Geh weg, du bist kalt

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Die Sonne knallte ein weiteres Mal auf meine Schultern. Während ich noch eine Decke auf der grünen Wiese hinter dem Haus ausbreitete, saß Emma bereits im Bikini auf dem kleinen Steg des Sees und ließ die Füße über dem Wasser baumeln. Ihre Sonnenbrille lag neben ihr, das Gesicht reckte sie der Sonne entgegen.
Ein letztes Mal ging ich zurück ins Mökki um die Gitarre und Getränke zu holen.
Nachdem ich alles auf die Decke gelegt hatte, schlich ich barfuß über die Wiese, die vom Morgentau noch etwas feucht war, tippelte leise über den Steg, griff schnell unter Emmas Kniekehlen und hob sie auf meinen Arm. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und klammerte sich an meinen Hals.
„Das tust du nicht", mahnte Emma.
Ich wippte mit den Augenbrauen und ging mit ihr auf der hölzernen Anlegestelle auf und ab.
„Samu. Ich warne dich."
„Was willst du tun?"
„Mir fällt was ein."
„Ja sicher", feixte ich, nahm Anlauf und stoppte abrupt einige Zentimeter vor dem Ende des Stegs.
„Feige", nuschelte sie, als ich sie runterließ.
„Don't mess with me."
„Du hättest mich nicht ins Wasser geworfen."
„Sure?"
Sie nickte, setzte sich und ließ ihre Füße wieder über dem Wasser baumeln.
„Warum vertraust du mir blind?", wollte ich wissen, als ich mich hinter Emma nieder ließ und meine Arme auf ihren Bauch legte.
„Warum nicht?", sie lehnte sich gegen meine Brust und atmete tief ein.
„Ich könnte hier eine Messer haben."
„Hast du aber nicht."
„But it's possible", meinte ich und fuhr mit den Fingerspitzen sanft über ihren Bauchnabel.
„Du hast mich noch nie enttäuscht", ihr Kopf war in meine Richtung gedreht, „ich würd dir ohne darüber nachzudenken eine Niere spenden."
„Was?"
„Wenn du eine brauchen würdest."
„Wait a moment", ich runzelte die Stirn, „du bist an eine wirklich schöne location, in eine very nice country mit eine sehr heiße guy und you are thinking of a kidney?"
„Du hast von einem Messer geredet, was du dabei haben könntest", sie beugte sich vor und hauchte mir einen Kuss auf, „sag mir, was irrer ist."
„Deine kidney", antwortete ich schnell und ließ Emma sich zwischen meinen Beinen zu mir umdrehen. Sofort legte sie ihre Hände auf meine Wangen und begann mich zärtlich zu küssen. Ich legte meine Hände an ihren Po und fuhr mit meinen Daumen am Bündchen des Höschens entlang.
„Gehen wir 'ne Runde schwimmen?", fragte sie an meinen Lippen, „und dann creme ich dich ein?"
Langsam öffnete ich die Augen.
„Na los, komm", grinste Emma, stand auf und hielt mich an den Händen, „auf drei."
„Was?"
„Bei drei springen wir."
„Yksi", zählte ich vor.
„Kaksi", sagte sie und lächelte mich an, „ich hab eine Studiodemo, auf der du vorzählst."
„Weißt du auch, was drei ist auf finnisch?", arrogant zog ich sie zu mir heran.
„Natürlich", sie küsste mich und drehte uns um 180 Grad, „kolme", und stieß mich in rücklings in den kalten See.
Ich tauchte unter, warf im Anschluss die nassen Haare nach hinten und stieg über die Treppe an der Seite aus dem Wasser.
„Oh, bist du nass geworden?", bemitleidete Emma mich gespielt.
Ich breitete die Arme aus und ging schnurstracks auf sie zu.
„Geh weg, du bist kalt!"
„Forget it", meinte ich, umarmte sie fest und trug sie wieder bis zur Kante der Anlegestelle.
„Ich hab gedacht, du wirfst mich ins Wasser", meinte sie erleichtert, als ich sie abstellte.
