Sollte mein Kopf endlich den Mund halten

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Ich schlang meine Arme um Samus Hals und zog ihn dichter zu mir, während er die Hand, die gerade noch auf meiner Wange geruht hatte, in meinen Haaren vergrub.
Langsam öffnete ich meinen Mund und saugte zaghaft an seiner Unterlippe, bevor er mir seine Zunge vorsichtig entgegenstreckte. Unsere Zungenspitzen tasteten sich behutsam an, ehe sie zu einem innigen Kuss miteinander verschmolzen. Ich begann wieder, Samus Nacken zu kraulen und ihm die Frisur zu ruinieren. Daraufhin presste er mich an der Taille noch fester an ihn ran. Er schmeckte so gut. Und ich konnte nicht genug von ihm kriegen. Ich küsste ihn fordernder. Meine Hände waren tief in seinen Haaren vergraben, als Samu das Tempo drosselte, von meinen Lippen abließ und sanft meinen Hals entlang küsste. In meiner Halsbeuge kam er zum Stehen und hauchte dort kleine Küsse hinein. Ein Seufzer entfuhr mir. Mein Herz machte einen Rückwärtssalto nach dem Anderen, bevor es aus meiner Brust zu springen schien. Meine Knie waren weich und wären vermutlich weggebrochen, hätte Samu mich nicht fest umklammert. Alle Haare meines Körpers hatten sich aufgestellt. Dieses Gefühl wollte ich nie wieder missen.
Ich wollte es konservieren.
Und für immer mit mir rumtragen.
„Scheiße", stammelte ich, während Samu langsam den Kopf hob und mich mit seinen blauen Augen durchdringend anvisierte.
Ich legte meine Hände wieder auf seine Brust und brauchte einen Moment, um mich zu sortieren.
„So bad?", fragte er leise und schlang seine Arme um mich.
Als Antwort reckte ich mich ihm entgegen und küsste ihn erneut. Ich wusste nicht, was an ihm so unglaublich anziehend war. Was ihn so begehrenswert für mich machte.
Ich nahm seine Hände von meinen Hüften und schleppte ihn –ohne meine Lippen von seinen zu lassen- mit auf das Sofa, als die Musik von Bon Jovi von einem ziemlich schrillen Klingelton unterbrochen wurde.
„Geh ran", nuschelte ich zwischen zwei Küssen.
„Not jetzt."
„Vielleicht ist es wichtig", ich zog meinen Kopf zurück und schob seinen Oberkörper ein Stückchen weg.
Er kniete zwischen meinen Beinen und fuhr sich durch die Haare.
„Ich habe gewartet so fucking lange fur diese kissing. Und jetzt die Frau, die ich bin verliebt in, sagt, ich soll gehen an die scheiß mobile."
Lachend küsste ich ihn erneut, um dann aufzustehen und sein Handy aus der Station zu entnehmen.
„Äiti."
„Was?", Samu setzte sich richtig hin.
„Es ist Äiti", wiederholte ich und hielt ihm das Telefon hin. Sofort hörte ich eine weibliche Stimme brabbeln.
Ich setzte mich neben Samu in den Schneidersitz und stemmte meine Ellenbogen auf die Knie, als er ganz selbstverständlich nach meiner Hand griff und sie streichelte.
Warum hatte ich das so lange unterbunden?
Die finnischen Sprachbrocken regneten nur so auf mich ein. Ich verstand kein einziges Wort.
„Was ist los?", fragte ich als er auflegte. Er blies die Wangen auf und atmete laut die Luft aus.
„You will laugh."
„Ich versprech, dass ich es nicht tue", meinte ich und robbte näher an ihn heran, „du hast bei dem Tattoo auch nicht gelacht."
„Weil es keine unicorn war", grinste er.
„Nun sag schon", ich piekste ihn in die Seite, „was ist los?"
„In meine house wurde eingebrochen."
