Es ist so dingdong between us, you know?

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Meine schmerzende Schulter riss mich aus dem Schlaf. Ich sah auf den Wecker: 04.41 Uhr. Ich hatte gerade mal vier Stunden geschlafen. Ich richtete mich auf und schmiss das Federbett zur Seite. Wie gerne hätte ich jetzt die Creme gehabt. Ich überlegte kurz und entschied mich dann dafür, sie mir bei Samu zu holen.
Ich warf meinen lavendelfarbenen Morgenmantel über und öffnete leise meine Tür. Sofort ging das Licht im kompletten Flur an. Ich entschied mich gegen einen gebückten und geschlichenen Gang. Hätte eh jeder gesehen.
Dennoch ging ich so lautlos wie möglich quer über den Flur und klopfte dann leise an die zweite Tür auf der rechten Seite. Zwei Mal lang, zwei Mal kurz.
Ich hörte das Bett quietschen und leise Schritte. Samu öffnete mir verschlafen die Tür und kratzte sich gähnend am Hinterkopf.
„Sorry, ich wollte mir doch noch die Creme holen", flüsterte ich.
Er winkte mich in den kleinen Flur, der in jedem Zimmer dieses Hotels eine Art Verbindungsraum zwischen Badezimmer und dem Wohn- und Schlafbereich darstellte, schloss die Tür und verschwand im Bad. Ich folgte ihm.
Die Luft war noch feucht, der Spiegel beschlagen. Samu war vermutlich duschen gewesen. Er kramte hektisch in seinem blauen IFK-Kulturbeutel, welcher rechts neben dem schwarzen Marmorwaschbecken stand.
Ich nutze die Zeit um mich im Badezimmer genauer umzusehen. Der letzte Rest des Badeschaums war noch nicht ganz abgelaufen und sammelte sich im Abfluss der Wanne. Auf dem Badewannenrand standen zwei benutzte Weingläser, daneben eine leere Flasche Château Mouton-Rothschild von 2006. Er war definitiv nicht alleine duschen gewesen.
Sondern mit Vivi.
Ich wollte gar nicht wissen, was hier passiert war. Der Gedanke, dass die Beiden sich gegenseitigen eingeseift hatten...
Mein Magen zog sich zusammen. Ich atmete tief ein um das Übelkeitsgefühl loszuwerden.
Vanille, Ingwer und Schokolade. Nein. Kakao.
Ich schluckte.
Natürliche Aphrodisiaka.
Samu stupste mich an und reichte mir eine Tube Pferdesalbe.
„Danke", flüsterte ich gezwungen lächelnd.
„Keine Problem", grinste er.
Ich fasste ihm sanft an das Handgelenk und zog ihn zu mir runter, weil er mindestens einen Kopf größer war als ich und küsste ihn zärtlich auf die Wange. Er setzte sein Lausbubengrinsen auf, löschte das Licht und schob mich aus dem Badezimmer.
„Have a good night", hauchte Samu mit seiner tiefen Stimme und öffnete mir die Tür. Ich trat auf den Flur, schlich zu meinem Zimmer und drehte mich in der Tür noch einmal um. Er stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und lächelte mir zu. Ich winkte verlegen und ließ die Tür in das Schloss fallen.


