And I would walk 500 miles and I would walk 500 more

1.2K 26 10
                                    


„Hi", sagte Emma unsicher und blinzelte mich an, als ich die Tür aufriss.
„What are you doing here?", gab ich böser als gewollt von mir und ließ meinen Blick über ihren Körper wandern. Ihre zu einem Dutt geknoteten Haare waren irgendwie zerzaust, der tiefschwarze Lidstrich ebenso wie die Mascara waren leicht verschmiert, ihre Wangen aschfahl, die Gesichtsfarbe komplett entwichen. Keine Spur mehr von dem pfirsichfarbenen Rouge, welches sie immer aufgetragen hatte. Sie wirkte in ihrem cremefarbenen Rüschentop und dem beigefarbenen Poncho fast brav, mädchenhaft. Ihre dunkelblaue Jeans in Usedoptik hatte einige Löcher und Risse.
Ebenso wie die türkisfarbenen Chucks an ihren Füßen.
Die irgendjemand mit etwas vollgeschrieben hatte.
And I would walk 500 miles and I would walk 500 more.
„Ich würd gern mit dir reden", sie zwirbelte nervös eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, „kann ich vielleicht reinkommen?"
Ich nickte leicht verstört, winkte sie aber herein und deutete mit der ausgestreckten Hand in den vor Kopf liegenden Wohnbereich.
Mein erster Gedanke galt meinem Lieferanten.
Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass Emma hier auftauchen würde.
Vor allem nicht, nachdem wir gar keinen Kontakt zueinander gehabt hatten.
Verlegen und eingeschüchtert zugleich nahm sie auf dem Sofa Platz und sah sich um.
„Du hast Möbel gekauft", bemerkte sie, „ist schön. Das passt super zu der Wandfarbe."
„Danke", sagte ich leise und stemmte die Ellenbogen auf die Oberschenkel, als ich mich mit viel Abstand zu ihr auf die Couch setzte, „deswegen Mirja war meine secret weapon."
„Sie kann schon was. Das muss ich ihr lassen."
„Her painter qualities are awesome."
„Ja."
Einige Minuten saßen wir ohne jegliche Kommunikation einfach nur da und starrten in der Gegend umher.
Ich wusste überhaupt nicht, worüber ich mit ihr reden sollte.
Das Wetter vielleicht?
„Wie geht es dir?", fragten wir irgendwann unisono und schmunzelten anschließend.
„It works", nickte ich, „du?"
„Auch", meinte sie und legte den Kopf in die Hände.
„Wie ist die theatre?"
„Gut. Düsseldorf ist jetzt nicht der optimale Standpunkt, aber an sich ist es wirklich gut."
„Warum?", ich setzte mich in den Schneidersitz.
„Da hat alles angefangen", antwortete sie leise, kickte die Schuhe von den Füßen, zog ihre Beine vor die Brust und wickelte den Poncho da rum, „du fehlst mir sehr, Samu."
„Du mir auch", sagte ich knapp und sog die Luft ein.
Ich hatte das Gefühl in einer Zwangsjacke zu stecken, die mit jedem meiner Worte enger geschnallt wurde und mir dabei die Luft zum Atmen nahm.
Ich hatte sie vermisst.
Ehrlich und aufrichtig.
Und ich vermisste es, neben ihr einzuschlafen.
Um morgens wieder neben ihr aufzuwachen.
„Es tut mir leid, was passiert ist. Ich wollte nicht, dass du das Gefühl bekommst, ich wäre wieder irre geworden", ihr Lächeln sah gezwungen aus.
„You did", deutete ich an.
„Ja, aber nur für den den Moment. Ich war besorgt um dich."
„Du hast nicht gesagt that way", flüsterte ich und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß", sie atmete tief ein, „tut mir leid."
„Ok", ich rieb mir die Augen.
Wieder dieses „tut mir leid". Es kam mir zu den Ohren heraus und war abgenutzt.
Wie ein alter, stinkender Küchenlappen.
