Es war Herzschmerz gewesen

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„Es stinkt", sagte ich, als ich die Küche betrat. Samu stand in Boxershorts vor dem Herd und versuchte Rührei zu kochen.
„I said I'm not able", er drehte sich zu mir um, „feierst du eine big party, wenn ich bin weg?"
„Wie kommst du darauf?", wollte ich wissen und fischte mit einer Gabel ein Stück nicht verbranntes Ei aus der Pfanne.
„Weil du toll aussiehst."
„Danke", sagte ich mit vollem Mund, „so schlecht ist das Ei gar nicht. Aber da fehlt was."
„Was?", Samu nahm sich meine Gabel und piekste ebenfalls in die Pfanne.
Ich überlegte.
„Salz", sagten wir gleichzeitig.
„Das nächste Mal kochst du wieder, ok?"
„Auf jeden Fall. Wenn du sechs Eier brätst und vier davon verbrennen wird niemand satt", lächelte ich und steckte mir erneut ein Stück Rührei in den Mund.
Samu setzte einen Hundeblick auf und schaltete den Herd aus.
Ich legte den Kopf schief und streichelte seine nackte Schulter.
„Kein Problem, Finne."


Nach dem Frühstück hatte Samu schnell seine Tasche gepackt und war mit mir im Schlepptau in Richtung Düsseldorf aufgebrochen.
„How does it work now?", fragte Samu, als wir auf die Autobahn fuhren. Wir waren 30 Minuten zuvor in den BMW gestiegen und hatten seitdem kein Wort miteinander gewechselt.
„Was meinst du?", ich starrte weiterhin aus dem Fenster.
„Wie machen wir heute? Ich fliege home, du bringst die Wagen weg und gehst dann zu die brunch?", fragte er vollkommen rational.
„So in etwa, ja", ich war erschüttert über seine Nüchternheit, „Tomás holt mich direkt am Flughafen ab, glaube ich. Er hat noch nicht geantwortet. Dann fahren wir zusammen zurück."
„Aha", meinte er teilnahmslos, schaltete in den sechsten Gang und gab Gas.
Ich war innerlich vollkommen zerrissen. Gerade noch war er der liebste, tollste, netteste, -für mich- attraktivste Typ auf diesem Planeten und plötzlich schien er kühl und verbittert.
Ich überlegte, ob ich ihn darum bitten sollte, sich zu melden, sobald er angekommen war.
„Samu?"
„Yes?"
„Was ist?"
„Nothing, warum?", er würdigte mich keines Blickes.
„Weil du komisch bist. Seitdem wir in dieses Auto gestiegen sind wirkst du verhext."
„Hex hex", sagte er.
„What's your problem?", versuchte ich zu erfahren und legte meine linke Hand auf seinen Oberschenkel.
„Don't touch me please."
„Was ist los?", ich wich zurück.
„Ich hasse Abschieds. Und I don't wanna see you mit die portugalboy. Not after yesterday."
Eigentlich wollte ich ihn auch nicht gehen lassen. Aber das war sein Job. Und ich war froh, dass er für diese Hochzeit extra gekommen war. Die Zeit hatte mein Freund nicht.
„Sehen wir uns?", wollte ich mich versichern. Obwohl ich ihm bereits vor dem Schlafen versprochen hatte, dass wir uns wiedersehen.
„Sure."
„Wann?"
„Wenn du back bist aus Antofagasta?"
„Versprichst du es?"
„Emma. I always keep my word. Sag mir eine situation where I didn't keep my word."
"Ich kann mich an nichts erinnern", sagte ich nach einer kurzen Pause.
„You see", er nickte bejahend mit dem Kopf und bog in das Parkhaus 7 des Düsseldorfer Flughafens.


