Mein Herz blieb stehen und machte anschließend einen Purzelbaum

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Ich sah ihm tief in die ozeanblauen Augen und zog ihn sanft an seinem Hemdkragen zu mir. Die herbstliche Luft löste eine Haarsträhne aus meiner aufwendigen Hochsteckfrisur.
„Danke", flüsterte ich ihm lächelnd ins Ohr, „danke, dass du da warst. Das bedeutet mir viel."
„Keine Problem", schmunzelte der blonde Mann, strich die rote Haarsträhne hinter mein Ohr und legte seine rechte Hand auf meine erkaltete Wange.
„Du solltest hier nicht so rumlaufen in deine kurze Kleidchen. Dein cheek is very cold. Where is your overcoat?", fragte er mit seinem schönsten Lausbubenlächeln, welches mich seit einigen Wochen Tag für Tag um den Verstand brachte.
Am Anfang konnte ich den Hype um seine Person überhaupt nicht nachvollziehen. Klar, er war Sänger einer Popband, wow. Das machte ihn aber nicht unbedingt zu einem DER attraktivsten Männer. Hatte ich gedacht.
Zu Beginn meines Praktikums bei Universal Music in Berlin war ich durch Zufall mit Sunrise Avenue in Kontakt gekommen. Ein Kollege war erkrankt und musste dringend ersetzt werden. Also hatte ich mich nach einer kurzen Einweisung meines Vorgesetzten auf den Weg in ein nahegelegenes Café gemacht um mit dem Management alle wichtigen Termine der Band abzugleichen und die Schlüssel für das bereits im Vorfeld gebuchte Hotel zu übergeben. Dass ich anschließend die Koordination der nächsten Termine für die Band in die Hände gelegt bekommen hatte, hätte ich damals nie gedacht. Auch, dass ich jetzt mit Samu hier stand, am Rheinufer in Düsseldorf, war für mich noch vor einigen Wochen total absurd gewesen.
„Hei?", sagte Samu und streichelte meine Wange. Noch immer hatte er sich keinen Millimeter von mir entfernt, „wo dein jacket ist?"
„Ich bin ohne gekommen", antwortete ich abwesend, „ich hab sie im Hotel gelassen, weil wir mit dem Taxi gekommen sind."
„Oh. Very intelligent. Gut, dass du deine bag dabei hast für girly things", lachte Samu und deutete mit der linken Hand auf meine beigefarbene Clutch, „wann kommt deine Taxi?"
„Ich denke gleich."
„Ak, ok. Listen to me, please. Ich muss was sagen", begann er wieder und suchte meinen Blick; ich schenkte ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit und sah ihn lächelnd an.
„Ich fahr monday evening mit die Jungs nach Münschen. Wir haben dort eine kleine concert am Abend in eine Club."
„Ich weiß. Den Termin hab ich gemacht. Schon vor ein paar Wochen hab i..."
Samu legte seinen Zeigefinger auf meine Lippen.
„Ich will, dass du mitkommst."
„Was?", brachte ich verblüfft hervor.
„Ich habe mit unsere producer, Jukka, gesprochen. Es ist ok", lächelte Samu, „du sollst nicht hier warten."
„Du bist verrückt", sagte ich grinsend.
Samu sagte nichts und streichelte meine Wange. Und brachte meinen Bauch damit zum Kribbeln. Wie jeden einzelnen Tag, den wir miteinander verbrachten.
Wir hatten in den letzten Monaten ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, obwohl ich eine völlig fremde Person für ihn war. Beim ersten Treffen war ich kein „Fangirl" gewesen, welches unbedingt ein Autogramm haben wollte. Wenn ich darüber nachdachte, hätte ich vielleicht sogar dankend abgelehnt. Natürlich kannte ich die größten Hits, aber ich war nie DER Fan gewesen, nie. Ich war eher der Jazz-Typ. Auch Samus plötzliche Über-Popularität fand ich zu Beginn der Zusammenarbeit sehr nervig, ätzend und anstrengend. Überall wurde er erkannt, stand Pose für Fotos und schrieb fleißig Autogramme. Allerdings lernte ich in den letzten Wochen den Menschen hinter Samu Haber kennen, den vermutlich nur sehr wenige Menschen kannten und war völlig fasziniert von diesem Mann, der mir mit einem einzigen deutsch-finnischen Satz ein Lächeln auf das Gesicht zaubern konnte. Aus Freundschaft wurde –von meiner Seite aus- etwas anderes. Etwas, was mich selber überraschte, weil ich es noch nie so gefühlt hatte. Dieses ständige Kribbeln am ganzen Körper...
„Hoi?", riss Samu mich erneut aus meinen Gedanken, obwohl er in der letzten Minute mindestens genauso gedankenverloren gewesen war wie ich. Wir hatten uns einfach nur angesehen ohne zu reden. Er hielt mittlerweile meine Hände fest umklammert gegen seine trainierte Brust.
„Deine Taxi ist da", sagte er und zeigte mit seinem Kopf in Richtung des Taxis, welches gerade vorfuhr. Dabei fiel ihm sein blonder Pony ins Gesicht. Samu blies genervt Luft durch seine Nasenlöcher, pustete die Haare aber gekonnt nach rechts und lächelte anschließend verschmitzt. Ich stellte mich trotz der Pumps auf die Zehenspitze um seiner Frisur den letzten Schliff zu verleihen. Ganz vorsichtig strich ich die einzelnen Strähnen nach rechts.
„So kann ich gehen aus?", fragte Samu.
„Auf jeden Fall", sagte ich fast stimmlos und ließ meine linke Hand über sein Gesicht gleiten. Völlig in Gedanken strich ich mit meinen Fingerkuppen auch über Samus Wange und Kinn. Dabei neigte ich lächelnd den Kopf zur Seite. Sein Dreitagebart kitzelte.
„Deine Taxi", schmunzelte er, nahm meine Hand von seiner Wange und zog mich an dieser nah an sich ran. Mit der anderen Hand umfasste er meine Taille.
„Not jetzt und hier, ok?", flüsterte er mir ins Ohr und hauchte mir mit seinen weichen Lippen einen vorsichtigen Kuss auf meinen Hals. Ich merkte, wie ich am ganzen Körper Gänsehaut bekam. Meine Füße kribbelten, meine Knie wurden weich, mein Herz blieb stehen und machte anschließend einen Purzelbaum. Durch das Hupen der Taxifahrerin wurden wir aus unserer Umarmung gelöst. Samu nahm meine Hand, geleitete mich zum Taxi und öffnete die Beifahrertür.
„Regency please", sagte er, fingerte 20 Euro aus seiner Hosentasche und gab sie der Kaugummi kauenden Taxifahrerin.
„Bis morgen, Emma", lächelte Samu, küsste sanft meine Stirn und half mir –ganz gentleman-like-, hinten einzusteigen.



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