„Du hast schon geschlafen, oder?", fragte Emma und klopfte auf das Sofa, als Kisu bettelnd wie ein Hund vor ihr saß.
„No, ich bin still müde von die Reise. Ich bin gekommen nach Hause vor fast two hours."
„Achso", entgegnete sie und streichelte Kisu, die sich gerade an ihrem Oberschenkel rieb, über den Kopf.
Es erschien mir unfair, auch jetzt im Nachhinein nicht zu sagen, wo ich gewesen war.
„I was in Germany and did some promotion for the concerts", merkte ich kurz an.
„Achso", Kisu steckte ihren Kopf unter Emmas Poncho, woraufhin Emma die Beine ausstreckte und die Katze auf den Schoß hob, „du hast nichts gesagt, weil du mich nicht sehen wolltest, oder?"
„It's difficult t..."
„Also ja", unterbrach sie mich und schnaufte kurz, „verstehe ich. Ich würde mich auch nicht sehen wollen."
„Hei", ich suchte ihren Blick, „sorry. I was confused."
„Geht schon", lächelte sie.
„Ich wollte auch das nicht sagen mit die sexadventure", entschuldigte ich mich aufrichtig, „aber die andere things... I don't know. It's hard."
„Kein Problem, ehrlich", sie schüttelte verächtlich den Kopf und verzog das Gesicht.
„It's a problem", meinte ich, „ich sehe an deine eyes."
Kisu schien Emmas Unruhe und Aufgewühltheit wahrzunehmen, kringelte sich auf Emmas Oberschenkeln zusammen und streckte ihr immer wieder den Kopf entgegen um sich ausgiebig von ihr streicheln zu lassen.
„Sorry. Ich wollte nicht wieder anfangen rumzuzicken. Ich kann das verstehen und nachvollziehen", lächelte sie zu mir herüber, „alles ist gut. Es ist kein Problem."
Ich grinste.
„Hast du schon gegessen?", wechselte sie schnell das Thema.
„Currypasta, yes."
„Oh, ok."
„But ich habe noch pulla in die freezer chest, wenn du willst etwas."
Abwesend streichelte sie Kisus Bauch.
„Alleine essen macht dick."
„Oh yes", ich schob meinen nicht vorhandenen Bierbauch vor.
„Du trainierst, oder?"
„Eine bisschen, why?"
„Man sieht das", sie klimperte mit den Wimpern, als sie den Blick von der Katze abwendete, „du bekommst Päckchen."
„Päckschen?"
„Sixpack-Päckchen", lachte Emma und tippte sich auf den Bauch.
Ich sah an meinem nackten Oberkörper herunter. Ich wusste, dass ich vor allem in den letzten zwei Wochen unendlich viel getan. Mein Ziel war es, wieder fitter zu werden. Aber ein Sixpack war eigentlich nicht meine Absicht gewesen. Umso schöner, dass sich das fast wie von selbst ergeben hatte.
„Wasn't my plan", schmunzelte ich, „really."
„Nein?"
Ich schüttelte den Kopf.
„I feel sick after you leave", sagte ich ehrlich, „need to take my mind off things."
„Ich hab zur Ablenkung viel geschlafen."
„Me too. Besides I visited my family, habe geschrieben eine paar tunes in die studio, did sports, was in Germany. That's all. What about you?"
„Ich war arbeiten und hab nach einer Party bei Leni den Flug hier hin gebucht."
„Alcohol?"
„Eine Menge, ja."
„Same here two weeks ago", grinste ich gezwungen.
„Ich weiß, ich war dabei", ihre Stimme wurde zitterig, „ist Jukka momentan in Helsinki?"
„Wieso?"
„Wenn du ins Studio willst, musst du doch zu Jukka, oder?"
Ich lachte.
„Ich habe eine Studio unter die Dach."
„Du hast ein eigenes Studio?", Emma riss die Augen auf.
„Yes?"
„Ich bin nie weiter gekommen als bis zur zweiten Etage."
„Wir waren nicht hier viel."
