In Gedanken an ihn

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Müde ließ ich meine schwarze Sporttasche im Flur fallen, fläzte mich auf meine neue Couch, schaltete den Fernseher ein, fuhr mein Macbook hoch, welches auf dem nicht mehr ganz so neuen Wohnzimmertisch stand und bestellte mir mit wenigen Mausklicks Currypasta mit Lachs.
Ich hatte es tatsächlich geschafft, neue Möbel zu kaufen, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen, an neuen Songideen zu arbeiten, obwohl ich Urlaub hatte, meine Familie und Freunde zu besuche und Filme zum vierten oder gar fünften Mal anzusehen, bevor ich ins Bett ging.
Nur, um mich damit von Emma abzulenken.
Zwei Wochen waren vergangen, seitdem sie fluchtartig das Sommerhaus in Espoo verlassen hatte. Nachdem ich an diesem Tag gegen Nachmittag von Mikko aus meinem komatösen Schlaf geklingelt wurde, realisierte ich, dass sie wirklich weg war und vermutlich so schnell nicht mehr auf die Idee kommen würde, zurückzukommen.
Ich hatte mich miserabel gefühlt. Ich war völlig verkatert und hatte Hunger für eine ganze Fußballmannschaft. Mein Manager brachte freundlicherweise Kaffee und trockene Brötchen vorbei und wollte den Hintergrund für Emmas morgendliche Abreise erfahren, da sie –laut Mikko- vollkommen neben sich gestanden hatte.
Diese ewige Diskussion um irgendetwas –für mich- Belangloses, ja Nichtiges ging mir tierisch auf die Nerven. Ich konnte verstehen, warum sie sauer war. Hätte sie mich derartig angelogen, wäre ich kaum ruhiger geblieben. Dennoch störte es mich ungemein, dass sie wie aus dem Nichts wieder in ihr altes Verhaltensmuster fiel, welches ich so sehr an ihr hasste. Immer und immer wieder in der Vergangenheit bemutterte, tadelte und kontrollierte sie mich, begegnete mir nicht auf Augenhöhe.
Dennoch fühlte es sich komisch an. Die wenigen Tage, die wir gemeinsam im Mökki verbracht hatten, waren ausreichend, um mich wieder an das Gefühl zu gewöhnen, wie es war, neben jemandem einzuschlafen und wieder aufzuwachen, den man liebte. Dieses wohlige Kribbeln, welches sich ausbreitete, wenn du ihre Finger auf deiner nackten Brust spürtest, weil sie sich -ohne dich aufzuwecken- in deinen Arm legen wollte.
Ich wusste nicht, was mich in der Nacht vor Emmas Abreise so sehr aus dem Konzept gebracht hatte, dass ich wie von der Tarantel gestochen zuerst einige Zigaretten vor der Tür geraucht hatte und mich dann spontan mit den Jungs im Gallow's Bird zum Alkohol trinken verabredete. Und nach unzähligen Flaschen Bier bei Osmo auf dem Sofa gelandet war, um dort ebenso unzählige Pinnchen Salmiakki in mich hinein zu kippen. Wir spielten Billard, redeten über Musik, Hobbies und Frauen. Nicht über unsere eigenen, aber über die der Menschen, die nicht anwesend waren. So konnte ich unangenehme Gespräche, die Emma betrafen, vermeiden.
Es klingelte an der Wohnungstür.
Der Lieferant brachte mir die georderte Pasta und eine Flasche Wein als Treuegeschenk. Das war genau das, was ich nach einer anstrengenden Woche voller Promotionstermine brauchte. Mein Lieblingsessen und ein Glas leckeren Rotwein.
Ich hatte Emma nicht erzählt, dass ich in Deutschland gewesen war, um bei verschiedenen TV-Sendungen für die Show im Januar zu werben. Wieso auch? Es hätte keinerlei Auswirkungen gehabt, wenn sie sich sowieso schon nicht meldete. Dass ich gesagt hatte, dass sie ein „Sexadventure" gewesen sei, hatte vermutlich seinen Teil dazu beigetragen. Es stimmte nicht, war vollkommen aus der Luft gegriffen, unsachlich und unfair. Das war mit Sicherheit einer der Hauptgründe, warum ich 14 Tage nichts von ihr gehört hatte.
In den sozialen Netzwerken war sie weiterhin aktiv. Tot war sie daher definitiv nicht. Emma ließ die Welt an ihrem neuen Job im Pressebüro des Düsseldorfer Schauspielhauses teilhaben und postete zwischendurch Fotos aus dem Büro oder vom Rheinufer bei Abenddämmerung, nachdem sie mit ihren Kollegen essen gewesen war. Das war das einzige Bild, welches ich mit einem Favoriten-Herzchen versehen hatte, weil es mich an den Abend ihres Geburtstages im Oktober erinnerte.
Ich zappte mich lustlos durch das abendliche Fernsehprogramm und schaufelte die Currypasta in mich hinein. Die Serien waren auch nicht mehr das, was sie früher mal gewesen waren. Egal, zu welchem Zeitpunkt man ausstieg; man wusste –selbst wenn man jahrelang nicht zugesehen hatte- immer, worum es ging. Mimmi schlängelte sich um meine Beine und forderte nach meiner langen Abwesenheit Liebe und Zuneigung ein, während Kisu auf einem der weißen Sofakissen lag.
Typisch Frau.
Ich nahm einen großen Schluck Rotwein, schmiss die Plastikgabel in die Aluminiumverpackung der Pasta und hob Mimmi auf den Schoß. Ich streichelte über ihren Kopf und fühlte mich plötzlich um 20 Jahre gealtert.
Mein Blick schweifte über die Bilder an der gegenüberliegenden Wand. Meine Schwester mit ihrem Mann, ihren Kindern. Meine Großmutter mit Santtu. Meine Mutter mit ihren Enkeln.
Schmerzlich wurde mir bewusst, dass das Leben, was ich momentan führte, nicht das war, was ich für immer leben wollte.
Ich liebte meinen Job, die Musik, die Band, das Gefühl, vor tausenden von Menschen auf einem ausverkauften Open-Air Gelände zu spielen – keine Frage.
Aber bis zu meinem 70. Lebensjahr nach einem schönen Tour-Wochenende nach Hause zu kommen, mir etwas bei dem Italiener meines Vertrauens bestellen und einer Katze das Fell zu streicheln war nicht mein Plan eines erfüllten Lebens.
Nicht das war, was meinen idealen Vorstellungen entsprach.
Vorsichtig schob ich Mimmi zur Seite, schaltete den Fernseher aus, öffnete meine Playlist und ließ Stevie Wonder an meine Ohren klingen. Nebenbei durchforstete ich die unendlichen Weiten des World Wide Webs nach einer neuen Herausforderung.
Irgendetwas, was mich nicht spontan 20 Jahre älter machte.
Bis zum ersten Clubkonzert hatte ich noch vier Monate Zeit. Zeit, die ich nutzen konnte, um etwas Neues zu lernen, einen Bungeesprung zu machen, ein neues Auto zu kaufen, neue Länder und Städte zu bereisen. Vielleicht irgendwo hin zu fahren, wo mich nicht jeder sofort erkannte und ein Foto machen wollte.
Das Handy neben mir vibrierte. Ich schielte hinüber.
„Gin?"
Frustriert klappte ich mein Macbook zu, schaltete das Licht aus, stellte noch eine Waschmaschine an, schloss die Haustür ab und ging die Wendeltreppe ins Schlafzimmer hinauf.


Noch in der Nacht von Lenis Party hatte ich einen Flug nach Helsinki gebucht. Von dem Geld, welches praktisch noch nicht existierte.
Die Woche über hatte ich mich mit dem neuen Job im Schauspielhaus gut ablenken können. Sobald ich jedoch nach Hause kam, schien mir die Decke auf den Kopf zu fallen. An jeder Ecke meiner kleinen Wohnung erinnerte mich etwas an Samu.
Der Tisch.
Die Stühle.
Die Farbe an den Wänden.
Je näher der Abflugtermin rückte, desto mehr Magenschmerzen hatte ich beim Aufstehen. Desto mehr Magenschmerzen bekam ich beim zu Bett gehen.
Als ich mir während einer der Mittagspausen eingebildet hatte, Mikko und Samu in der Düsseldorfer Innenstadt gesehen zu haben, wusste ich, dass diese Art von Reise unabdingbar für mich war.
Sie war der letzte Versuch irgendetwas zu retten.
Immer noch hatte ich gehofft, dass Samu sich bei mir melden würde.
Tat er aber nicht.
Dafür lud er –ebenso wie ich- neue Bilder in den sozialen Netzwerken hoch, teilte Musik und Videos. Und er favorisierte Bilder.
Mein Bild, welches ich abends am Rheinufer geschossen hatte.
In Gedanken an ihn.
Julian hatte mich auf Lenis Party zur Vernunft gebracht.
Warum sollte Samu sich wie ein Gentleman verhalten, wenn ich nicht in der Lage war, das passende Gegenstück darzustellen?
Warum sollte er der nette Typ sein, wenn ich die Furie war?
All das machte keinen Sinn.
Ich musste etwas an meiner Einstellung ändern. Ansonsten würden wir uns sicherlich immer wieder streiten.
Auf der Arbeit war ich früher gegangen, um den Flug am späten Nachmittag nach Helsinki zu bekommen. Bereits beim Einchecken überlegte ich, ob es so gut gewesen war, Riku zu bitten, mich am Flughafen abzuholen. Wir hatten in der letzten Woche telefoniert, weil er sich gewundert hatte, nichts mehr von mir in unserer Frühstücksgruppe zu lesen, obwohl die Jungs sie regelmäßig nutzten, um sich gegenseitig bearbeitete Bilder von sich zu schicken. Ich hatte ihm erzählt, was passiert war. Auch, dass ich in einem Alkoholrausch einen Flug gebucht hatte und mit dem Gedanken spielte, diesen auch wirklich anzutreten. Da ich bei meinem ersten Besuch in Helsinki die Fahrt über geschlafen hatte, wusste ich weder Samus Adresse noch irgendetwas anderes, was mich ansatzweise nach Munkkiniemi führen würde. Riku stimmte freudig zu, als ich ihn bat, mich zu Samu zu fahren. Ich sollte ihm lediglich Bescheid geben, ob ich pünktlich losgeflogen war.
Mit gemischten Gefühlen stieg ich aus dem Flugzeug, begab mich zum Gepäckband und wartete auf die Reisetasche meines Bruders. Den großen Backpacker-Rucksack durfte ich nicht nehmen, weil er in den nächsten Tagen für die große Reise zur Probe gepackt werden musste.
Riku begann zu grinsen, als ich die Türen passierte und geradewegs auf ihn zu ging. Er umarmte mich fest und streichelte mir über den Rücken.
„Ready for the fight?", grinste er und schlug die Heckklappe des schwarzen Mercedes' zu, nachdem er mein Gepäckstück eingeladen hatte.
Ich nickte nur und stieg auf der Beifahrerseite ein.
Wirklich „ready" war ich nicht.
Ich hatte keine Idee, wie ich das Gespräch anfangen würde.
Wenn es überhaupt dazu kam.
Es hatte bereits angefangen zu dämmern, als wir gegen 20.00 Uhr den mir bekannten Weg mit den Einfahrten auf der rechten und linken Seite entlang fuhren. Riku hielt an der rechten Straßenseite.
„If es ist something, call me", er brach sich fast die Zunge, „he is in love with you, don't panic."
Ein erzwungenes Lächeln huschte über meine Lippen, ehe ich dankend nickte und ausstieg.
Ich warf noch einen letzten Blick nach hinten, bevor ich nach rechts in die Auffahrt einbog. Riku deutete mit beiden Daumen nach oben und schaltete das Licht des Wagens aus.


Ich wälzte mich im Bett hin und her. Es war nicht sonderlich spät, allerdings war ich wahnsinnig erschöpft und ausgelaugt. Die neue Matratze war ebenso unbequem wie das Bettzeug. Das Kissen wollte sich nicht so knüllen lassen, wie ich es gerne gehabt hätte, die Bettdecke war zu dick für diese Jahreszeit. Dazu kam der Geruch von neuen Möbeln, der sich trotz intensiven Lüftens in meine Nasenschleimhaut eingebrannt hatte.
Unzufrieden stöhnte ich auf, griff nach dem Handy auf dem Nachttisch und ging in Boxershorts auf die Terrasse.
Ich atmete einige Male tief ein, bevor ich die fast leere Zigarettenschachtel vom Tisch nahm und mir einen Glimmstängel ansteckte. Genüsslich zog ich daran, steckte sie anschließend in den rechten Mundwinkel und blätterte auf dem Smartphone durch die finnische Tageszeitung, die ich seit Tagen nicht gelesen hatte, als es plötzlich an der Tür klingelte. Genervt rollte ich die Augen, drückte die Zigarette in den Aschenbecher und stiefelte unzufrieden zur Tür.
„Mikö on?", fragte ich laut und drehte den Schlüssel zwei Mal um.
Ich erstarrte.
Emma stand mit den Händen in den Hosentaschen vor mir.

Friendzoned?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt