und zündete sich die Zigarette an.
„Dein Deutsch wird immer besser", sagte ich abwesend und schaltete mein Handy wieder ein.
Wir schlenderten langsam zurück zum Hotel. Samu rauchend, ich tippend auf meinem Smartphone.
Schweigend.
Kurz vor dem Hotel blieb er stehen. Ich wendete mein Blick vom Handy ab, blieb ebenfalls stehen und schaute ihn fragend an.
„Wir haben gar keine Foto zusammen", lächelte Samu und zückte sein Handy.
„Natürlich haben wir eins. Mit Sami und R..."
„Aber keins von nur uns", unterbrach er mich, „lass uns wieder normal sein, ok? Keine jealousy auf die portugalboy, no stress, ok?"
„Soll das Foto sowas wie ein Friedensangebot sein?"
„Ja?", grinste er unsicher.
Er hatte ja recht. Das Wochenende war eine einzige Katastrophe gewesen. Erst war Vivi spontan gekommen, was mich dazu brachte, mich vollkommen daneben zu benehmen und dann stänkerte Samu rum wegen Tomás. So war ich eigentlich gar nicht. Und Samu auch nicht. Zumindest hatte ich ihn so nicht kennengelernt.
„Aber nur, wenn du deine Schnute nicht verziehst", sagte ich und machte ein Duckface.
„Wir konnen zwei machen. One normal, one duckface", bestimmte Samu, stellte sich dicht neben mich und drehte uns so, dass die Düssel und der Fernsehturm im Hintergrund zu sehen waren, „du musst lacheln!"
„Lernst du mit deiner App eigentlich auch Umlaute?"
„Was?"
„Lernst du damit auch Buchstaben wie „ä", „ö" und „ü"?"
„Of course, why?"
„Na ja", druckste ich, „die finnische Sprache ist voll davon, aber du benutzt sie nie im Deutschen. Das ist irgendwie komisch."
„Weil ich nicht weiß, wann ich das machen muss", sagte Samu und boxte mich vorsichtig in die Seite.
„Dann musst du wohl noch lernen!"
„Lächel jetzt!", betonte Samu und knipste grinsend mehrere Bilder hintereinander. Immer aus verschiedenen Blickwinkeln.


„Reichen 20 Minuten?", fragte ich laut, als ich die Schlüsselkarte durch den Türschlitz meiner Eingangstür zog.
„Fur?"
„Tasche packen?"
„Sure."
„Dann los, bis gleich."
„Lift?"
„Was?"
„Treffen wir uns an die Fahrzug?"
„Fahrstuhl, Samu!"
„I mean that", grinste er und schloss seine Zimmertür hinter sich.
Glücklicherweise hatte Tomás mir bereits heute Morgen auf dem Weg zum Hotel meine Schlüsselkarte zurückgegeben. Ich eilte in den Wohnbereich und nahm einen süß-sauren Duft wahr. Der Obstkorb. Die Heizung stand auf fünf und niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn wegzustellen. Musste auch niemand. Aber wenn man schon neue Handtücher bereit legte und das Bett machte, obwohl über das Wochenende niemand hier gewesen war.
Ich plusterte die Wangen angeekelt auf, öffnete das Fenster und holte den Hygieneeimer aus dem Badezimmer um das Obst eigenhändig zu entsorgen. Ich stellte den leeren Weidenkorb in den Flur, nahm meinen Weekender in die Hand und stellte ihn auf den Ohrensessel. Für die paar Tage brauchte ich definitiv keinen Koffer. Ich warf die Schmutzwäsche auf den Boden und kramte anschließend einige Blusen und Shirts aus dem Schrank, die ich auf das gemachte Bett warf. Meine Garderobe bestand zum größten Teil aus irgendwelchen Erdtönen. Braun, grau, khaki, schwarz, beige. Auf Grund meiner roten Haare wirkte alles andere wie Colorblocking. Aber damit hatte ich mich bereits abgefunden. Für den Flug legte ich mir ebenfalls frische Anziehsachen raus. Ein braunes Top, eine schwarze Leggings und einen beigefarbenen Cardigan.
Eine Kommilitonin aus einem Seminar hatte mir mal erklärt, dass man nie mehr als maximal drei Farben miteinander tragen sollte, weil der Look sonst zu überladen wirken würde. Da schwarz laut Farbkreis keine Farbe war und beige und braun nur zwei Farben waren, entschied ich mich noch für graue Stiefeletten. Die übrigen Shirts, Jeans und Pullover stopfte ich in den Weekender und startete die TaxiApp, die Samu bereits benutzt hatte und orderte ein Taxi. Ich band meine leicht gelockten Haare vor dem Spiegel zu einem lockeren Dutt, nahm meinen Mantel, legte ihn über den Arm und schloss die Tür hinter mir.
Ich tappste über den Flur und hielt vor Samus Zimmer an. Ich hämmerte gegen die Tür, als sie wie von Zauberhand alleine aufsprang. Offensichtlich hatte Samu sie nicht richtig geschlossen. Zaghaft ging ich in den Flur und hörte, wie jemand unter der Dusche ein Liedchen trällerte.
„Samu?", rief ich und klopfte an die Badezimmertür.
„When you put your arms around me, you let me know there's nothing in this world I can't do!", trällerte er Keith Urban.
„Samu?", sagte ich lauter und öffnete die Tür einen kleinen Spalt, „wie lange brauchst du noch? Ich hab ein Taxi bestellt."
„Yeah, I wanna feel the sunshine, shinin' down on me and you!"
Er ignorierte mich.
„Samu!", schrie ich. Abrupt hörte er auf zu singen und schob seinen Kopf durch den cremefarbenen Duschvorhang.
„Wie lange?", fragte ich erneut.
„Verstehe nichts!", sagte er und drehte das Wasser ab, „kannst du mir das... I don't know the word. Can you give me the towel? Ist auf meine Bett."
Ich schloss die Tür, ging in den Wohn- und Schlafbereich und war erschüttert. Es war genau spiegelverkehrt zu meinem Zimmer, jedoch nicht ansatzweise so sauber. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Überall lagen Anziehsachen, der Kleiderschrank stand offen, bestimmt sieben Paar Chucks standen unter dem Heizkörper. Auf der Heizung ein selbstgebastelter Aschenbecher aus einem Kaffeebecher gefüllt mit Wasser. Komischerweise roch es nur im Heizungsbereich nach Zigaretten, jedoch nicht im ganzen Zimmer. Ich sah mich um. In der Steckdose neben dem Nachttisch steckte ein automatischer Lufterfrischer. Dieser Schlingel.
„Du rauchst nicht wirklich hier drin, oder?", fragte ich laut und nahm das frische Handtuch von dem Kopfkissen.
„Sure. An die offene Fenster", sagte Samu und riss mir das Handtuch aus der Hand, als ich es ihm durch den Türspalt entgegen reichte.
„Du kannst hier doch nicht rauchen."
„Warum nicht?"
„Weil hier überall Rauchmelder sind. Wenn die angehen, wird das die teuerste Zigarette deines Lebens."
„I take care."
Ich rollte die Augen und blies hörbar Luft aus.
„Was hast du an? Ich will in die Flugzeug nicht mit eine suit sitzen, weil du so chic bist."
„Ich hab 'ne Leggings an. Ganz leger heute", sagte ich und strich meinen Cardigan glatt.
„Good. Nicht, dass die people denken, ich sei eine fleabag", lachte Samu, kam in schwarzer Boxershorts aus dem Bad und sauste an mir vorbei, „wann kommt die Taxi?"
„Gleich irgendwann. Zehn Minuten vielleicht", antwortete ich und lehnte mich an die geschlossene Badezimmertür. „Ich warte unten, wenn dir das jetzt zu stressig ist?"
„Nein nein, take a seat", meinte Samu einladend und winkte mich in den Wohnbereich.
Ich räumte seine Klamotten von dem Sessel in der rechten Ecke des Zimmers und legte sie ordentlich auf das zusammen geknüddelte Bettlaken.
„Oh dear," lachte er, „leg es auf die Boden, it looks hier wie bei Hempels in die Sofa."
„Unter", korrigierte ich ihn.
„Unter die Sofa?"
„Bei Hempels unter dem Sofa, ja."
„Ah ok. It's so schwierig."
„So wie das Finnische für mich", sagte ich schmunzelnd.
Samu grinste und wühlte in seinem Kleiderschrank rum. Immer wieder hielt er sich Shirts an warf sie anschließend wieder zurück. Einige Male hielt er sich versehentlich zwei Mal das gleiche Shirt an und schüttelte daraufhin angewidert den Kopf.
„Was ist denn mit dem da?", fragte ich und deutete auf ein grau-rot kariertes Hemd, welches ausnahmsweise im Schrank hing.
„Und Hose?"
„Weiß nicht."
„Please take a look", sagte Samu und winkte mich zum Kleiderschrank.
Ich nahm einen Stapel von nicht weniger als zehn Jeanshosen aus dem Schrank, legte sie auf das Bett und hing das Hemd an die Tür. Die Hose waren alle von der gleichen Firma. Gleicher Schnitt, gleiche Größe, oftmals sogar die gleiche Farbe. Nachdem ich einige destroyed und used Jeans aussortiert hatte, entschied ich mich für eine der schwarzen Hosen. Samu nickte zufrieden.
„Schuhe?"
„Grau, rot oder schwarz. Je nachdem, was du da unter deiner Heizung versteckst", piesackte ich ihn.
Er streckte mir die kopfschüttelnd die Zunge raus, nahm seine grauen Chucks und setzte sich auf das Bett.
„Do I need a Mutze?"
„Um nicht erkannt zu werden auf jeden Fall. Nimm die graue Mütze. Dann bist du farblich abgestimmt", meinte ich und sah Samu zu, wie er sich anzog.
„Ok?", fragte Samu, als er mit angezogener Lederjacke vor mir stand. Ich zeigte mit dem Daumen nach oben.
„Dein Koffer ist gepackt?"
„Sportsbag, yes. Yesterday evening schon."
Wieder hielt ich grinsend mit den Daumen in die Höhe.
„Also können wir gehen?"
„Natürlich", sagte er das "ü" betonend und nahm seine Sporttasche.
Ich stand auf, nahm meine Tasche und ging in den Flur.
„Kommst du?"
„First I have to take a selfie."
„Och Samu, bitte!", nörgelte ich.
„Come to me please."
Ich stapfte zurück in den Wohnbereich.
„Gib mir deine left arm", meinte er.
Ich hielt ihm meinen Arm hin. Er zog mich an der Hand näher zu sich und legte meinen Arm um seine Hüfte. Anschließend umfasste er mit seiner rechten Hand meine rechte Schulter und hielt seinen linken Arm samt Handy in die Luft.
„Give the camera deine schonste Lachen", sagte Samu und knipste sofort einige Bilder.
Nach gefühlt 100.000 Selfies und verschiedenen Posen sank sein Arm. Vorsichtig zog ich ihn an seiner Jacke zur Tür.
„Ladies first!", sagte Samu und wollte mir den Vortritt lassen.
„But men before!", grinste ich.
Schäkernd gingen wir über den Flur und stiegen anschließend in den gläsernen Fahrstuhl.


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