Weil er war geblendet von meine beauty!

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„Und du bist dir sicher, dass du keine Sonnenbrille brauchst?"
„Emma!"
„Entschuldige", meinte ich und kurbelte das Beifahrerfenster meines VW Beetles herunter.
„Let yourself go und sag mir, wo ist die nächste Möbelhaus", Samu kuppelte in den ersten Gang und wartete.
Nach dem Frühstück im Courtyardhotel mit frischen Croissants vom Bäcker und Heidelbeer-Vanille Marmelade hatten wir lediglich den Flur in der neuen Wohnung streichen müssen. Auch das hatten wir schnell erledigen können, so dass einem Besuch im Möbelhaus nichts mehr im Wege stand. Ich benötigte eine komplette Küche, und ein Wohn- beziehungsweise Esszimmer. Das Schlafzimmer hatte ich weitestgehend mitnehmen können.
„Fahr mal nach Witten."
„Address?"
Ich tippte die Adresse des Möbelhauses in die Navigationsapplikation meines Handys und legte es auf das Armaturenbrett. Samu nickte und fuhr los.


Erst als wir das Möbelhaus betraten, setzte Samu seine Sonnenbrille auf, um nicht erkannt zu werden. Natürlich hofften wir auf Grund des warmen Wetters, dass alle Fans ein Freibad aufgesucht hatten oder bereits wieder in der Schule saßen. Tatsächlich waren nur ältere Herrschaften in dem klimatisierten Gebäudekomplex unterwegs. Wir fuhren die Rolltreppe hoch und schnappten uns einen Einkaufswagen, bevor wir durch die Gänge schlenderten. Samu lehnte sich immer wieder wie ein kleines Kind über den Wagen und ließ ihn einige Meter rollen, ohne dass Samu den grauen PVC-Boden mit den Füßen berührte. Ehe wir die Wohnzimmerabteilung betraten, hatte er den halben Wagen bereits mit maritimen Dekorationsartikeln bestückt, welche ich auf keinen Fall bezahlen durfte.
Das erste Wohnzimmer, an dem wir vorbeiliefen, überzeugte mich sofort. Genau so wollte ich es haben. So, wie es aufgebaut war. Die Wohnwand war weiß und bot Unmengen an Stauraum. Rechts, links und oben konnte ich Bücher, DVDs und CDs verstauen, unten meinen DVD-Player und andere elektronische Geräte. Teilweise mit, teilweise ohne Türen. Als Samu einen Blick auf das Preisschild warf, notierte er sofort die Artikelnummer und deutete mit dem Daumen nach oben. Auch die Sofaecke in steingrau, die unmittelbar vor der Wohnwand stand, hatte mich völlig in seinen Bann gezogen. Die Kombination stimmte und passte hervorragend zu dem Boden und den gestrichenen Wänden in meiner kleinen Wohnung. Samu musste sofort Probe sitzen und legte sich anschließend sogar hin. Er müsse schließlich testen, ob er es zehn Stunden darauf aushalten könne. Der Preis passte auch noch in das Budget, sodass sie ebenfalls auf Samus Liste landete.
Glücklicherweise hatte ich noch am Morgen mein Sparbuch aufgelöst. Dadurch war es mir möglich, hochwertigere Möbel zu kaufen, die ich nicht nach drei Monaten erneuern musste. Dennoch war mir bewusst, dass ich auf längere Sicht einen festen Job mit festem Einkommen brauchen würde. Allein, weil ich Studiengebühren zu zahlen hatte. Das Rumdümpeln musste bald ein Ende haben.
Bei der Auswahl des Esszimmertisches ließ ich Samu freie Hand. Mir gefielen viel zu viele Tische und Stühle, als dass ich eine halbwegs vernünftige Entscheidung hätte treffen können. Außerdem wollte er, dass ich die Kontrolle abgab und mich einfach mal treiben ließ. Aber auch er schien überfordert. Hunderte Artikelnummern hatte er schon notiert und erneut durchgestrichen. Letztendlich suchte er einen rechteckigen, weiß-grau gemaserten Esszimmertisch und vier graue freischwingende Stühle aus. Ich packte noch zwei weiße Wandregale, einen ovalen Badezimmerspiegel und eine Stehlampe in den Einkaufswagen, bevor wir uns dem Kassenbereich und somit der Bilderabteilung näherten. Meine finnische Begleitung war Feuer und Flamme, als er die riesige Auswahl an Postern sah, die man ganz leicht mit Hilfe eines Bilderrahmens in ein hochwertiges Gemälde verwandeln konnte. Vorausgesetzt, man entschied sich für den goldenen Bilderrahmen mit zusätzlichen Verschnörkelungen an den Ecken. Auch hier wilderte Samu durch die Gänge und legte ein Keilrahmenbild nach dem anderen in den Einkaufswagen. Da er nicht auf meine Einwände reagierte, resignierte ich irgendwann und stemmte meine Unterarme wartend auf die Stange des Wagens. Vor allem quadratische Schwarzweißbilder, die Städte zeigten, hatten es Samu angetan. Als er selber nicht mehr wusste, was er noch in den Wagen werfen sollte, deutete er auf die Kasse. 1.420,95 Euro bezahlte ich in bar, Samus Ausbeute beschränkte sich auf magere 120 Euro. Für sechs Keilrahmenbilder und maritime Dekoration. Der Tisch und die Möbel waren auf Lager und konnten von uns bereits mitgenommen werden. Da mein Auto dafür allerdings zu klein war, entschied ich mich –nach Absprache mit dem finnischen Sänger- für die Mitnahme in einem Anhänger.
„Und jetzt wir gucken da nach eine Küche!", Samu deutete auf das Möbelhaus auf der anderen Seite, nachdem wir den Kleinkram ins Auto geladen hatten.