„Me too", grinste ich.
„Aber?"
„Schubsen ist even the better way", lachte ich schelmisch und stieß sie an der Schulter ins Wasser, ehe ich mich auf den Weg auf die Wiese machte.


„Revanche!", rief Emma mir entgegen und drehte ihre nassen Haare zu einem Dutt zusammen, während sie sich langsam auf mich zu bewegte.
Ich grinste triumphierend und ließ meinen Blick über ihren Körper wandern.
Schon in München waren mir ihre schönen Beine aufgefallen.
„Nur gucken, nicht anfassen", sie ließ sich neben mir auf die Decke fallen, drehte sich auf den Bauch und winkelte die Beine an.
„Would be really hard for me", meine Fingerspitzen glitten über Emmas unteren Rücken.
Am liebsten wollte ich sie den ganzen Tag anfassen.
Überall.
„Ich durfte dich gestern auch nicht anfassen", sie legte den Kopf auf ihre verschränkten Arme, „frag mal, wie schwer das für mich war."
Ich tippelte mit meinen Fingern ihren Rücken hinauf, löste die Schnalle ihres Bikinis und öffnete anschließend den Knoten an ihrem Hals.
Vorsichtig verteilte ich etwas von der Sonnencreme in meinen Händen und strich von unten zuerst über Emmas Seiten und dann über den restlichen Rücken.
Eigentlich wollte sie mich eincremen.
Aber das hatte ich durch die Aktion am Steg wohl oder übel verspielt.
„Kann ich dich buchen?", nuschelte sie mit dem Kopf zu mir, als ich letztendlich ihre Schulterblätter massierte.
„I'm very expensive, lady."
„Wie teuer?"
„What do you think?"
„Ich könnte dich eh nicht bezahlen, das steht fest", lachte sie leise, „nicht mit Geld zumindest."
„Not?", zwinkerte ich und küsste ihr Haar.
„Ich lebe am Rand des Existenzminimums. Wenn nicht sogar noch da runter", Emma band den Knoten an ihrem Nacken zu, ehe sie die Schnalle am Rücken schloss und sich aufsetzte, „bringst du mir 'n Lied bei damit ich wenigstens Straßenmusiker sein kann?"
Lachend griff ich nach der Gitarre und drückte sie ihr in die Hand. Emma legte ihre Finger auf das Griffbrett und zupfte die Saiten nacheinander runter.
„So schwer ist das gar nicht", meinte sie und lächelte mich an.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Kannst du chords?"
„Sag mir 'ne Note und ich spiel sie."
Ich wusste, dass das nicht funktionierte.
„A."
„Ein hungriger Gitarrist darf alles essen", flüsterte sie vor sich hin und zählte die Saiten mit den Fingern ab, bevor sie die A-Saite zupfte.
„Das ist keine chord", lachte ich laut und robbte dicht hinter sich. Ihre noch feuchte Haut, gepaart mit dem Duft der Sonnencreme ließ mich erschaudern.
Mit meiner linken Hand legte ich ihre Finger auf den zweiten Bund der Gitarre und platzierte sie auf den richtigen Saiten.
„Und D?", fragte sie interessiert.
„It's more difficult. Die fingers mussen hier hin und dann darfst du nur spielen die Saiten", wieder positionierte ich ihre Finger und wartete darauf, dass sie einen Ton erklingen ließ.
Und wartete.
Und wartete.
Und wartete.
Ich sah sie an und erwischte Emma dabei, wie sie mein Gesicht abzuscannen schien.
„Hej? Ich kann nicht hören a sound", lächelte ich und klopfte auf den Korpus.
Eine Brise verpasste unseren feuchten Körpern eine Gänsehaut.
„Did you have a conversation with god?", wollte ich wissen, „play the sound, c'mon."
Emma legte die Gitarre vorsichtig zur Seite, verschränkte meine Arme vor ihrem Bauch und kuschelte sich an mich.
„What's wrong?", ich malte Kreise um ihren Bauchnabel.
„Enjoy your time", ein Schmunzeln war kaum zu überhören.