„Ja, stimmt", sie senkte traurig den Kopf, setzte Kisu auf den braunen Teppich unter dem Wohnzimmertisch und drehte sich in meine Richtung, „ich würde gerne wieder öfter kommen, wenn du das irgendwie zulassen würdest."
Sie erwartete eine Reaktion von mir.
Irgendeine.
Ich wusste ein weiteres Mal nicht, was ich tun sollte.
Glücklicherweise brach Emma das peinliche Schweigen.
„Ich weiß, dass ich Fehler gemacht hab. Und ich weiß auch, dass du niemanden an deiner Seite haben willst, der dich bevormundet oder den ganzen Tag nichts anderes macht als rumzuzicken."
„That's right."
„Ich weiß, dass du jemanden brauchst, der dir den Rücken freihält. Bei allem was du tust."
Sie hatte Recht. Genau das wollte und brauchte ich.
Sie hingegen war genau das nicht gewesen, als ich es gebraucht hatte.
„Es hat ewig gedauert, bis ich endlich kapiert hab, dass es mir egal ist, wie viele Kilometer uns trennen und was die Gesellschaft über mich denkt, wenn sie mich mit dir auf der Straße sieht. Ich war noch nie so locker und entspannt wie an dem Wochenende mit dir im Mökki. Und ich fühl mich unglaublich geborgen und verstanden, wenn ich bei dir bin. Ich will dieses Gefühl nicht mehr missen müssen", Emma krabbelte auf dem Sofa näher zu mir, griff nach meiner Hand und umklammerte sie mit ihren Händen, „ich will dich nicht mehr missen müssen."
„Em..."
„Ich liebe dich", flüsterte sie und streichelte meine Handinnenfläche.


Mir war erst auf dem Weg hier her bewusst geworden, was Samu mir eigentlich bedeutete. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich so lange gebraucht hatte, um endlich die Gefühle für ihn zuzulassen. Im Laufe meines Praktikums waren bei mir irgendwann die Sicherungen durchgebrannt, weil er ständig zuvorkommend, aufmerksam, witzig, charmant, lieb und bodenständig war. Ich fühlte mich wohl, geborgen, verstanden und –zum ersten Mal seit Langem- wieder geliebt, ohne, dass ich etwas dafür geben musste. All das war mehr als das, was ich für Tomás empfunden hatte. Von Maximilian ganz zu schweigen.
Es fühlte sich intensiver an.
Echter.
„Aber warte nicht zu lange, um ihm zu sagen, was du für ihn empfindest", hatte Leni gesagt.
Ich wartete.
Wartete, bis ich es fühlte und nicht mehr zurückhalten konnte und wollte.
„Emma, stop", Samu zog etwas irritiert die Hand weg.
„Ich will nur, dass du das weißt. Ich kann und wi..."
„It's the wrong time", unterbrach er mich und rutschte ein Stückchen von mir weg, „ich weiß nicht, ob du nicht hattest Recht."
„Wofür die falsche Zeit?", wollte ich wissen.
„In Chile, als du dich hast entschieden für die portugali, du hast gesagt, es reicht nicht. Maybe you're right."
Ich starrte ihn ungläubig an.
„Ich versteh es nicht. Was reicht nicht?"
„Maybe es ist die falsche Zeit und die falsche Ort für diese hier", sein Zeigefinger wanderte zwischen uns hin und her, während sich mein Magen sofort zusammenzog, „ich weiß nicht, ob ich kann wieder zurück."
Alles in mir krampfte sich zusammen.
„Ich will nicht zurück. Ich will weiter nach vorne. Mit dir", ich klemmte die Hände zwischen meine Oberschenkel, „ich empfinde viel mehr für dich, als dass ich dafür nicht kämpfen möchte."
„Ich kann nicht Emma, sorry", er kämmte sich die Haare mit der flachen Hand nach hinten.
„Was kannst du nicht?"
„My feelings for you aren't the same. They changed."
Ich starrte ihn an und konnte nichts sagen.
„Ich freue mich sehr, dich zu sehen. But my euphoria ist nicht wie deine. I have to think about it."