„Have a nice flight!", sagte ein Flughafenangestellter, als Samus Tasche auf dem Fließband nach hinten transportiert wurde. Er nickte bedankend und verließ neben mir gehend den Schalterbereich einer großen deutschen Fluggesellschaft.
„Jetzt ich kaufe dir deine Kakao", grinste Samu.
„Als Entschädigung für das Frühstück?"
„Yes! Take a seat und wait."
Ich setzte mich, während er sich auf den Weg zu einem der vielen Bäcker machte. Für einen Samstag war auf dem Terminal relativ wenig los. Einige wenige Geschäftsmänner waren unterwegs und zogen hektisch ihre schwarzen Rollkoffer hinter sich her. Plötzlich vibrierte mein Handy in der Tasche. Jukka.
„Hello?"
„Emma? Where are you?"
„At the airport, why?"
„Where is Samu?"
„He is looking for breakfast", stammelte ich unsicher.
„Can you tell him that the flight mode isn't a good idea?"
„I'll tell him. Is everything ok?"
„Ok, thanks", er ignorierte meine Frage und wechselte die Stimmlage, „how are you?"
„I'm doing ok, you?"
„We have to work hard. Mikko is here waiting for Samu. The interviewer is waiting for him, too."
„He'll take the flight at 12 o'.clock", ich schluckte.
Hätte er eigentlich eher fliegen müssen?
Jukka räusperte sich.
„Can you tell him that he has to call me?"
„I'll do."
„Thank you. Have a nice day and enjoy your time at home!"
„Thank you. You too!", lachte ich unsicher und hörte ein Tuten am anderen Ende der Leitung.
Ich legte auf und sah auf das Display. Während des Telefonats hatte jemand meine Freundschaftsanfrage bei Facebook bestätigt und Tomás hatte sich dazu erbarmt, auf meine SMS zu antwortet.
Ein schlichtes "ja" schickte er mir.
„Danke", sagte ich zu mir selbst, bevor Samu mir eine Bäckertüte und einen Pappbecher hinhielt.
„Everything ok?"
„Warum hast du nicht den Flug genommen, den du eigentlich nehmen solltest?", fragte ich trocken.
„What?"
„Jukka hat mich angerufen."
Er fuhr sich mit der freien Hand nervös durch die Haare.
„Samu."
„I love your finnish accent", grinste er und setzte sich neben mich, „take this."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Warum hast du mich angelogen und gesagt, dass dein Flug erst um 12.00 Uhr geht? Der Interviewer wartet bereits auf dich. Und du bist erst um 16.00 Uhr in Helsinki."
„15.10 Uhr", korrigierte er mich.
„Samu", meinte ich ernst.
„Yesterday I buche die Flug anders, weil ich wollte mit dir sein länger", gab er zu, „I wanna spend the whole night with you. Not only a few hours."
„Zu welchem Preis?"
Verwirrt sah er mich an.
„Was ist, wenn du nie wieder die Möglichkeit zu einem Interview bekommst, weil du heute unpünktlich bist?"
„No problem."
„Deine Zukunft hängt davon ab, Samu", ich wollte nicht tadelnd wirken und zwang mich daher zu lächeln.
Er nickte verständnisvoll.
„Jukka hat mir auch gesagt, dass du dein Handy die ganze Zeit im Flugmodus hattest."
„Because I didn't want that somebody disturb us."
„Du hättest was sagen müssen", meinte ich ernst und nahm ihm den Kakao ab, „es wäre doch kein Problem gewesen, wenn du eher geflogen wärst. Wir hätten doch dennoch einen schönen Abend gehabt."
„With ten phone calls per hour, yes. A very nice evening", meinte Samu ironisch, zog das Handy aus seiner Hosentasche und verband sich nach über 24 Stunden wieder mit der medialen Welt. Fast sekündlich blinkte das Display auf.
„Du sollst Jukka zurückrufen."
„Later."
„Mach das bitte jetzt."
„I call him in the duty free area, ok?"
„Versprichs."
Er hob drei Finger in die Luft und steckte das Smartphone zurück in seine Hosentasche.
„Wollen wir eine Stückschen gehen?", fragte er und biss in das Essbare der Bäckertüte.
„Wohin?"
Er stand auf, streckte mir die Hand entgegen.
„Trust me."
„Das tu ich", lächelte ich verlegen und legte meine Hand in seine.