„Was ist passierte in deine head in die last minutes?"
Ungefragt legte sie meine Hand etwas oberhalb ihrer linken Brust.
Selbst ich als Nicht-Arzt bemerkte, dass ihr Puls zu hoch war.
Eindeutig.
„Are you ok?", fragte ich besorgte.
„Ich hab das seit unserem Date. Ich glaub, das geht so schnell nicht mehr weg", entgegnete sie und legte ihren Kopf gegen mein Schlüsselbein um mich anzusehen, „ich hab Schmetterlinge im Bauch, Doktor Haber."
Das war irgendwie niedlich.
„Und deswegen du hast eine hohe pulse?"
Sie nickte.
„God", ich schüttelte lachend den Kopf und zog sie näher zu mir, „ist das contagious?"
„At least I hope so", grinste sie und drückte ihre Lippen auf meine.


Nachdem wir den Tag fast ausschließlich auf der Wiese verbracht hatten, hatte Emma mich für den Abend zu einem Ausflug in die Innenstadt Espoos überreden können. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir den Abend in der Sauna und anschließend auf der Couch ausklingen lassen. Früher war ich vielleicht mal eine Rampensau gewesen. Aber mittlerweile dauerte ein durch Alkohol verursachter Kater nicht mehr zwölf Stunden, sondern deutlich länger an.
Im Sherlock's angekommen bestellte ich bereits beim Betreten Gitterkartoffeln mit Dip, Hotwings und zwei Flaschen Lapin Kulta. Wir setzten uns auf Grund des warmen Wetters auf die Terrasse, in die Nähe eines türkisfarbenen Pavillons.
„Warum schaust du so skeptisch?", Emma ließ ihre Handtasche auf den Korbstuhl neben sich fallen, schlug die Beine übereinander und blinzelte mich mit ihren dunkel geschminkten Augen an.
„Das ist ein Karaokebar", nuschelte ich und legte Zigarettenschachtel sowie Feuerzeug auf den Tisch.
„Dann kann ich meine Fähigkeiten als Straßenmusikerin weiter ausbauen", witzelte sie, griff nach den Zigaretten und fingerte eine aus der Packung.
„Darf ich?"
„Was?", fragte ich schockiert.
„Kann ich mir 'ne Kippe bei dir schnorren?", zitierte sie einen Düsseldorfer, der mich letztes Jahr am Flughafen angesprochen hatte.
„No", ich nahm ihr die Zigarette und das Feuerzeug aus der Schachtel weg, „don't start. Es ist unhealthy und stinkt."
„Einmal ziehen, komm schon. Wir sitzen in einem Pub irgendwo in Espoo, essen vermutlich gleich mit den Fingern und trinken Bier."
„Exactly", schmunzelte ich, griff nach dem Aschenbecher auf dem gegenüberliegenden Tisch und zündete mir die Zigarette an, die Emma gerade noch in den Händen hielt.
„Lapin Kulta?"
Ich nickte.
„Perfekt", meinte Emma und durchforstete die finnische Speisekarte auf dem Tisch, „ich hätte total Bock auf diese Kartoffelspalten."
„I orderd this", ich tippte mit dem Finger auf die andere Seite der Karte.
„Noch besser!"
„Who are you and was hast du gemacht mit the other Emma?", wollte ich wissen.
Sie wirkte plötzlich losgelöst.
Frei.
Ungezwungen.
So hatte ich sie kennen- und irgendwie auch schon lieben gelernt.
Ich mochte ihre freche Schnauze. Vor allem, wenn sie mit irgendwelchen Clubbesitzern über Rahmenbedingen für Autogrammstunden oder kleinere Konzerte diskutierte.
„Ich bin immer noch ich", offenbarte sie trocken und drehte den Aschenbecher auf dem Tisch hin und her.
Ich runzelte grinsend die Stirn.


„Danke", sagte sie und stieß mit mir an, „für das Essen, das Bier und deine Zeit."
Ich nickte und nahm einen Schluck aus der Flasche.