„Was?", ich bemerkte, wie ich schnell hintereinander zu blinzeln begann.
„Ich muss denken about die things last weeks and months. Ich weiß nicht, ob es reicht für eine relationship", sagte er, stand auf und ging in die Küche.
Tränen schossen mir in die Augen und verschmierten meinen Lidstrich noch mehr.
Keine Minute später kam er zurück, stellte mir ein Glas Wasser vor die Nase und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was ist passiert?", schluchzte ich fragend, „was ist so schief gelaufen, dass du mir nicht verzeihen kannst?"
„Es ist nicht, dass ich nicht forgive. But ich habe gehabt viel Zeit, um zu denken about it. About my feelings. Especially my feelings for you. Es ist anders now. Different als before."
„Anders als wann?"
„Last year", er ging vor mir wie ein Tiger im Gehege auf und ab, „there are too many things that I can't handle."
Mir liefen Tränen über das Gesicht.
„Das fällt dir ein, nachdem wir ein Date hatten, vor deinen Freunden, am Flughafen und in einer Bar geknutscht haben und mehrmals Sex hatten?", fragte ich außer mir.
Samu schüttelte verständnislos den Kopf, ging zur Eingangstür und öffnete diese.
„You don't understand. Bitte geh jetzt."
„Was?"
„Please leave now."
„Du schmeißt mich raus?", weinte ich.
„You said bei die breakfast, du gehst, if I kick you out. So leave now."
Als ich die Schuhe zugebunden hatte und mich von der Couch erhob, wischte ich mir die verlaufene Schminke mit einem Zipfel des Ponchos aus dem Gesicht und ging in Richtung Tür.
„War es das jetzt?"
Samu nickte.
Ich begann fürchterlich zu wimmern.
Ich wollte nicht gehen.
Nicht ohne ihn.
„Ich liebe dich", heulte ich und stützte mich am Türrahmen ab.
„Emma, stop it. Bitte", er streichelte meine Schulter, „you don't understand and I'm not ready."
Seine plötzliche Nähe brachte mich um den Verstand. Ich konnte nicht mehr klar denken. Mir wurde heiß, kalt, speiübel.
„Ich würde für dich überall hingehen", schluchzte ich, „and I would walk 500 miles and I would walk 500 more."

----------------------------------------------------

Samu packte Emma fest an den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen.
„Es tut mir leid", sagte er zum wiederholten Mal.
Emma griff mit verweintem Blick an die Kette, die er ihr geschenkt hatte, öffnete den Verschluss am Nacken und hielt sie Samu hin. Zuerst verschränkte er die Arme vor der Brust. Doch als er sah, wie sehr sie mit sich zu kämpfen hatte, entschied er für sich, sie nicht noch länger als sowieso schon leiden zu lassen. Er öffnete seine zu einer Faust geballte Hand, während Emma die Kette aus Weißgold langsam in seine Handfläche gleiten ließ. Der Finne formte mit seinen Lippen ein weiteres „Sorry" und wartete noch, bis Emma die flachen Stufen hinabgestiegen war. Ohne ihr noch ein weiteres Mal hinterher zu sehen ließ er die Tür in das Schloss knallen.
Kaum hatte Emma die Hauptstraße wieder erreicht, schaltete Riku, Samus bester Freund, die Scheinwerfer seines Mercedes' ein. Emma trödelte auf ihn zu und schniefte immer wieder. Riku öffnete mit einem gezielten Knopfdruck den Kofferraum und stieg aus, um ihr die Reisetasche zu geben. Entgegen seiner Erwartungen stieg sie jedoch sofort in den Wagen und schnallte sich an.
„What happend?", fragte Riku entsetzt, als er die Beifahrertür öffnete und ihr eine Hand auf die Schulter legte.
Emma schüttelte den Kopf, presste ihre Stirn an Rikus Schulter und brach erneut in Tränen aus, während Samu an die Haustür gelehnt auf dem Boden saß und den Kopf in den Händen vergrub.

Friendzoned?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt