Samu legte seinen Daumen auf meinen Mund und berührte meine Wange

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Samu hatte noch nie so lange am Stück Deutsch geredet. Zwischendurch fragte er mich die eine oder andere Vokabel, aber im Großen und Ganzen konnte er sich toll ausdrücken. Wir hatten irgendwann das Thema gewechselt und sprachen über Familie, Freundschaft und Hobbys.
„Gibt es etwas, was du bereust?", fragte Samu und legte seine Hände in das Kissen, das schon einige Zeit in seinem Schritt lag, „außer die Sache mit die portugali?"
„Oh ja", ich nickte zustimmend.
„Was?"
„Es gibt vieles, was ich bereue. Was zuerst?"
Samu überlegte.
„Ich sage eine Sache, dann du. Lass uns anfangen in junge Alter."
„Ok", ich setzte mich gerade hin, „ich hab im Kindergarten zu einem Mädchen keinen Kontakt mehr gehabt, weil eine andere Freundin das nicht wollte."
„Warum hast du nicht einfach gemacht?"
„Weil mir das vermutlich nicht wichtig genug war", ich zuckte mit den Schultern, „keine Ahnung. Dabei war die wirklich wirklich nett."
„Bist du in contact mit die andere Freundin?"
„Schon lange nicht mehr. Ich hab bestimmt zehn Jahre nichts von ihr gehört."
„Stört dich das?"
„Nicht mehr, nein. Ehrlich", ich grinste, „was bereust du?"
„Eigentlich nichts aus die Kindergarten. Ich kann mich nicht erinnern."
„Es gibt nichts, was du bereust? Rein gar nichts?"
„You only live once, not?", er trank einen Schluck aus der Wasserflasche die auf dem Bett lag und hielt sie mir anschließend hin.
„Na ja", meinte ich, bevor ich die Flasche ansetzte, „aber gab es nicht irgendein einschneidendes Erlebnis, das du hättest anders machen wollen? Eine kleine Situation?"
„Maybe I should have kissed you an die Flughafen, bevor ich bin zurück nach Finnland", meinte Samu ehrlich und wartete darauf, die Flasche wieder zudrehen zu können, „or even earlier."
Ich gab ihm die Flasche zurück und hatte trotz des Wassers einen Kloß im Hals.
„Warum?"
„Weil wir dann vielleicht nicht hätten gehabt dieses Streit."
„Denkst du?"
Er nickte.
„Ich bereue meine ewige Vernunft", meinte ich ohne auf das Gesagte einzugehen.
„Warum?"
„Die steht mir oft im Weg, glaube ich."
„In welche Situation?"
„Puh", ich kratze mich am Kopf, „um richtige Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel. Ich versuche immer, es so angenehm wie möglich für alle zu machen und vernünftig, also nach der Norm, zu handeln. Dabei stoß ich manchen Leute dann aber doch vor den Kopf."
Er nickte wieder. Hatten wir dieses Gespräch doch bereits geführt. Ich war unendlich schlecht zu ihm gewesen. Immer und immer wieder behandelte ich ihn wie einen kleinen Jungen. Tadelte ihn, versuchte, ihn von irgendwelchen Ideen abzubringen. Und trotzdem war er noch da, obwohl ich ihn immer wieder vor den Kopf stieß.
„Very nice, dass du weißt selbst", Samu legte den Kopf schief und grinste triumphierend.
„Und du bist immer noch da", merkte ich an.
„Ich habe dir gesagt, wie wichtig mir ist Freundschaft und Familie. Ich bin da, auch wenn ich habe eine fucking job. Wenn mir was ist wirklich wichtig, dann ich versuche dabei zu bleiben. Auch, wenn es ist hard", er strich über meinen Oberschenkel, „vielleicht ich bin zu viel Peter Pan, aber du bist zu viel eine controlfreak. Ich glaube, wegen deine Job bei Universal. Du warst every day in your working modus. Du musst relaxen in deine private life, sonst du gehst kaputt."
24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche war ich bemüht gewesen, ein möglichst gutes Arbeitszeugnis zu bekommen. Zum Schluss war ich immer wieder mit dem Portugiesen unterwegs gewesen, aber dennoch erreichbar für meinen Teamleiter Thorsten und die Jungs. Rückblickend nahm dies jedoch keiner in Anspruch. Es ging also auch so.
Samus Handy vibrierte und stoppte seinen Redefluss. Er griff hinter sich, blickte auf das Display und rollte mit den Augen.
„Alles ok?"
„Ach. Eine Freund will trinken Gin."
Ich verbot mir, weiter nachzufragen.
„Wie spät ist es eigentlich?"
„04.16 Uhr", Samu rieb sich die Hände, „herzliche Glückwunsch zu deine first anti-controlfreak-challenge."
„Hab ich bestanden, Professor?"
„Sure. You get an A for that!", er applaudierte mir, „und in a few hours ich kaufe ein für deine Badezimmer. Das ist Aufgabe two. Sei da um Nine o'clock."
„Stellst du dir einen Wecker?"
„Auf jede Fall", wieder griff er hinter sich und legte das Smartphone dann auf das Kissen, „Nine o'clock is enough."
„Du brauchst doch meh..."
Samu legte seinen Daumen auf meinen Mund und berührte meine Wange.
Ganz schlechte Idee, Herr Haber. Ganz schlecht!
„Nine o'clock is enough", wiederholte er und ließ seinen linken Daumen über mein Kinn gleiten.
„Wenn du das sagst", ich räusperte mich, „soll ich dann jetzt gehen?"
„Du musst nicht."
„Ich brauch aber frische Sachen für morgen früh", überlegte ich, „ich fahr jetzt und komm morgen mit Croissants vom Bäcker vorbei?"
„Wenn du morgen Abend gehst mit mir joggen, ja. Guck meine Bauch an. I werde fat wieder."
„Das wirst du nur, wenn du jeden Tag Kroketten und Schnitzel isst", ich stand auf um mich im Badezimmer richtig anzuziehen.
Ohne Hose hätte man mich bestimmt sofort in die naheliegende Psychiatrie gebracht.
„Gehst du joggen mit mir oder nicht?", rief Samu.
Ich streckte den Kopf heraus.
„Ja, tu ich."
„Perfect. Dann kann ich auch essen Croissants!"
Ich schüttelte den Kopf und konnte nicht verstehen, warum er sich so viele Gedanken um seine Optik machte. Selbst mit fünf Kilo mehr war er immer noch schön. Er hatte als Kind lange Haare gehabt, was weitaus schlimmer war als dicker zu sein. Selbst ich hatte mir in Chile die verlorenen Kilos wieder draufgefuttert. Auch, wenn ich sie unmittelbar nach der Trennung von Tomás wieder verloren hatte. Ich war –dank Samus Hungerattacken - auf dem besten Weg, sie wiederzubekommen.
„Das Shirt", meinte Samu an der Wand lehnend, als ich das Badezimmer verließ, „don't try to steal it."
„Ich wollte es dir nic..."
Er winkte mich zu sich heran.
„Wo ist es?"
„Ich hab dir doch gesagt, dass ich es wasche und es dir wieder mitbringe."
„Du kannst waschen, wenn du es hast getragen for 40 days."
„Aber das ist doch eklig. Was willst du damit?"
„Stop controlling Lady und gib mir die Shirt."
Ich griff in meine Handtasche und zog das Stück Stoff heraus.
„Danke!"
„Bitte!", ich schulterte die Tasche richtig, „schlaf gut."
„Du auch, Lov", er wollte mich umarmen, als das Handy in meiner Tasche vibrierte. Ich rollte die Augen und zog es aus der Innentasche. Unbekannter Teilnehmer.
„Hallo?"
„Ey, wo bisse?"
„Wer ist denn da?"
„Deine Mutter!"
Ich erkannte Tomás' Stimme und schaltete den Lautsprecher an.
„Was willst du, Tomás?"
„Dich ficken!"
„Frag mal Melanie, ob die Zeit hat. Du stehst ja auf billig. Lösch endlich meine Nummer."
„Niemals. Ich liebe dich."
Das hatte er öfter gesagt. Und bereits da war jedes einzelne dieser Worte gelogen. Irgendwie niedergeschlagen legte ich auf und ließ das Smartphone zurück in die Tasche gleiten.
„Also nochmal: Schlaf gut."
„Willst du reden?"
„Worüber?", schnaufte ich lachend und massierte meine Schläfen, „er ist krank und offensichtlich betrunken."
„Warum willst du immer sein eine starke Frau?"
„Weil ich immer so war."
„Findest du, dass ich bin schwach, weil ich habe geweint, als Vivianne was in bed with the younger one?"
„Nein, überhaupt nicht. Das zeigt nur, dass du emotional bist."
„Du weinst nie, Emmi."
„Doch. Aber nur, wenn keiner zusieht", schmunzelte ich, „Schutzmechanismus."
Samu zog mich an seine nackte Brust und vergrub seinen Kopf in meinen Haaren. Augenblicklich begann ich zu schluchzen. Vor Wut. Nicht, weil ich traurig gewesen war.
„Let yourself go."
„Scheiße man!", fluchte ich in seinen Armen, „ich will das nicht, Samu."
„Ich weiß", er versuchte mich zu beruhigen und streichelte versöhnlich über meinen Rücken, „it's not your fault."
„Du bist lieb", weinte ich, „er ist 'n Arsch."
„Vielleicht musst du danken die portugalboy", flüsterte er mir in die Haare, „sonst wären wir vielleicht nicht hier jetzt zusammen."
Ich hob meinen Kopf und wischte mir mit den Handinnenflächen die Tränen weg, ehe ich in Samus Gesicht sah.
„Du hast verdient was Besseres. Trust me", er schmunzelte mich an.
„Wenn er sagen würde, dass er mich nur ausgenutzt hat, wär das nicht so schlimm. Aber dieses „Ich liebe dich" macht mich sauer. Weil ich weiß, dass es gelogen ist."
„Ich weiß", Samu streichelte meinen Hinterkopf, „willst du hier bleiben?"
„Danke, es geht."
„Man soll nicht fahren wenn man ist emotional."
„Es wird jetzt keiner mehr auf den Straßen sein, ich fahr schon nirgends vor."
„Kannst du versprechen?"
„Ich schwöre", schniefte ich und strich die nassen Stellen, die ich an Samus Brust hinterlassen hatte, mit der Hand weg, „ich melde mich auch, sobald ich zu Hause bin."
Er küsste meine Stirn länger als sonst und öffnete mir die Tür.
„Danke", grinste ich und ging den Flur zum Aufzug entlang.

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