Wie lange wollte er bleiben? Für immer?

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Samus Maschine hatte zwei Stunden Verspätung, weil das Flugzeug in Riga auf Grund eines defekten Triebwerks nicht starten konnte. Das erfuhr ich leider erst, als ich bereits am Flughafen in Düsseldorf ankam. Mein Akku hatte unterwegs das Zeitliche gesegnet, was für die Rückfahrt nach Bochum auch ein Problem darstellte. Ich konnte noch nie nach Schildern fahren.
Um Samu das Ankommen zu erleichtern, hatte ich ihm ein Hotelzimmer in der Nähe des Bochumer Stadtparks besorgt. Ich hätte auch mein Bett mit ihm geteilt, aber ich war mir unsicher, ob das der richtige Zeitpunkt war.
Als Samus Flugzeug gelandet war, besorgte ich in einem der Souvenirshops einen bunten Luftballon, der den Schriftzug „Welcome back" zierte und ging anschließend zu dem auf den Anzeigetafeln ausgeschilderten Ausgang. Vor Aufregung tippelte ich auf der Stelle hin und her, bis ich Samu am Gepäckband sah. Ich wechselte von hibbelig zu stocksteif. Er vergrub seine linke Hand in der Hosentasche und tippte mit der linken irgendwas in sein Handy. Die große schwarze Sonnenbrille hing ihm tief im Gesicht. Mein Blick glitt über seine zerzausten Haare, seinen Drei-Tage-Bart bis hin zu seinen Schultern, die nur von einem dünnen weißen Muskelshirt bedeckt waren und kam auf seinen nackten Oberarmen zum Stehen. Kein Wunder, dass er keine Zeit hatte neue Möbel zu kaufen; er verbrachte die Tage und Nächte offensichtlich auf der Hantelbank.
Er zog einen Koffer vom Band und griff keine Sekunde später nach einer schwarzen Sporttasche. Wie lange wollte er bleiben? Für immer?
Er sah in Richtung Ausgang und änderte seinen genervten Gesichtsausdruck, als er mich durch die sich immer wieder schließende Glastür erblickte.
„Oh mein Gott", Samu ließ Koffer und Sporttasche fallen, bevor er sich mit den Oberarmen auf meinen Schultern abstützte und die Arme auf meinen Rücken legte, „that fucking airline."
Ich umarmte seine Taille und drückte mich dicht an ihn. Viel zu lange hatten wir uns nicht gesehen. Ich atmete gierig seinen Geruch ein und fühlte mich sofort heimisch.
„For me?", fragte Samu als er sich von mir löste und den Heliumballon angrinste.
Ich nickte nur.
„Tack!", er beugte sich zu mir runter und küsste meine Wange.
Plötzlich begannen die Schmetterlinge in meinem Bauch wie wild zu flattern. Die ganze Zeit hatten sie ruhig da gelegen und sich nicht anmerken lassen, dass sie überhaupt noch da waren. Und jetzt kitzelten sie mich mit ihren gleichmäßigen Flügelschlägen.
„Gerne", piepste ich ungewollt und räusperte mich augenblicklich, „bitte."


„Holen wir jetzt Möbel?", fragte Samu als er die Tür meines VW Beetles schloss und ich ihm zum ersten Mal seit Landung in die Augen sehen konnte, weil er seine Brille abgenommen hatte. Er sah müde aus.
Müde, erschöpft, erledigt.
„Gehts dir gut?", gab ich als Gegenfrage von mir, „du siehst wahnsinnig unentspannt aus."
„Really?", er klappte die Sonnenblende des Beifahrersitzes herunter und begutachtete seine Augen, „ah. Ich bin nur tired von die Flug. Alles ist gut."
„Ehrlich? Willst du erst 'n bisschen schlafen?"
Samu schüttelte grinsend den Kopf.
„No. Lass uns kaufen die Möbel fur deine Wohnung."
„Erst müssen wir nach Hause. Ich hab die Maße für die Küche nicht dabei. Ich dachte, du machst Witze."
„Eine Finne macht nie Witze", er ließ die Augenbrauen auf und ab wippen.
Lachend kuppelte ich in den Rückwärtsgang.
„Ich hab für dich 'n Hotelzimmer reserviert."
„Warum?"
„Ich wusste nicht, ob wir zusammen in einem Bett schlafen sollten. Und ich hab ja noch keine Couch."
„Ah ok", er schien meinen Einwand nachvollziehen zu können, „which one?"
„Courtyard am Stadtpark."
Samu zog sein Handy aus der Hosentasche und begann das World wide web nach dem Hotel zu durchsuchen, während ich mich ohne Navigationsgerät auf den Weg nach Bochum machte.


„In Finnland wir können nicht drive so schnell", warf Samu ein, als er auf der Autobahn ein Schild sah, welches alle Geschwindigkeitsbegrenzungen aufhob, „ich liebe es. But eine schnelle Auto ist da sehr boring."
„Ich weiß. Das ist in Schweden nicht anders."
„I know. But du warst noch nie auf eine finnische Autobahn?"
„In Finnland nicht."
„Aber in sweden?"
„Na klar. Ich komm von da", grinste ich.
„Wo genau?"
„Luleå."
„Ist in die Norden, oder?", Samu grübelte, „an die Grenze zu Finnland."
Ich nickte.
„Für eine Lady du fährst gut Auto."
„Wie gnädig, Samu. Wie gnädig!", lächelte ich.
„Was?", lachte er.
„Ich fahre vorsichtig, weil ich weiß, wie viele Bekloppte auf den Straßen unterwegs sind. Ich könnte auch 140 fahren."
„Du bist langsam wie eine Schnecke, that's right."
„Du kannst gerne in den nächsten Tagen fahren, wenn du willst. Oder fährst du nur BMW?"
„Natürlich nicht! Ich kann auch fahren deine Beetle", grinste Samu und streichelte liebevoll über das Armaturenbrett, „but ob ich will ist eine andere Sache."
Ich schmunzelte.
„But I can do it, yes."


„Du hast mir sehr gefehlt, Samu", seufzte ich, als wir in die Anliegerstraße herunter fuhren, „wirklich".
Samu grinste triumpherend.
„Du bist 'n Genießer!"
„Vielleicht", schmunzelte er.
„Nicht vielleicht. Du bist einer."
„Weil ich genieße deine Worte ohne zu sagen „me too"?"
„Natürlich", ich boxte ihm auf den Oberschenkel und parkte den Wagen vor der Tür meiner neuen Wohnung.


Gerade als wir die Betontreppe zu der Souterrainwohnung hinabsteigen wollte, fing uns mein Vermieter ab.
„Frau Holmberg", rief er laut, „haben Sie einen Moment?"
Ich drehte mich auf dem Absatz um.
„Aber natürlich, Herr Panke."
Der ungefähr 60-jährige Mann hielt sich die Brust und musterte Samu.
„Samu Haber?"
„Öhm... Ja?", antwortete Samu erstaunt und streckte ihm die Hand entgegen.
„Herr Professor Panke ist mein Dozent für Medienwissenschaften. Ich hab vorletztes Semester eine Hausarbeit bei ihm geschrieben", informierte ich Samu um ein Gespräch einzuleiten, „und er ist zufällig auch mein Vermieter."
„Medien. That's why you know me."
Mein Professor schüttelte ihm freundlich die Hand.
„Meine Enkelin ist Fan, eigentlich eher daher", lächelte Herr Panke, „was verschlägt Sie hier her?"
„Ich mache eine bisschen holidays."
„Im kalten Bochum?"
„In Helsinki es ist viel kalter, trust me", schmunzelte Samu verlegen.
„Können Sie sich daran erinnern, dass Sie mir das Empfehlungsschreiben ausgestellt haben?", fragte ich und hakte mich damit in das Gespräch ein.
Der Professor nickte.
„Daher kenne ich Herrn Haber. Ich habe ihn bei Universal Music in Berlin betreut und zeige ihm die schönsten Ecken Bochums."
„Und deswegen zeigen Sie ihm jetzt ihre Wohnung?"
„Genau", lächelte ich.
„Perfekt", meinte der Professor und hielt mir einen Umschlag entgegen, „das ist der Briefkastenschlüssel, den ich Ihnen schulde."
„Super, vielen Dank!"
„Ich bedanke mich, schönen Tag noch. Und genießen Sie das Wetter, Herr Haber!", verabschiedete sich mein Vermieter.
„Always", lachte er laut und folgte mir zur Wohnungstür.


Die weißen Blumentöpfe rechts und links vom Eingang hatte ich erst vor einigen Wochen frisch bepflanzt. Nachdem ich den Mietvertrag unterschrieben hatte, war das meine erste Amtshandlung gewesen.
„Dann mal hereinspaziert!", ich schloss die Tür auf, bat Samu hinein und ließ die schwarze Eingangstür leise ins Schloss fallen. Er schlich durch den Flur und schien alles genau zu inspizieren. Die komplette Wohnung war mit Pinienlaminat ausgelegt, lediglich in der offenen Küche und im Badezimmer waren weiße Fliesen verlegt worden. Durch den schmalen Flur konnte man alle Räume erreichen. Vor Kopf befand sich das kleine Schlafzimmer, zur Rechten lag der ungefähr 17 Quadratmeter große Wohn- und Essbereich. Genau gegenüber hatten die Küche und das weißgeflieste Tageslichtbad Platz gefunden. Und obwohl es sich um eine Anliegerwohnung handelte, war alles sehr hell. Alles im allem passte es einfach.
„Du hast keine Farbe an die Wände", merkte er an und stellte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen der Küche.
Oh Gott, diese Unterarme.
„Aber ich hab schon alle Möbel aus der WG hier."
„Aber du hast keine Farbe", wiederholte er.
„Das ist ja nicht so wichtig. Wichtig war erstmal, dass ich bei Julian und Daniel raus bin."
„Aber du hast keine Farbe an deine Wände", meinte Samu nochmal.
„Ich weiß?"
„Eine Haus ist nichts ohne deine persönliche Note. Dann ist es nur eine Haus."
Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Von wem hast du das denn?"
„Von meine Malerchampion Mirja", Samu nickte mir zu, „let's buy colors!"
„Fährst du?", ich holte die Autoschlüssel aus meiner Hosentasche.
„Wenn wir fahren über die Autobahn. Ja."

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