Wenn es etwas geben würde...

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Unsicher streckte ich ihr eine fliederfarbene Orchidee in einem weißen Blumentopf entgegen.
„Ich wollte nicht kommen mit leere hands", stammelte ich und musterte Emma. Sie trug das graue Chiffonkleid, welches sie auf der Hochzeit ihres Bruder an hatte. Ihre Haare waren glatt und fielen locker auf ihre nackten Schultern.
Sie sah umwerfend aus.
„Es reicht, dass du da bist, danke", grinste sie, nahm mir den Blumentopf ab und winkte mich durch den Flur ins Wohnzimmer.
„Wow", ich starrte auf den gedeckten Tisch, „it's perfect."
Sie hatte sich richtig Mühe gegeben.
„Mama wars", Emma stellte die Orchidee auf das Sideboard über dem Fernseher.
„Würdest du die Kerzen noch anmachen?"
Ich nickte und zückte ein Feuerzeug aus meiner schwarzen Jeans.
„Du siehst toll aus", lächelte sie und streifte auf dem Weg in die Küche mein graues Hemd.


Sie stellte mir einen Teller mit verschiedenen Gemüsesorten und Fisch vor die Nase.
„Lass es dir schmecken", lächelte sie und nahm gegenüber von mir Platz.
„Kann ich machen eine bisschen music?"
„Klar. Die Dockingstation steht über dem Fernseher."
„Neben die Blume, I know", grinste ich, ging hinüber und steckte mein Smartphone in die Dockingstation. Automatisch spielte sie das Album von Mumfords & Sons ab. Ich regulierte die Lautstärke auf ein Minimum und setzte mich wieder zu Emma an den Tisch.
„It looks really nice", ich nahm Messer und Gabel in die Hand, „was ist es?"
„Wolfsbarsch", gab sie knapp von sich und strahlte mich an.
„Ich dachte, du magst not fish?"
„Nicht so gerne."
„Aber?"
„Ich dachte, dass du gerne Fisch essen würdest. Hast du ja an Daniels Hochzeit auch", Emma steckte sich ein Stück gedünstete Paprika in den Mund, "probier endlich!"
Ich schnitt ein saftiges Stück des Wolfsbarschs ab und gabelte es mit einer Cherrytomate zum Mund. Der Fisch zerfiel geradezu auf meiner Zunge.
„Oh mein Gott", ich stöhnte, „foodgasmus!"
„Schmeckts?"
Gierig steckte ich ein weiteres Stück in den Mund und schloss genießerisch die Augen.
„I never ate eine fish, welche war so gut", ich überschlug mich regelrecht und seufzte.
Emma grinste zufrieden und schenkte mir etwas Weißwein ein.
„Danke", mampfte ich mit vorgehaltener Hand, „du tust so, als hättest du ewig nichts gegessen."
„Ewig nicht so gut", schmunzelte ich, legte das Besteck zur Seite und schwenkte den Wein, „ich habe never gehabt eine erste date so wie this one."
„Ich auch nicht", Emma griff nach ihrem Glas und räusperte sich leise, „hi. Ich bin Emma."
Ich musste lachen und hielt ihr mein Glas zum Anstoßen entgegen.
„Samu", unsere Gläser klirrten aneinander.
„Klingt nordisch, so wie du es aussprichst. Kommst du von hier?"
„Ich bin Finne. Du bist aber auch nicht die german girl, or?"
„Was für ein Zufall! Mein Vater ist Schwede!", sie freute sich euphorisch.
Emma war irre. Aber diese Art von Kennenlernen hatte etwas. Es war so normal.
„Was machst du in deine Job, swedish girl?"
„Ich bin Studentin und du?"
„Ich singe in eine Band."
„Kennt man die?", sie trank einen Schluck.
„Wir sind nicht successful", witzelte ich, „Sunrise Avenue. Maybe you know."
„Ach", Emma zog die Augenbrauen hoch, „ich kenn „little bit love". Das wurde auf meiner Hochzeit gespielt."
„Du bist married?", ich hielt mir den Mund vor Lachen zu.
„Mein Bruder hat geheiratet! Mein Bruder!", korrigierte sie, „bist du verheiratet?"
„No."
„Warum nicht? Viele Leute sind mit Anfang 30 schon verheiratet. Das ist doch fast 'ne Trendbewegung."
„Ich bin fast 40, Emma", ich nippte an dem kühlen Weißwein, „the right one war nicht dabei. What about you? No marriage, aber eine feste Freund?"
Sie schüttelte den Kopf und nahm ihr Besteck wieder zur Hand, um ein Stück Fisch in einen mundgerechten Happen zu schneiden.
„Nein. Gar keiner."
„Lucky me", meinte ich und wurde mit einem breiten Grinsen belohnt.


Wir hatten das Rollenspiel nicht aufgegeben. Nachdem wir aufgegessen und abgeräumt hatten, setzten wir uns mit einer weiteren Flasche des lieblichen Weißweins auf das steingraue Ecksofa, lauschten den ruhigen Klängen des Mumford & Sons-Albums und unterhielten uns. Völlig frei. Ohne Hintergedanken. Völlig ohne Zwang.
„Hast du jemals für ein anstehendes Gespräch geprobt?", fragte Emma und legte ihren Arm auf die Rückenlehne. Sie saß mir mit angewinkelten Beinen gegenüber. Ich hatte mir mittlerweile die Ärmel hochgekrempelt, weil mir der süße Wein zu Kopf stieg. Dazu kam noch das warme Wetter.
„No, never for eine Gespräch. But I need more tries for eine Video."
„Welches Video?"
„Ach", ich hob die Hand und winkte ab, „unimportant. I was singing and that's all."
„Vielleicht kenn ich das Video. Singst du da was von Phil Collins?", grinste sie und wusste genau, dass sie richtig lag.
Ich bejahte kopfnickend.
„Ist 'n Hit", sie verschwand für den Bruchteil einer Sekunde in der Küche und setzte sich prompt wieder neben mich, „hier. Guck."
Sie öffnete unser Nachrichtenfenster und drehte den Bildschirm, als das Video startete. Plötzlich schämte ich mich. Das Video war an dem Morgen entstanden, nachdem ich außer planmäßig am Abend zuvor mit Mirja im Bett gelandet war und die Nacht bei ihr und vor allem mit ihr verbracht hatte. Aber ich hatte dieses Video einfach drehen müssen. Ich vermisste Emma. Und hatte vermutlich ein schlechtes Gewissen, welches ich beruhigen musste. Unzählige Anläufe hatte ich gebraucht, bis mir die richtigen Worte eingefallen waren.
Emma hatte die ganze Zeit über die Augen geschlossen und ein Lächeln auf den Lippen. Als das Video stoppte, zwinkerte sie einige Male.
„Warst du erfolgreich mit dem Video? Bei der Frau?"
„I don't know", ich setzte das Weinglas an und lehnte mich anschließend zurück, „sie ist nicht meine Mädchen."
Du bist ein fieser Typ, Haber.
„Sie wäre dumm, wenn sie darauf nicht anspringen würde."
„Dumm not, but vielleicht verwirrt?", ich sah sie fragend an.
Sie grinste verlegen.
„Wofür bist du thankful?", wechselte ich das Thema.
„Allgemein?"
„Alle, was dir einfällt."
„Es gibt vieles", sie überlegte, „ich bin dankbar für meine Familie. Auch, wenn ich eher ein Papakind bin, liebe ich meine Mutter mindestens genauso viel. Ich find es toll, dass ich Daniel habe und wir uns so toll verstehen, obwohl er manchmal wirklich doof sein kann."
„Und nicht deine family?"
„Ich liebe Leni."
„Warum?", prustete ich.
„Lach doch nicht!", sie boxte meinen Oberschenkel, „sie kann eine wundervolle Freundin sein, wenn sie nicht gerade schlecht gelaunt ist. Sie sagt mir immer, was sie denkt. Ist aufrichtig und immer für mich da. Und sie liebt mich mit jeder meiner Macken."
Ich nickte.
„Others?"
„Jetzt gerade in diesem Moment bin ich dankbar für das Praktikum bei Universal und Robins Krankenhausaufenthalt."
„You're bad", lachte ich und stützte meinem Kopf auf meiner Hand und der Lehne ab.
„Ich hätte dich sonst nie kennengelernt", schmunzelte sie, „das hat mich schon verändert, denk ich."
„Das hat es, Lady", grinste ich und hielt ihr das Glas zum Anstoßen entgegen, „look me in the eyes. I don't wanna schlechte Sex sieben Jahre."
Wir ließen die Gläser klirren und nahmen einem tiefen Schluck, als Emmas Handy neben ihr vibrierte.
Widerwillig wand sie den Blick von mir ab, rollte die Augen und sperrte die Tasten.
„Sorry", meinte sie knapp und holte Luft, um irgendetwas zu sagen. Ich unterbrach sie.
„Tomás?"
Emma nickte.
„Was wollte er?"
Sie gab mir das Handy.
„3-6-6-2. Lies mal vor."
Ich entsperrte die Tasten und öffnete das Nachrichtenfenster. Die letzte Nachricht, die Emma an ihn geschrieben hatte, war die, die ich verfasst hatte.
„Das Bild mit Samu ist lächerlich, Emma. Genau wie du. Mehr als Selfie kannst du auch nicht", las ich vor, „du bist einfach nur billig."
Emma seufzte und musste lachen.
„Ich will mich gar nicht mit dem Affen streiten, Samu."
„Du weißt, dass du kannst blockieren eine Person?"
„Wie?"
„Du hast niemanden blockiert, seit du hast die Handy?"
„Nein?"
„Warum nicht?"
„Warum denn?", fragte sie schockiert.
„I'll show you", ich zog mein Smartphone aus der Dockingstation. Mumford & Sons wurden mitten im Lied unterbrochen. Auf das Display starrend setzte ich mich abwesend neben Emma und löschte ungelesen eine SMS.
„Sorry, aber ich hab draufgeschaut, als du dich gesetzt hast", druckste sie entschuldigend, „aber was ist das immer mit dem Gin?"
Ich schwieg.
„Du musst das nicht beantworten, wenn du nicht willst. Aber mir ist das in den letzten Tagen aufgefallen."
„Das ist die old friend, mit dem ich mich manchmal treffe", erklärte ich, „wir haben immer zusammen getrunken eine bisschen alcohol."
„Und er will jeden Tag trinken?"
„He is a poor guy. But ok. Really."
„Poor?"
„Nein, nicht that kind of poor. He is alone. Ohne family."
Emma zog ungläubig eine Schnute.
„Ich trinke nicht immer, wenn er kommt. I promise", ich hob drei Finger, scrollte mich durch die Einstellung zur Blockierliste und drehte Emma das Display zu, "da du kannst eingeben die Nummer von die portugali."
Emma nahm das Telefon in die Hand, nickte und setzte den Portugiesen ein für alle Mal auf die Blockierliste.
„Willst du noch Wein?", wollte sie wissen, nachdem sie ihr Handy auf eines der Kissen geworfen hatte.
„Du auch?"
Ohne zu antworten nahm sie mir das Glas ab und befüllte beide bis zur Hälfte.
„Hast du Lust zu tanzen?", sie stieß ihr Glas prostend an meins, ehe sie einen großen Schluck nahm, „ich glaube, ich schulde dir noch einen vernünftigen Lambada."
„Hast du geübt?"
„Ich war in Chile. Da hab ich nur getanzt."
„Let's see", meinte ich und zog Emma an meiner Hand auf die freie Fläche zwischen Esstisch, Couch und Fernseher.
„Wir brauchen Musik", merkte sie an, als ich wartend vor ihr stand.
Ich lachte über mich selbst und suchte absichtlich nicht den Lambada in meiner Playlist. Ich war körperlich und vom Kopf her überhaupt nicht mehr dazu in der Lage. Ich hätte Emma bei dem ersten Ton vielleicht das schöne Chiffonkleid vom Körper gerissen. Und das wollte ich nicht. Zumindest jetzt nicht.
Das Gitarrensolo setzte ein. Ich ging langsam auf Emma zu, die überhaupt nicht auf diese Art von Lied vorbereitet war, legte meine Hand an ihre Hüfte und verhakte unsere Hände vor meiner Brust miteinander, bevor ich uns langsam zu der Musik wiegte.
„Sitting here, wasted and wounded at this old piano. Trying hard to capture this morning", klang es leise an mein Ohr.
„Das ist aber kein Lambada", Emma sah zu mir hoch, „das ist Bon Jovi."
Ich nickte lächelnd.
„I'm sorry. The wine was so delicious und meine head ist an."
„Du bist doch nicht betrunken."
„Betrunken nicht. Aber ich bin an eine kritische point."
Emma lehnte sich lachend an meine Brust.
„I wanna lay you down in a bed of roses, for tonight I'll sleep on a bed of nails", sang sie während des Refrains mit und schaute erneut zu mir hoch. Ich streichelte über ihre Hüfte und schenkte ihr mein Lausbubenlächeln.
„Ich liebe das", flüsterte sie und strich mit der Hand, die ich nicht umklammert hatte, zaghaft über meine Mundwinkel. Sie fuhr mit ihren Fingerkuppen bis zu meinem ersten Hemdknopf hinunter und hinterließ einen warmen Schauer auf meiner Haut.
„Mal angenommen, du würdest heute Abend sterben und dürftest mit niemandem mehr reden. Was hättest du gerne noch gesagt?", wisperte sie, ohne den Augenkontakt zu mir abzubrechen.
„Dass ich bin eine idiot", antwortete ich schnell und irgendwie unsicher.
Ob da der Alkohol aus mir sprach?
„Ich bin der Idiot. Nicht du", Emma ließ meine Hand los, legte ihre Hände gefaltet in meinen Nacken und streichelte mit den Daumen meinen Haaransatz. Daraufhin umarmte ich sie fest an der Taille und zog sie näher an mich heran.
„Ich will nicht aussteigen", wisperte sie kopfschüttelnd, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen.
Das wollte ich auch nicht.
Nie wieder.
Dieses Nackengekraule brachte mich um den Verstand.
Ihre Augen brachten mich um den Verstand.
Sie brachte mich um den Verstand.
Langsam bahnten sich ihre Hände einen Weg von meinem Nacken über meine Schlüsselbeine bis hin zur Brust, wo sie zum Stillstand kamen. Emmas Blick wechselte zwischen meinen Lippen und meinen Augen. Ich löste meine Hand von ihrem Rücken und strich ihr die Haare hinter das Ohr, ehe ich meine Finger sanft auf die Wange legte. Sie schloss genießerisch die Augen, schmiegte sich mit dem Kopf an meine Hand und spielte nervös an einem meiner Hemdknöpfe.
„Nervous?", grinste ich leise und näherte mich Millimeter für Millimeter ihrem Gesicht, ohne meinen Blick von ihren geschlossenen Augen zu nehmen.
Schnell ließ sie den Knopf los, öffnete blitzartig die Augen und sah mich lächelnd an. Ich streichelte mit dem Daumen über ihre Lippen, während sich unsere Gesichter immer weiter näherten. Unsere Blicke wechselten zwischen den Augen und Lippen des jeweils anderen, bis ich langsam meine Augen schloss und meine Lippen auf Emmas legte.
And I lay you down in a bed of roses...

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