Wir befanden uns auf der Aussichtsplattform des Düsseldorfer Flughafens und beobachteten die an- und abfliegenden Flugzeuge. Samu hatte die Hände über die Brüstung gelegt und wurde durch die pralle Sonne geblendet.
Er rauchte.
„Das, was ich gestern gesagt hab, meinte ich genau so, aber", begann ich das Franzbrötchen kauend, „ich will dir nicht wehtun, ok?"
„Kannst du imagine, wie schwer es ist für mich, dass du gehst mit diese Schmierlappen zu die brunch?"
Nein.
Das konnte ich nicht.
Aber ich konnte mich sehr genau an das Gefühl erinnern, welches Samu in mir auslöste, wenn ich gesehen, wie er Vivianne geküsst hatte.
Es war Herzschmerz gewesen.
Jede einzelne Nervenzelle meines Körpers hatte einen Schlag erlitten.
Mit jedem Kuss, den er ihr gegeben hatte.
„Nein, das kann ich nicht."
„It hurts a lot."
Ich steckte das Franzbrötchen zurück in die Tüte, putzte die Krümel von meinem Mund und beobachtete Samu einige Zeit.
„What?", grinste er und schnippte den Zigarettenstummel hinunter.
„Ach nichts."
„Sag!"
„Niiiiichts", wiederholte ich grinsend.
Er trat hinter mich und schlang seine Arme um mich.
„I don't wanna go", sagte Samu geknickt, „I'll miss deine breakfast."
„Wenn das das Einzige ist", meinte ich gespielt arrogant und hielt seine Hände vor meiner Brust zusammen.
Samu drehte mich mit einer einzigen Handbewegung zu sich um und stützte sich auf dem Geländer ab. Sofort umfasste ich ihn an den Hüften.
„Ich werde dich vermissen", sagte ich ehrlich, „nicht dein Schnarchen, aber dich."
„Ich schnarche nicht."
„Natürlich tust du das."
„Maybe you can record this, wenn du bist das nächste Mal hier oder bei mir in Helsinki?"
„Du wirst staunen, wie laut du schnarchst", entgegnete ich um die Einladung indirekt zuzusagen.
„Maybe du zeigst mir dann auch endlich deine tattoo?"
„Niemals nie."
„You never should say never", grinste er und küsste meine Stirn.
„Letzter Aufruf für den Flug AY 704 von Düsseldorf nach Helsinki", ertönte eine Stimme aus den Lautsprechern der Aussichtsplattform.
„Shit", rief ich und ließ Samu augenblicklich los.
„They will wait for me, I'm a vip", lachte er.
„Das glaubst auch nur du", sagte ich und sprintete über die Terrasse, die Rolltreppe im Inneren hinunter.


Wir hatten einen Hindernisparkour aus Menschen und Koffern bestritten; zum Dank dafür brach mir einer der Absätze ab, so dass ich während des Rennens einen von Lenis Schuhen opfern musste.
„Warum wir mussen rennen? Look!", sagte Samu und deutete auf die Schlange vor dem Gate.
„Weil ich nicht wissen konnte, dass alle Menschen zu spät kommen", antwortete ich und hielt mir die Seite, „Marlen wird mich umbringen, wenn sie sieht, dass ich ihre Schuhe geschrottet habe."
„Ich kann unterschreiben, wenn du willst. Maybe it doesn't matter then?", grinste er frech und kassierte für diese prominente Bemerkung einen Piekser in die Rippengegend.
„It's time to leave, right?", fragte ich.
Samu nickte und gab mir den Schlüssel des BMWs.
„Do you call me tonight?"
„Mach ich, wenn du dich meldest, sobald du gelandet bist", ich legte meinen Kopf an seine Brust, während er mich umarmte und fest drückte.
„Ich liebe dich", flüsterte er mir ins Ohr.
Ich hob den Kopf und blinzelte ihn an. Augenblicklich füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich vergrub mich an Samus Brust.
„Don't cry. We'll see us."
„Geh nicht", wimmerte ich, „es ist gerade so perfekt."
„I have to, Emmi", er streichelte mit einem gezwungen Lächeln auf den Lippen meine Wange.
„Schatz?", unterbrach uns eine Stimme, „hey..."
Tomás stand mit einer roten Rose in der Hand vor uns.
„Ich dachte, ich würde dich hier finden", sagte er entschuldigend und öffnete die Arme.
Ich wich einen Schritt von Samu zurück und starrte ihn mit meinen verheulten Augen an. Er nickte und deutete mit dem Kopf in Tomás' Richtung. Ich watschelte mit einem Schuh in der Hand und dem Anderen am Fuß die wenigen Schritte zu Tomás und heulte in sein schwarzes Hemd. Er umarmte mich fürsorglich und streichelte beruhigend über meinen Rücken.
„Hi Samu, hab einen guten Flug", sagte er freundlich.
„Danke. Habt einen schönen Tag", Samu streifte meine Schulter, „Don't forget to call me, Emmi, ok?"
Ich nickte nur, ohne den Kopf erneut zu heben. Ich vernahm das Piepen des Drehkreuzes und den dumpfen Ton, den es von sich gab, wenn eine Person es passiert hatte. Erst danach blickte ich auf und sah Samu auf der Rolltreppe stehen. Ich streckte meine Hand und winkte unsicher. Er tat es mir gleich und wendete den Blick erst ab, als er die Rolltreppe und somit auch mein Leben für die nächsten Monate zumindest körperlich verließ.

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