Emma stellte ihre Bierflasche ab und ließ ihre Hand langsam über den Tisch in meine Richtung wandern.
Grinsend griff ich danach und streichelte ihren Handrücken.
„Ich brauch nicht immer Wein", zwinkerte sie, „ich sitz auch gerne irgendwo in Espoo und trinke finnisches Bier in netter Gesellschaft."
„Ich bin really nice, yes", ich ließ meine Augenbrauen auf und ab wippen, „aber deine Gesellschaft isn't that bad."
„Danke", meinte Emma und grinste, bevor sie ihre andere Hand auf meine legte, „trinkst du einen Jägermeister mit mir?"
„Oh god", lachte ich, „ich habe nicht getrunken since eine paar Jahre."
„Würdest du?", sie klimperte mit den Wimpern und legte den Kopf schief.
„Just one", ich küsste ihre Hände, stand auf und bestellte an der Bar zwei Jägermeistershots.


„Bruderschaft", sagte ich und hakte mich –so gut es über den Tisch irgendwie ging- bei Emma ein, „look at me. No bad sex."
„Bisher war das doch schon ganz gut, oder?"
„Weil du mir hast geguckt in die Augen a few days ago", wir ließen die Pinnchen aneinander klirren, kippten den Kräuterschnaps hinunter und küssten uns.
Erst ganz vorsichtig, dann intensiver, aufregender.
„Ich bin verliebt in dich."
„I already know it", grinste ich und küsste sie erneut.
„Samu!", rief eine schrille Stimme.
„Nicht wirklich, oder?", Emma hielt die Hände vor die Augen, als sie sich setzte, „hast du 'n GPS-Sender am Auto?"
„Ich hoffe not!", meinte ich und sah über Richtung Parkplatz. Da stand Mirja, angelehnt an ihren weißen Polo und winkte.
Wie lange stand sie schon da?
Hatte sie gesehen, wie ich Emma geküsst hatte?
„Was will die schon wieder hier?"
„Jealous?"
„Um ehrlich zu sein: ja, ein bisschen", gab Emma zu und nippte lustlos an der Bierflasche, „als du mir gesagt hast, dass sie eine alte Schulfreundin ist und ihr euch regelmäßig zum Streichen trefft, hab ich euch 'ne Affäre auf deinem Luftbett angehängt."
So falsch lag sie damit leider gar nicht.
„Warte mal", sie stellte die Flasche auf den Tisch und legte den Kopf zur Seite, „die ist überall, wo du auch bist. Stalkt sie dich schon länger?"
„No."
„Hattet ihr nur Sex oder wart ihr richtig zusammen?"
„Just sex."
„Und sie läuft dir seit wann hinterher?"
„Seit meine Haus ist fertig", antwortete ich und bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend.
„Aber der Sex war doch eher, oder nicht?"
„Ja", log ich.
Ich wollte Emma gar nicht anlügen.
Aber welche Alternative hatte ich?
„Warum kommt sie dann nicht klar?", Emma tippte sich an die Stirn.
„Ich weiß nicht."
„Hey. How are you?", Mirja lehnte sich über den weißen Zaun und stützte ihre Arme auf unserem Tisch ab.
„Good. And you?", antwortete Emma freundlich.
„I'm fine, thanks. How was your day?"
„We had a lot of fun. How was your meeting?"
Dass Emma sich daran noch erinnerte.
Ich hatte beim ersten Ton Mirjas piepsiger Stimme abgeschaltet.
Warum hatte ich nochmal mit ihr geschlafen?
Achja: Frust.
„Very nice, thanks. Can I take a seat?"
Emma sah mich erwartend an.
Ich musste mit Mirja reden.
Ein weiteres Mal.
Warum musste ich so ein Drama aus dieser Affäre machen?
Wäre ich bereits in dem Video ehrlich gewesen, hätte ich mich jetzt nicht immer weiter und weiter in ein schier endlos wirkendes Netz aus Lügen verstrickt.
„Eine Sekunde", grinste ich Emma entgegen, küsste bewusst ihre Stirn und winkte Mirja mit einer Handbewegung in die Bar.

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