„Scheiße", entsetzt hielt ich mir beide Hände vor den Mund.
„What the hell hast du mit „scheiße" heute?", lachte er und zog mich auf seinen Schoß.
„Das ist schon krass, findest du nicht?", ich küsste seine Nasenspitze.
„Das ist krass", sagte er und presste seinen Mund auf meinen, während er seine Hände über meinen Rücken gleiten ließ. Meine Arme verschränkten sich hinter Samus Nacken. Er knabberte zärtlich an meinen Lippen und presste mich an sich.
„Wann fährst du zurück?", flüsterte ich und fasste sanft an die Haaren an seinem Hinterkopf, so dass er mich ansehen musste.
„Was?"
„Nach Hause?"
„Warum?"
Ich nahm lachend seinen Kopf in die Hände und küsste ihn.
„Bei dir wurde eingebrochen. Da musst du doch da sein und sagen, was fehlt."
„Ja."
„Was ja?", ich lachte und küsste ihn wieder.
Während des Austauschs von Zärtlichkeiten arbeitete mein Kopf vehement gegen mein Herz. Bei jeder Berührung Samus machte es einen riesigen Hüpfer. Mein Kopf hingegen schrie mir unaufhörlich „lass das!" entgegen.
Grundlos.
Sollte meine Familie denken, was sie wollte. Sollte die Normwelt um mich herum denken, was sie wollte.
Sollte mein Kopf endlich den Mund halten.
Ich war unglaublich verliebt in diesen Typen, auf dessen Schoß ich da saß. Und insgeheim wusste ich, dass meine Familie das auch war. So gut sie den Rezeptionisten am Tag des Hochzeitsbrunches angeblich gefunden hatten, so sehr hatten sie sich am Abend davor in Samu verliebt. Auch, wenn Daniel sich damals toll mit dem Portugiesen unterhalten hatte, konnte ich doch an seinem Blick erkennen, dass er sich fragte, warum ich Samu nicht hier behalten hatte. Daniels „er ist mir total sympathisch!" zu Tomás' Person war aufgesetzt und unehrlich gewesen.
„Lass uns nach einem Flug gucken", flüsterte ich in Samus Ohr, der sich langsam aber sicher an dem Reisverschluss meines Kleides zu schaffen machte.
Er küsste meinen Hals, legte seine Hände hinter mich an den Po und sah mich genervt an.
„Do you think I'll leave now?"
„Bei dir wurde eingebrochen. Du musst da hin", wiederholte ich, bevor Samu meinen Kopf in seine großen Hände nahm um mich erneut zu küssen. Ich griff fest an seine Handgelenke und fuhr mit Druck seine Unter- und Oberarme entlang. An seinen Schultern kam ich zum Stehen und drückte leicht auf die Stelle mit dem Sonnenbrand. Sofort löste er sich von mir und schob schmerzverzerrt die Unterlippe nach vorne. Ich legte meine Hände auf seine Brust und tippelte mit den Fingerspitzen.
„Wir machen einen Deal, ok?"
„Welche?"
„Wir gucken nach einem Flug und dann kümmere ich mich um deine Schultern."
Samu zog die Augenbrauen hoch.
„Und?"
„Und wenn du tapfer warst, bekommst du ein Bonbon."
„Eine bonbon?", seine Stirn warf Falten.
„Ein Bonbon, ja", schmunzelte ich, erhob mich und wartete, dass Samu auch aufstand. Anschließend streckte ich ihm meine Hand entgegen. Sofort nahm er sie und zog mich daran ganz nah an seine Brust, legte sein Kinn auf der Brust ab und sah mich mit einem schmutzigen Blick an. Seine Finger berührten mein Kinn, während er mir einen unschuldigen Kuss auf die Lippen hauchte, ohne mich auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Mein Körper kribbelte überall. Mir wurde heiß und kalt. Schlecht. Die Schmetterlinge in meinem Bauch wollten um jeden Preis an das Tageslicht.