Um 08.00 Uhr klingelte mein Wecker. Mit geschlossenen Augen, verschlafen –aber geübt- schlug ich mit meiner rechten Hand auf „schlummern". Ich riss die Augen auf. Keine Schmerzen mehr in der Schulter. Samus Creme hatte geholfen. Und auch der Alkohol hatte sich zu meinem Glück nicht bemerkbar gemacht.
Voller Elan stand ich auf, zog die Vorhänge zur Seite und erblickte ein verregnetes Düsseldorf. Der Nieselregen hatte bereits meine komplette Fensterfront benetzt. Der Himmel war dunkelgrau und die Gewitterwolken hingen tief. Ein schöner Tag war es wettermäßig auf keinen Fall.
Ich kuschelte mich in meinen Morgenmantel, den ich nach dem Eincremen meiner Schulter vergessen hatte vor dem Schlafen wieder auszuziehen und drehte die Heizung hoch. Ich wollte seit Langem mal wieder mit den Jungs frühstücken. Vor allem aber mit Samu. Nach heute Morgen hatte ich ein tolles Gefühl.
Ich suchte in meinem Schrank nach einem passenden Outfit. Immer wieder warf ich Anziehsachen auf das nicht gemachte Bett, weil nichts zu meinem Lieblingsoberteil passte. Die altrosafarbene Bluse mit Rundhalsausschnitt hing auf einem Bügel an der linken Seite des Schranks. Nach langem Suchen entschied ich mich für eine dunkle Jeans im Usedlook. Ich ging ins Badezimmer, betätigte den Lichtschalter links neben dem Waschbecken und bemerkte, dass ich weder das Wasser aus der Wanne gelassen hatte, noch dass ich Handtücher hatte, um mich mit ihnen abzutrocknen. Sie lagen noch alle auf dem Boden. Komplett durchnässt.
Ich zog den Sicherheitsstopfen aus Badewanne, stapfte zurück in den Wohn- und Schlafbereich und rief den Zimmerservice an. Kurze Zeit später klopfte es an meiner Tür. Ich öffnete.
„Vielen Dank, Mel... Samu?", fragte ich erstaunt und glücklich zugleich, als ich den blonden Finnen mit zwei Handtüchern über die Schulter geworfen sah, „wo ist Melanie?"
„Ich habe ihr diese hier abgenommen um sie dir zu bringen", stammelte er in gebrochenem Deutsch und deutete mit dem Kopf auf die Handtücher, „hast du noch eine bisschen Zeit?"
„Ja klar, natürlich", sagte ich fröhlich und öffnete einladend die Tür. Er warf die Handtücher auf mein Bett und setzte sich auf die Bettkante. Er schien schon ewig wach zu sein. Seine Haare waren strenger zur Seite gegelt als sonst und das graue Hemd hatte er in die schwarze Hose gesteckt. Die weinroten Chucks waren der einzige Farbtupfer. Vermutlich hatte Vivi ihn dazu überredet. Ich mochte ihn auch in Shirt und Jeans. Oder ohne. Je nachdem.
„Schöne Jeans. I love it", teilte Samu mit und klopfe auf das Hosenbein.
„Danke. Ich wollte sie mit der Bluse kombinieren. Meinst du, das kann ich so anziehen?", fragte ich und hielt ihm die Bluse vor die Nase.
„You're able to wear alles was du willst", grinste Samu.
Plötzlich legte er seine Stirn in Falten. Sein Grinsen verschwand.
„Was ist los?"
„Es ist so dingdong between us, you know?"
„Ist das positiv?"
„Ja uhm... I don't know. Gestern in die Badezimmer. Ich weiß, dass du hast gesehen die Gläser. Ich war mit Vivi taking a shower. Just dusching. Keine Sex", öffnete er sich.
„Hey. Selbst wenn. Wir sind kein Paar?"
„Aber du bist fell in love."
„Ach Quatsch", lachte ich unsicher und winkte ab, „wie kommst du darauf?"
„Du hast nicht gesagt, aber gezeigt", meinte Samu und klopfte mit seiner flachen Hand auf seine Brust, „maybe es ist besser, wenn wir keine, you know, relationship more than friends haben."
Ich hing die Bluse an die Edelstahltürklinke, lehnte mich gegen die Tür, die Wohn-, Schlafbereich und den kleinen Flur voneinander trennte und starrte aus dem Fenster auf das regnerische Düsseldorf. Die großen Regentropfen prasselten gegen die glasklare Fensterfront. Es stürmte.
„I know you don't wanna hear it. Ich bin so sorry", sagte Samu merklich niedergeschlagen und senkte den Kopf.
„Du bist mir nichts schuldig, Samu. Aber dann sei bitte so fair und gib mir nicht das Gefühl, was Besonderes zu sein."
Mir stiegen Tränen in die Augen. Vor Wut und Trauer. Natürlich wollte ich was anderes hören. Was hatte er denn erwartet?
„Ich würd jetzt gerne alleine sein. Danke für die Handtücher."
Samu stand auf und kam auf mich zu. Ich wich nach links aus.
„Bitte fass mich nicht an. Ich kann das jetzt irgendwie nicht."
„Ich wollte ni...", sagte Samu mit einem Kloß im Hals und streckte seine Hand nach meiner Schulter aus, „du bist meine best buddy."
Wieder ging ich einen Schritt zur Seite und stolperte fast über den Ohrensessel. Ich konnte die Kälte spüren, die von dem an die Fensterscheibe prasselnden riesigen Regentropfen ausging.
„Bitte geh jetzt", stammelte ich unter Tränen.
Samu begriff, dass ich es ernst meinte und schlurfte langsam in den Flur. Ich ging an ihm vorbei und öffnete die Tür.
„Ich will dich trotzdem in Münschen haben, Emma."
„Warum?"
„Weil du bist wichtig für mich."
Ich seufzte.
„Wie oft hast du mit ihr geschlafen, nachdem ihr zusammen duschen wart?", fragte ich wütend. Die Tränen liefen nur so über mein Gesicht.
„Einmal", antwortete Samu leise, ohne mich noch einmal anzusehen und verließ prompt mein Zimmer.
Er zog eine Parfumwolke hinter sich her. Ich inhalierte seinen Duft, knallte die Tür und schlug mit der geballten Faust dagegen. Anschließend rutschte ich mit dem Rücken an ihr herunter. Ich zog meine Beine an, begann furchtbar zu schluchzen und vergrub mein von Tränen errötetes Gesicht in meinen Händen.


Einige Minuten saß ich reglos am Boden und heulte still in mich hinein. Wie konnte ich es soweit kommen lassen? Wenn ich von Anfang an auf Abstand gegangen wäre, hätte ich das Problem um Herrn Haber nie gehabt. Immer wieder ließ ich mich auf seine Zärtlichkeiten ein. Ich konnte ihm nicht widerstehen.
Ich massierte meine Schläfen und beschloss, das restliche Wochenende zu Hause in Bochum zu verbringen. Um runter zu kommen. Um den Kopf frei zu kriegen. Um etwas anderes zu sehen als dieses Pseudoprominentenleben, welches ich passiv mitführte.


Eine Stunde später stand ich geduscht, geschminkt und angezogen vor meinem Kleiderschrank und suchte Anziehsachen zusammen. Ich packte nur das Nötigste in meinen grünen Weekender, wohlwissend, dass ich spätestens Sonntagabend wieder zurück musste. Ich steckte die Schlüsselkarte in meine Hosentasche, schnappte mir mein Handy, nahm meinen fliederfarbenen Blazer sowie einen Regenschirm von der Garderobe hinter der Tür und verließ mein Zimmer.
Auf dem Weg zum Aufzug schrieb ich meinem Bruder eine kurze SMS um ihm mitzuteilen, dass ich nach Hause kommen würde. Leni ließ ich absichtlich unwissend. Sie hätte sich sonst nur unnötige Sorgen gemacht.
Ich drückte den Fahrstuhlknopf, stellte meine Tasche ab und checkte meine Mails. Werbung, Werbung, Werbung, Universität, Werbung.
Völlig in Gedanken versunken bemerkte ich den angekommenen Aufzug erst, als sich die Teleskopschiebetüren mit einem langen Klangton öffneten und mir ein lächelndes Model und ein finnischer Sänger entgegen kamen.
„Hei Emma", strahlte Vivi, „we had a very nice breakfast. I never ate so good. I like your jeans."
Das hat dein Freund auch gesagt.
„What are your plans today? Do you wanna spend time with us? Samu wants to show me Dusseldorf. But I think you can show me the most beautiful insiderplaces."
Sie war so nett. Verdammt.
„Maybe we can go shopping?", erkundigte sie sich freundlich und hakte sich bei Samu ein. Sie war unglaublich. In jeder Hinsicht. Ich hätte sie vermutlich auch nicht für eine rothaarige Praktikantin aus dem Ruhrgebiet verlassen.
Die Türen des Aufzuges schlossen sich.
Fantastisch.
„I'm going home, sorry", antwortete ich kurz, nahm meinen Weekender in die Hand und steuerte in Richtung Treppenhaus, welches sich rechts neben dem Aufzug befand.
„Warte!", rief Samu.
Ich blieb stehen.
Er kam auf mich zu.
„I'll help you", sagte er, nahm mir meine Tasche ab, ging zurück zu Vivi und verabschiedete sich mit einem zärtlichen Kuss von dem finnischen Model. Sie winkte mir zu. Ich grinste sie unsicher an und verkniff mir Würgegeräusche. Ich war erschrocken, dass ich so auf sie reagierte. Sie hatte mir nie etwas Böses gewollt. Anschließend stellte sich Samu neben mich. Wir warteten, bis Vivi außer Sichtweite war. Sofort drehte ich mich um, öffnete die Tür des weißen Treppenhauses und schlug sie ihm entgegen. Leider waren seine Reflexe so gut gewesen, dass er meinen Weekender schützend vor seine Brust hielt. Ich lief die Treppen schnell hinunter, um kein Gespräch mit ihm führen zu müssen. Immer wieder hörte ich ihn meinen Namen rufen. Ich lief weiter.
Auf der fünften Etage wurde mein Sprint deutlich langsamer. Samu holte mich ein, ließ meine Tasche fallen, packte mich an die linke Schulter und drehte mich zu sich.
„Emma, can we talk again?", fragte er schnaufend und hob die Arme über den Kopf. Sein Hemd spannte leicht an seinen muskulösen Oberarmen.
„Bitte?", fragte ich schockiert und völlig außer Atem.
„Like a madwoman rennst du hier runter und bist fucking sauer. Es tut mir so sorry."
„Ich kann damit nicht umgehen, Samu. Wenn ich dich mit ihr sehe, möchte ich kotzen."
„Ok?", er runzelte die Stirn.
„I hate this quarrel", erklärte ich und zwang mich zu lächeln.
„I don't wan..."
Ich unterbrach ihn wütend.
„Bring mich einfach nur runter, ok?"
Samu blies die Wangen auf, schulterte meine Tasche und ging die Treppen hinunter. Ich stöhnte auf und folgte ihm, ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln.


Friendzoned?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt