Sofort begann mein Herz wie wild an zu rasen

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Nachdem ich die Handtücher im Badezimmer so gut es ging ausgewrungen hatte, schlug ich Samus Decke zurück und winkelte seine Beine an.
„Geht das so mit deinem Bauch?", fragte ich leise.
Er nickte, warf den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke.
Behutsam wickelte ich die feuchten Tücher um Samus Waden, als mir eines seiner Tattoos entgegen sprang.
„Boys do cry".
„She cheated on me", sagte er und blickte mich mit großen Augen an, „for a few months now."
Ich streckte Samus Beine wieder aus, deckte ihn zu und setzte mich auf die freie Fläche rechts neben ihm.
„She said that I wasn't there. She couldn't handle the loneliness."
„Aber sie war doch auch unterwegs, oder?"
„Sure. Aber ich war ofter und länger weg."
„Das ist kein Grund", sagte ich kopfschüttelnd.
„Und keine Hindernis", zitierte Samu unsere Taxifahrerin Gudrun aus Düsseldorf.
Er tat mir richtig leid. Noch vor ein paar Tagen, hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass die Beiden sich trennen. Aber ich genoss dieses offene, freundschaftliche Verhältnis, welches Samu und ich hatten. Es gab mir Sicherheit und war mir viel lieber, als das, was wir vorher hatten.
Beziehungsweise nicht hatten.
„Hast du deinen Tee schon getrunken?", versuchte ich abzulenken.
Er nahm die Tasse in die Hand und trank einen Schluck. Dann grinste er gekünstelt und stellte das Gefäß mit aufgeplusterten Wangen zurück auf den Nachttisch. Ich rutschte etwas näher an Samu heran, drehte mich auf die Seite und legte meinen linken Arm in etwa an die Stelle, wo ich seinen Bauch vermutete.
„Es tut mir Leid", seufzte ich und strich mit meinem linken Daumen über die Bettdecke, „ich weiß, dass man in so einer Situation keine schlauen Ratschläge haben will. Wir können einfach hier liegen und fernsehen, wenn du willst."
„Danke", sagte Samu und griff gekonnt nach der Fernbedienung, die an der rechten Seite des Bettes mit Klettband befestigt war und schaltete den Fernseher ein.
Auf jedem Sender liefen die berühmtberüchtigten Vorabendserien. Er zappte wie ein Irrer von einem Kanal zum Nächsten. Zwischendurch sah ich immer wieder zu ihm hoch. Seine Haare waren zerzaust und plötzlich wirkte er um Jahre gealtert. Sein Teint war fahl, seine Augen klein.
„Was macht dein Bauch?", fragte ich.
Er sah zu mir runter.
„Everything ok, hier ist schlimmer", antwortete er und klopfte auf sein Herz.
„Das geht vorbei", sagte ich, hockte mich hin und schlang meine Arme um seinen Hals.
„Danke", er erwiderte meine Umarmung und drückte mich fest.
„Wir schaffen das", flüsterte ich und vergrub meinen Kopf in seiner Schulter.
„Maybe kannst du heute night hier schlafen?", nuschelte er kindlich, „I don't want to be alone."
„Du solltest dich erholen."
„Von die heartache? Dann bringst du mir bitte eine Flasche Rotwein, dear!"
„Wenn was ist, komm ich gerne runter."
„C'mon."
„Keine Widerrede. Du bist krank und musst dich ausruhen. Wenn was ist, ruf mich an und ich bin sofort da."
Samu senkte den Kopf und zog eine Schnute.
„But du bleibst, 'til I fell asleep?"
„Ich bleib, bis du schläfst, ja."
Er grinste.
„Gib mal das Thermometer, bitte", bat ich Samu höflich.
„I feel fine."
„Gib mir das Thermometer."
„I don't need it. Ich bin gesund!", meinte er.
„Samu. Thermometer", befahl ich.
Er ignorierte mich und verschränkte die Arme.
Ich blies hörbar Luft aus und krabbelte auf allen Vieren über den sitzenden Finnen hinüber um das Thermometer selbst vom Nachttisch zu nehmen. Samu beugte sich etwas nach vorne und hauchte mir einen sanften Kuss auf meinen nackten Hals. Sofort begann mein Herz wie wild an zu rasen. Auch die übliche Gänsehaut blieb nicht aus.
„Danke Schwester", flüsterte er mir ins Ohr und lehnte sich anschließend wieder zurück.
„Bitte", flüsterte ich verwirrt und hockte mich erneut neben Samu.
Er durfte sowas nicht tun.
Beim besten Willen nicht.
Samu warf seine Decke zurück und hob den linken Arm. Ich schaltete das Fieberthermometer ein, steckte es in seine Achsel und stand auf.
„Wohin?"
„Wadenwickel", ich deckte Samus Beine auf und wickelte die mittlerweile warmgewordenen Wickel behutsam ab, „warum eigentlich „boys do cry"?"
„Because they do", antwortete er, „I had schlimme heartache in 2005."
Ich nickte, knüllte die Handtücher zusammen und ging ins Bett. Fast zeitgleich piepte das Thermometer.
„37,5 Grad!", rief Samu.
Ich antwortete mit einem kurzen „aha" und begann erneut, die richtige Temperatur für die Wadenwickel zu finden. Als ich zurück ins Zimmer kam, telefonierte er angeregt. Ich versorgte ihn erneut mit den Wadenwickeln und nutzte die Gunst der Stunde, um meine Mails zu checken. Als ich auf das Handy blickte traf mich der Schlag. Tomás hatte mich sieben Mal angerufen und drei Nachrichten geschickt. Sofort rief ich ihn zurück und verschwand zum Telefonieren im Badezimmer.
„Hallo?"
„Hi Tomás, hier ist Emma. Tut mir leid, dass ich mich bisher nicht gemeldet hab."
„Wie schön, dass du noch anrufst", sagte er freundlich, „wie gehts dir? Seid ihr noch in der Bar?"
„Ich und Samu nicht. Er hat was Falsches gegessen. Er hat Bauchschmerzen und Fieber. Aber alle anderen sind da."
„Von Schwester Emma würde ich mich auch pflegen lassen."
Ich grinste in mich hinein und schwieg.
„Ich vermiss dich", sagte Tomás nach einer kurzen Pause, „sag mir, wenn ihr zurück kommt, ja? Dann hol ich dich ab und ich koch uns was."
Wieder sagte ich nichts. Es tat gut, Bestätigung zu bekommen.
„Emma?"
„Ja?", sagte ich verwirrt, „öh, ja. Kochen klingt toll. Ich sag dir auf jeden Fall Bescheid."
„Schön. Gibt es sonst was Neues?"
„Nein nein, sonst gibt es nichts. Bei dir?", log ich.
Wenn Samu erzählen wollte, dass Vivi ihn betrogen hatte, dann sollte er das selber tun.
„Auch nichts."
„Hast du morgen fr...?", fragte ich, als ich bemerkte, wie jemand langsam die Klinke der Badezimmertür runterdrückte.
„Nein, ich hab Frühschicht", antwortete Tomás schneller, als ich überhaupt fragen konnte.
„Ok, wunderbar. Ich meld mich!", sagte ich schnell und legte das Handy zur Seite.
Ich stütze mich am Waschbecken ab und tat so, als hätte ich mein Make-up überprüft. Samu betrat das Bad und sah mich mit aufgequollenem Gesicht an. Seine Augen waren rot, seine Haare verzaust.
„Was ist passiert?", fragte ich besorgt.
„Ich habe mit Vivi telefoniert."
„Und?"
„Sie und diese guy", Samu machte eine abfällig Handbewegung, „since one year sie trifft sich mit diese dude."
Ich riss die Augen. Ein Jahr schon? Wenn sie schon so lange jemand anderen hatte, warum bestellte sie dann an der Rezeption Massagen und andere Dinge für Samu? Um ihr Gewissen zu beruhigen?
„Ich verstehe nicht", eine Träne rann über sein Gesicht, „what is wrong with me? Arbeite ich too much for keeping her safe? I did everything!"
Ich nahm Samus Hand, zog ihn aus dem Badezimmer und löschte das Licht. Vor dem Bett lagen die feuchten Wadenwickel und bildeten langsam aber sicher einen dunklen Fleck auf dem roten Boden. Der Fernseher lief noch immer und zeigte gerade eine dieser Werbungen, bei der ein junger Mann seine Freundin ganz liebevoll mit Eis fütterte. Dessen ungeachtet setzte ich mich mit Samu auf das Bett und benötigte beide Hände, um seine rechte Hand komplett zu umschließen. Er hatte die ganze Zeit still geweint und sah mich erwartend an.
„Du bist einer der schönsten Männer, die ich kenne, Samu. Damit mein ich nicht dein Äußeres, sondern das, was du bist."
„Danke", schluchzte er.
„Wenn es dir morgen besser geht, dann gehen wir shoppen, ok? Diese graue Mütze ist mir schon lange ein Dorn im Auge", meinte ich und verdrehte die Augen.
„Ich liebe diese beanie", antwortete er und zog die Nase hoch, „oh man. You must think, ich bin eine Weischei."
„Boys do cry", lächelte ich und streichelte seine Hand.


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