„Ich hol eben den Laptop", meine Stimme zittere und war piepsig, „du kannst uns nochmal Wein einschenken."
„I had no idea, dass ich dich bringe so aus die plan", grinste Samu und nahm die Weingläser sowie den Weißwein von dem Wohnzimmertisch, um sich anschließend auf einem der Esszimmerstühle nieder zu lassen.
„Ich auch nicht", grinste ich und küsste seine verwuschelte Haarpracht, bevor ich im Schlafzimmer verschwand.


Samu hatte darauf bestanden, dass ich mich auf seinen Schoß setzte, während wir auf der Suche nach erschwinglichen Flügen waren. Immer wieder hauchte er mir einen Kuss in den Nacken und ließ mich für einige Sekunden erschaudern. Er genoss es, wie verfallen ich ihm war. Nicht selten verklickte ich mich deswegen und musste daraufhin eine neue Suchanfrage starten. Jedes Mal war Samus Schmunzeln unüberhörbar.
„Was ist hier mit?"
Samu hörte auf meinen Nacken zu küssen und starrte auf den Monitor.
„808 Euros? One way?"
„Ja, billiger geht es nicht."
„Wait", er nahm die Hände von meinem Bauch und änderte die Suchanfrage von einer auf zwei Personen. Zudem suchte er sofort nach einem Rückflug.
„438,80 Euro fur zwei", sagte er stolz, „morgen hin, sunnuntai zurück."
„Was?", nur ungern wand ich meinen Blick von ihm ab und schaute auf den Bildschirm, „Sonntag!"
„That's what I said."
„Du hast irgendwas mit Sun gesagt."
„No. I said sunnuntai. Das ist Sonntag", korrigierte Samu mich und küsste sanft über meine Schulter.
„Du kannst das Wort „Sonntag" innerhalb von Sekunden ins Finnische übersetzen, aber ein „ü" für irgendein deutsches Wort hast du nicht übrig?", wollte ich wissen und legte seine Hände unter ständigem Streicheln wieder auf meinen Bauch.
„If I have to, yes", grinste er und verhakte unsere Hände miteinander, „wir konnen sparen wie geht. Kommst du mit? Dann wäre die eine Flug nicht umsonst."
„Nach Finnland?"
Samu nickte.
„Oh man", sagte ich zu mir selbst.
„What's wrong? I don't wanna push you. Ich kann fliegen alleine."
„Das sollst du gar nicht. Aber dann würde ich vermutlich deine Familie kennenlernen, oder?"
„Sure. But ich kenne deine auch. What's the problem?"
Hör auf dein Herz.
„Ich komm mit. Ich will mich nicht wieder von dir verabschieden müssen", gab ich zu.
„That's what I wanna hear", er küsste meinen Nacken, „kannst du ausfüllen diese thing here?"
Ich nickte und gab unsere Daten –soweit sie mir bekannt waren- ein.
„Die Adresse musst du selber eingeben."
Schnell tippte er seine Adresse, sowie Postleitzahl und Bankdaten ein. Noch nie hatte ich so lange auf seine Hände gestarrt. Immer mal wieder war mir aufgefallen, dass sie um einiges größer waren als meine. Aber dass er so gepflegte Hände hatte war mir bisher entgangen.
Da war sie. Die rosarote Brille.
„Ist es ok, wenn ich dir das Geld für die Flüge gleich in bar gebe?"
„No way. Das ist fur die teure Wein."
„Jaja, genau."
„No joke, Emmi. Ich will deine Geld nicht."
„Sicher?"
Er küsste meinen Hals.
„Sure. Nie wieder ich will das hören. Ich habe gefragt, also ich zahle."
„Danke", sagte ich leise und kuschelte mich an ihn.
„Ich habe eine Verletzung an die shoulders, Schwester", wechselte Samu das Thema.
Ich veränderte meine Sitzposition, setzte mich seitwärts auf sein Bein und legte die Arme um seinen Hals.
