Explodierter Wellenschittisch?

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Die Wochen vergingen. Ich hatte den Kontakt zu Mirja auf ein Minimum reduziert, um ihr kein weiteres Mal zu erliegen und mein Gesicht vor mir selbst zu wahren. Ihr war von Anfang an bewusst, dass es mir nur um den Sex an sich ging.
Keine Gefühle, kein Kuscheln.
Dennoch wusste ich nicht, wie es um sie bestimmt war. Auch die Tatsache, dass Emma Single war, ließ mich an meiner Entscheidung, meine ehemalige Schulkollegin nicht mehr zu sehen, festhalten.
Zu der Halbschwedin hatte ich fast täglich Kontakt. Ich konnte wieder offener mit ihr sprechen und war vom Kopf her nicht mehr allzu blockiert. Sie befand sich mitten im Umzugsstress und schrieb mir an einem Abend im August, ob ich mit ihr skypen wollen würde. Ich willigte ein, bat aber um eine fünfminütige Vorlaufzeit. Zusätzlich zu der einen Stunde, die uns auf Grund der unterschiedlichen Zeitzonen voneinander trennte. Das war das erste Mal seit über sechs Wochen gewesen, dass ich sie sehen würde, während sie mit mir sprach.
Aufgeregt hatte ich den neuen Wohnzimmertisch abgeputzt, die leeren Gläser in die Spülmaschine geräumt und meine Frisur im Spiegel des Flurs überprüft, bevor ich mich einloggte. Ich tippelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte eine willkürliche Melodie vor mich hin, als Emma mich plötzlich anrief.
„Samu?", sie schien nebenbei etwas zu essen, „hörst du mich?"
„Hören ja, but sehen nein."
„Warte", knisterte sie und legte auf, um in der nächsten Sekunde nochmal anzurufen, „jetzt?"
Emma saß in einem dunkelgrünen Top auf ihrem Bett und hatte die Haare zu einem hohen Zopf gebunden. Ihr Make-up beschränkte sich auf einen dezenten Lidstrich und tiefschwarzen Mascara.
„Hi", grinste ich.
„Ich kann dich nicht sehen."
„Oh my gosh, sorry", unbeholfen suchte ich mit dem Touchpad meines Laptops den Kamerabutton.
Verfluchte Technik.
„Links", mampfte sie und rollte eine leere Packung Erdnussflips zusammen.
Der Laptop lud und lud und lud, bis er die Gütigkeit besessen hatte, das Kamerasignal an Emma zu übertragen und mich in Miniaturansicht im rechten Bereich des Desktops zu platzieren.
„Would you like to talk in english?", wollte Emma wissen.
„Nein?", meinte ich entrüstet und schaute abwechselnd rechts und links hinter mich, „es ist -thank you, Jesus- keine business call."
„Ok, hi", Emma legte ihren Kopf schief und spielte mit an ihren Haarspitzen. Eine ihrer typischen Gesten, wenn sie nervös oder verlegen war.
„Hi Lady", ich winkte in die Kamera, „ich muss sagen, I checked my look before I logged in."
„Ich auch. Ich sah aus wie ein explodierter Wellensittich. Mir standen die Haare zu Berge."
„Explodierter Wellenschittisch?"
„Exploded budgie", grinste sie und brachte mich zum Schmunzeln.
In dem mehrstündigen Gespräch beschnupperten wir uns ausgiebig und lachten viel. Es tat so gut, ihr Gesicht zu sehen und ihre Stimme zu hören.
„Denkst du, wir kriegen das irgendwann wieder hin?", erkundigte sie sich schüchtern und versetzte mir damit einen Schlag in die Magengrube.
Sie bereute ihr Verhalten so sehr und war bemüht, mir alles Recht zu machen. Sie trug mir buchstäblich den Allerwertesten hinterher und verhielt sich auch sonst unterwürfig. Ganz anders als sonst. Aber ehrlich anders. Und als Gegenleistung hatte ich mit meiner alten Schulkollegin geschlafen.
„Ich hoffe", sagte ich ehrlich und setzte das Lausbubengrinsen auf, welches Emma so liebte, „I was suffering nach meine Flug back home."
Emma nickte verständnisvoll und legte den Kopf auf die gefalteten Hände.
„Ich bereu das sehr. Ich kann dir gar nicht sagen wie sehr. Keine Ahnung, warum ich so blind war."
„Manchmal es ist einfach so und Menschen machen Fehler."
Auch ich.
„Warte mal eben. Mein Handy klingelt", sie robbte aus dem Bett und gewährte mir freien Blick auf ihre bunte Bettwäsche. Auf dem Kopfkissen lag ein weißes Hemd, am Kopfteil hing eine Fliege. Offensichtlich handelte es sich dabei um das Hemd, welches ich ihr im Tausch gegen das Coverbandshirt dagelassen hatte. Schlief sie darin? Oder hatte sie es absichtlich platziert, damit ich es sehen konnte, wenn sie aufstand?
Super Ansatz für eine neue Verschwörungstheorie!
Mit dem Handy in der Hand ließ Emma sich wieder auf das Bett fallen. Sie zog ihre Beine an und setzte sich in den Schneidersitz, ehe sie wieder auf den Bildschirm schaute.
„Sorry", meinte sie und legte das Smartphone zur Seite, „was machst du so?"
„At this moment?"
„Ja", sie grinste süß in die Kamera.
„Ich rede nur mit eine tolle Frau", plötzliche Sehnsucht überkam mich und vernebelte meine Sinne, „and you?"
Sie zog das Hemd unter ihrem Po hervor und hielt es vor die Linse.
„Ich vermiss dich sehr."
„Ist es meine?"
„Ich schlaf darin, ja", sie hielt es sich vor die Nase, „leider riecht es nicht mehr nach dir."
Ich musste grinsen.
„Samu?"
„Hm?"
Hast du Zeit?", preschte Emma plötzlich hervor.
„Was?", fragte ich erschüttert.
„Kann ich zu dir kommen?"
Was war das?
Sie überforderte mich.
Zudem sah es hier aus wie auf einem Schlachtfeld.
„Emma, I do..."
„Ich ertrag diese Distanz zwischen uns nicht. Das bringt mich um", offenbarte sie, „ich will Zeit mit dir verbringen."
Nachdenklich sah ich auf die Tastatur und schwieg.
„Ich wollte dich nicht überfahren", sagte Emma nach wenigen Sekunden, „entschuldige. Ich freu mich einfach nur gerade so, dich zu sehen."
Ich wägte kurz meine Möglichkeiten ab. Alleine zu Hause rumsitzen oder mit halb-skandinavischer Gesellschaft? Ich würde eh nichts unternehmen. Vermutlich würde ich auf meiner Luftmatratze liegen und Pornos schauen, bis ich müde geworden war.
„Fuck", entfuhr es mir, „du kannst nicht kommen. Ich habe immer noch nicht die Möbel."
„Du kannst auch einfach sagen, dass du nicht willst, dass ich komme", sie wirkte geknickt.
„No, bitte don't verstehe mich falsch", meine Worte überschlugen sich, „but look!"
Ich stöpselte den Laptop vom Strom und drehte ihn um, damit ich Emma mein leeres Wohnzimmer zeigen konnte.
„Can you see?"
„Ich sehe gar nichts. Was hast du denn in den letzten Wochen gemacht?", fragte sie belustigt.
„Nothing. Just relaxing."
„Auf deinem Luftbett?"
„Sure!"
„Warum kaufst du dir keine Möbel?"
„Ich bin so viel unterwegs in die Jahr. Da ist nicht so dringend I think. Außerdem ich habe eine neue Tisch und Stuhle."
„Stühle", verbesserte Emma mich.
„Stühle!"
„Willst du dann hier hin kommen? Vielleicht?"
Ich setzte mich wieder und richtete die Kamera des Laptops auf mein Gesicht.
„Ich würde mich sehr freuen", formulierte ich höflich.
Emmas Augen begannen zu funkeln.
„Ich hab aber auch noch keine Möbel."
„Scheiße egal", meinte ich, „Wir können gucken zusammen nach eine Sofa."
„Ich hab auch keine Küche", lachte sie.
„Dann wir gucken zusammen nach eine kitchen."
„Sicher, dass du das willst?", Emma legte ihren Kopf schief und das Hemd zur Seite.
„I know what I want", zwinkerte ich, „oder ist problem für dich?"
Ihr Gesicht zeigte keine Emotion.
„Emma?"
Das Bild ruckelte nach, dann sah ich wieder die Fliege, die an ihrem Bett hing.
„Emma?", wiederholte ich lauter und beugte mich vor den Monitor, als könne ich um Ecken sehen.
„Ich hing, sorry!", sagte sie laut, nachdem das Bild einige Sekunden total verschwommen war, „ich hab mit dem Handy nach einem Flug gesucht", sofort schickte sie mir eine SMS mit dem Link, „wenn dir das nicht zu früh ist."
Ich schielte auf das Smartphone neben mir. Wieder eine SMS einer mir unbekannten Nummer mit „Gin?".
Ich löschte diese und öffnete das Nachrichtenfenster von Emma: Helsinki – Düsseldorf, 06.00 Uhr, mit fünfstündigem Aufenthalt in Lettland, 79,97€ oder Helsinki – Düsseldorf, 16.30 Uhr, nonstop, 915,69€.
„Ich nehme die cheap one, ok?", fragte ich in die Kamera. Emma hatte mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen.
„Nimm, was du willst. Hauptsache, du bist schnell genug hier."

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