Wir schlenderten über den leeren Parkplatz, hinüber zu dem anderen Möbelriese. Die Mittagssonne knallte auf meine nackten Schultern. Auf die Idee, Sonnenmilch zu benutzen war ich nicht gekommen.


Samu nahm seine Sonnenbrille ab, als wir die Drehtür passierten und sah auf den Wegweiser auf der rechten Seite. Auch hier schienen lediglich die Mitarbeiter herumzulaufen und sich nur so viel zu bewegen, dass sie nicht zu schwitzen begannen. Nachdem er den Lageplan ausführlicher studierte hatte, schob er mich Richtung Rolltreppe.
Im ersten Obergeschoss angekommen lauerte schon ein Küchenexperte auf uns.
„Wie kann ich Ihnen helfen?"
„Wir suchen eine Einbauküche für maximal 2.000 Euro", lächelte ich freundlich, „sie darf nicht sonderlich groß sein."
„Farbe?"
„Wenn möglich, weiß."
„Mit oder ohne Elektrogeräte?"
„Wenn möglich, mit", gab ich telegrammartig von mir.
„Dann folgen Sie mir bitte", meinte der schlaksige Mitarbeiter und winkte uns hinter sich her.
Irritiert sah ich Samu an.
„Vielleicht es ist die Hitze", flüsterte er in mein Ohr und ergriff plötzlich meine Hand, als wir zu laufen begannen. Wieso tat er das?
„Was halten Sie von dieser hier?", der Verkäufer klopfte auf die rote Arbeitsplatte.
„Das ist aber nicht weiß", merkte ich an und zog die Augenbrauen hoch.
„Sie können auch eine andere Arbeitsplatte auswählen. Eine weiße zum Beispiel."
„Auch dann die Möbel sind rot", warf Samu ein und zog mit seinem Zeigefinger kleine Kreise auf meiner Hand. Ich bekam Gänsehaut.
Der Verkäufer schüttelte den Kopf.
„Wie finden Sie diese hier?", er zeigte auf die weiße Küche, die rechts neben dem ersten Ausstellungsstück stand.
„Das sieht doch schon besser aus", ich ließ Samus Hand los und fuhr mit beiden Händen über die Arbeitsplatte, „Mit Elektrogeräten?"
„Mit Elektrogeräten, ja. Die ist auch noch aus der letzten Saison, deswegen ist sie runtergesetzt."
Ich kramte in meiner Tasche nach einem Zollstock und dem Zettel mit den Maßen, die ich ausgemessen hatte, als Samu am Morgen das Abklebeband von den Türrahmen entfernt hatte.
„Könnte ich die auch mit einem Unterschrank weniger nehmen?"
„Natürlich."
Ich maß die Länge und Tiefe der Arbeitsplatte aus.
„Und?", fragte Samu, der den Zettel anvisiert hatte und versuchte, aus meinen Hieroglyphen zu lesen.
„Würde passen. Kannst du einmal aufs Preisschild gucken?"
„1.499 Euro."
Ich wand mich dem Verkäufer zu.
„Wie viel würde wegfallen, wenn ich den Unterschrank und einen Hängeschrank nicht nehme?"
„Das müsste ich am Rechner nachschauen, bitte folgen Sie mir."
Samu ergriff erneut meine Hand, als wir neben dem Rechner zum Stehen kamen und brachte damit meinen Bauch zum Kribbeln.
„Ohne die beiden Schränke wären das 1.299 Euro", rechnete der Verkäufer vor und sah dann Samu an, „sind Sie nicht der Sänger von Sunrise Avenue?"
Samu nickte.
„Könnte ich ein Autogramm bekommen?", er schob ihm einen dieser typischen Möbelhaus-Notizzettel und einen Kugelschreiber hin.
Samu lächelte und ließ langsam und widerwillig meine Hand los.
„Können wir auch ein Foto machen?"
„Sure", lächelte der Finne und sah zu mir herunter, „kannst du das machen?"
„Klar", grinste ich und wartete, bis der Möbelhausangestellte sein Smartphone aus der Hosentasche gefingert hatte und es mir gab.
Samu stellte sich neben ihn, legte den Arm um die Schulter des Küchenexperten und zeigte mit dem Daumen nach oben. Der Angestellte freute sich wie ein Schneekönig und hob sogar beide Daumen nach oben. Ich machte gleich mehrere Fotos aus verschiedenen Winkeln und legte das Handy anschließend auf den Schreibtisch, auf dem auch der Computer stand.
„Ich würd die Küche gerne nehmen", meinte ich, nachdem Samu dem Verkäufer noch einmal die Hand geschüttelt hatte.
„Dann stell ich Ihnen eine Rechnung aus", er grinste wie ein Honigkuchenpferd, „sollen wir die kostenlos liefern?"
„Das wäre perfekt. Ist die denn noch vorrätig?"
„Ich seh mal nach", er tippte, „ja. Vier Exemplare sind noch auf Lager."
„Geht heute noch?", fragte Samu freundlich und verhakte unsere kleinen Finger ineinander.
„Mit Sicherheit. Ich werd das einfach mit auf die Rechnung schreiben. Sie können sich noch ein wenig umsehen, wenn Sie möchten. Ich brauch nur Ihre Adresse."
Ich nickte und schrieb die neue Adresse auf ein weißes Blatt, bevor Samu mich ein Stück von dem Schreibtisch wegzog und auf eins der Sofas schleifte.
„Mir ist so heiß", er pustete sich Luft ins Shirt und setzte sich anschließend breitbeinig hin, „wir können heute noch einrichten."
„Bei dem Wetter?"
„Dann kannst du schon richtig wohnen in deine Wohnung."
„Hast du noch Bock?", fragte ich und fächerte mir Luft zu.
„It's funny, c'mon."
Ich holte das Handy aus meiner Tasche und rief meinen Bruder an. Meine Sachen waren glücklicherweise schon in der Wohnung, allerdings hatte ich nicht genügend Möbel für meinen ganzen Krimskrams. Daniel war nicht ganz überzeugt von der Idee, bei 35 Grad im Schatten Möbel aufzubauen, war aber positiv erfreut, als ich ihm erzählte, dass Samu auch helfen würde. Er erklärte sich bereit, unseren Eltern und Julian Bescheid zu sagen. Ich bedankte mich, legte auf und schrieb Leni eine Nachricht, dass sie in einer Stunde bei mir sein sollte. Ihre Antwort war kurz und einleuchtend: „Askla."
„Bitteschön, Frau Holmberg", der schlaksige Verkäufer überreichte mir die Rechnung, „einfach an der Kasse bezahlen."
„Vielen Dank. Schönen Tag noch", grinste ich, während Samu erneut seine Hand schüttelte.


„1.099 Euro bekomm ich dann bitte", sagte die Kassiererin, als sie die Rechnung scannte.
„Wie viel?"
„1.099 Euro."
Ich zog die drei letzten magentafarbenen Scheine aus meinem Portemonnaie und streckte sie der Kassiererin entgegen.
„401 Euro zurück, schönen Tag noch."
„Danke, Ihnen auch!", entgegnete ich freundlich und verließ schnellen Schrittes den Laden.
„Don't run, I'm sweating like a piglet", hechelte Samu gespielt.
„Der hat sich verrechnet, komm schnell."
„Weil er war geblendet von meine beauty", meinte er und setzte seine Sonnenbrille auf die Nase.

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