„Geh schonmal rüber und leg dich hin. Ich will nur eben sowas wie 'n Taxi für morgen früh bestellen und meinen Koffer packen. Wann holen wir deine Sachen?"
„Haha", lachte Samu, „alles in deine kleine Auto."
„Perfekt", ich hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„I know, dass du mich nicht schickst zurück in die hotel."
„Woher?"
„Weil du mich gefragt hast nach eine date und du gerne magst, neben mir einzuschlafen", sagte er grinsend, „schon in Münschen."
„Hol jetzt deine Sachen", schmunzelte ich, „ich räum währenddessen den Laptop weg."
„Don't let me wait too long", er küsste meinen Scheitel und kramte meinen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche. Kaum war er draußen, seufzte ich verliebt und wählte Daniels Nummer.


Samu hatte sich widererwartend mit dem restlichen Wein und seinem Handy auf das Sofa gesetzt und gewartet, bis ich mit dem Packen fertig war. Als ich das Wohnzimmer betrat, um meinen Koffer neben der Wohnwand abzustellen, überlegte ich kurz, ob er mich bezüglich des Gins angelogen hatte. Hatte er ein Alkoholproblem?
Müsste er nicht jeden Tag trinken, um eins zu haben? Ich dachte an die letzten Tage zurück und konnte mich an keine Situation erinnern, in der ich ihn zitterig oder unruhig erlebt hatte. Vielleicht trank er wirklich nur mit diesem Freund. Wobei ich mir sicher war, dass dieser auf jeden Fall ein Alkoholproblem haben musste.
Ich stellte meinen Koffer rechts von der Wohnwand ab und sah auf unsere Handabdrücke. Irgendjemand hatte mit einem Permanentmarker „follow your heart" darunter geschrieben. Ich sah zu Samu hinüber und wippte mit meiner linken Augenbraue.
„Hör mal", ich tippte mit dem Zeigefinger auf den Schriftzug, „was ist das hier?"
Er sah auf und zuckte mit den Schultern.
„Du weißt, dass das Sachbeschädigung ist?", meinte ich ironisch.
„Was denn?", Samu legte das Handy zur Seite und kniff die Augen zusammen, „ich kann nicht sehen."
Ich ging zu ihm und schleifte ihn an der Hand zurück zum Türrahmen.
„Das ist deine Schrift, Herr Haber."
Er schüttelte den Kopf.
„Natürlich."
„Maybe", knickte er ein, „ich dachte, das ist schöner vielleicht."
„Dachtest du, ja?"
Er nickte und blinzelte.
Ich zog ihn an seinem Hemdkragen zu mir herunter und küsste ihn stürmisch.
„Too much alcohol", nuschelte er und hielt mich davon ab, seine Hemdknöpfe zu öffnen.
„Ich wollte nicht mit dir schlafen", lächelte ich, „aber du hast gesagt, dass deine Schultern weh tun."
„Why du willst keine sex mit mir?" er runzelte die Stirn.
„Not hier und jetzt, ok?", ich lachte laut.
„You're kidding mich, Emma."
„Nachdem du diesen Satz zu mir gesagt hast, musste ich über ein halbes Jahr warten, bis du mich geküsst hast", neckte ich ihn und schob Samu ins Schlafzimmer.
„Das ist eine Luge!", protestierte er, „ich habe dich geküsst for the first time in Münschen!"
„Das zählt nicht!", ich umarmte ihn von hinten und begann erneut die Knöpfe seines Hemdes von unten nach oben zu öffnen, „kein Sex, versprochen."
Noch bevor ich einen weiteren Knopf öffnen konnte, hatte Samu sich mir zugedreht und meine Stirn geküsst.
„Ich mache alleine, sorry. I kann nicht denken, wenn du machst."
Grinsend verließ ich mit meinem Schlafshirt das Zimmer und machte mich im Badezimmer fertig für das Bett.

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