Du bist doch keine Tussi

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Wir waren auf der Suche nach einem Baumarkt durch ganz Bochum geirrt. Irgendwann war Emma eingefallen, dass sich ganz in der Nähe der neuen Wohnung eben so einer befand.
Grazil fuhr ich mit einem Einkaufswagen durch den Eingang und schob die Sonnenbrille auf meinen Kopf.
„Wo wir finden die Farbe?"
„Bei Farbe vermutlich?", Emma zeigte auf die Schilder, die unter der Decke des Ladens hingen. So konnte man ganz leicht die einzelnen Gänge finden und musste nicht stundenlang umherirren.
„I look for the equipment", entschied ich, „wir treffen uns dann bei die Farbe, ok?"
„Deal", sagte sie grinsend und bog nach rechts ab, während ich mit dem Wagen nach links fuhr.
Nachdem ich Rollen, Abklebeband, ein 10-teiliges Renovierset und zwei Maleranzüge in den Wagen gelegt hatte, bog ich in die Farbabteilung und sah eine frustrierte Emma, die unentschlossen vor dem Regal stand.
„Und?", ich lehnte mich auf den Wagen, „did you find something?"
„Ich weiß vor lauter Auswahl gar nicht mehr, ob ich streichen will", lachte sie verwirrt und zeigte mir einen Informationsflyer, „guck dir das an. Lagune, Honey, Deep, Orchidee, Luna, Launch, Twilight. Und dann stehen auf der anderen Seite nochmal die gleichen Farben mit einem anderen Namen. Ich bin völlig überfordert", sie drehte sich einmal im Kreis.
Ich nickte verständnisvoll. Zum Glück hatte Mirja das für mich organisiert. Ich brauchte lediglich neue Möbel.
„Welche Farbe willst du in die Schlafzimmer?"
„Irgendwas Ruhiges. Manhattan vielleicht?", sie deutete auf einen warmen Grauton.
„Die ganze Zimmer?"
„Eine Wand?", fragte sie unsicher.
Ich schob den Wagen ein Stück zur Seite und schielte mit in den Prospekt.
„Es ist deine Zuhause. Du musst gucken, was gefällt. Du musst feeling fine mit die Entscheidung."
„Ich bin mit meinen eigenen Entscheidungen in der letzten Zeit sehr schlecht gefahren", meinte sie und sah zu mir hoch, „magst du das Grau?"
„Ich würde auch nur nehmen fur maximal zwei Wände. Sonst es ist too much, weil der Raum ist wirklich klein."
Emma griff sicher nach einem 2,5 Liter Eimer.
„Take a big one. Wir müssen bestimmt streichen zweite Mal."
„Sicher?"
„Sicher nicht, nein. Aber vielleicht wir brauchen nochmal etwas von die Farbe", grinste ich, „take the big one!"
Emma hievte den 7,5 Liter Eimer in den Wagen und stellte sich wieder neben mich.
„Kitchen?"
Wir starrten in den Flyer und anschließend in das Regal.
„Was hältst du von Streifen von oben nach unten?"
„In welche Farbe?"
„Salsa und Luna?"
„Was willst du haben für eine Küche? Which color?"
„Weiß."
„Dann take lieber Amarena und Luna. Die Rot ist schöner und passt besser zu die dunkle Grauton."
„7,5 Liter?"
„No?", erschrocken und mit hochgezogenen Brauen grinste ich sie an, „für Streifen du brauchst nicht so viel."
„5 Liter?"
Ich nahm zwei 2,5 Liter Eimer aus dem Regal.
„Das reicht!"
„Sicher?"
„Diese Mal ja", ich stellte schmunzelnd die Eimer in den Wagen und nahm direkt noch einen 7,5 Liter Eimer aus dem Regal, „diese passt toll in die Badezimmer. Ich habe eine gute Idee."
„Solange du eine hast, ist mir das recht", lächelte Emma und las den Namen der Farbe fragend vor, „Sand?"
„Ich habe eine plan", ich rieb mir die Hände, „it would be awesome. Really. Trust me."
„Das hab ich immer getan", schmunzelte sie und brachte mich damit ebenfalls zum Grinsen. Keine Ahnung, warum ich ihr die Farbe ausgesucht hatte. Vor meinem inneren Auge sah ich ein maritim dekoriertes Badezimmer, welches ich unter allen Umständen verwirklichen wollte. Das war vermutlich der Nachteil am Künstlerleben. Sich ständig verwirklichen zu wollen.
„We need another Farbe für die Flur und Wohnzimmer."
„Choose one", meinte Emma grinsend, „du eine, ich eine."
Leise klatschend lief ich den Gang auf und ab und scannte das Regal ab. Fast gleichzeitig griffen Emma und ich nach der selben Farbe.
„Flur", sagten wir unisono und grinsten.
„Ich war never ever so einig mit eine Frau, respect", lachte ich und biss mir im gleichen Moment auf die Zunge. Ich wollte sie gar nicht anflirten.
„Moon oder Malve?", fragte sie und lehnte über dem Wagen.
„Moon. Du bist doch keine Tussi", lachte ich und hob den Eimer in den Wagen.
„Das wars?"
„For the first time, yes", entgegnete ich den Wageninhalt prüfend und schubste Emma zur Seite um den Wagen zur Kasse fahren zu können.


Ich schleppte die Farbeimer in der prallen Sonne aus dem Auto, während Emma sich bei ihrem Dozenten nach der Klausel für selbstgestrichene Wände im Mietvertrag erkundigen wollte. Nassgeschwitzt setzte ich mich auf die untersten Stufen der Betontreppe, zündete mir eine Zigarette an und wartete auf die Ankunft der Halbschwedin.
„Er hat mich noch in ein Gespräch verwickeln wollen, sorry", meinte Emma und legte ihre Hände auf meinen Schultern ab, „hast du echt alles aus dem Auto geholt?"
Ich nickte.
„Du bist verrückt", sie ging lächelnd an mir vorbei, öffnete die Tür und warf mir eine Flasche Wasser aus ihrer Tasche entgegen, „ruh dich aus, ich mach das eben."


Nachdem sie alle Farbeimer in die jeweiligen Räume gestellt hatte, kam sie laut lachend aus der Wohnung.
„Guck mal, wie ich ausseh!"
Sie trug einen der Maleranzüge. Ich hatte offensichtlich nicht auf die Größe geachtet. Er war ihr viel zu groß.
„Come to me", winkte ich ihr zu, als ich ein Tattoo auf ihrem rechten Fuß zu erkennen glaubte. Ich klopfte auf mein Knie um es genauer begutachten zu können. Sofort befreite sie ihren nackten Fuß von den herumliegenden Blütenpollen und hielt mir ihr Bein hin, welches ich etwas oberhalb meiner Kniescheibe stellte. Langsam fuhr ich mit den Fingerspitzen über die Außenseite ihres Fußes. Der Tattoowierer hatte grandiose Arbeit geleistet. Die feinen Linien waren perfekt gestochen, ebenso wie die Notenköpfe, die sich auf ihnen befanden. Der Violinenschlüssel war an den richtigen Stellen dicker gestochen. Selbst mein finnischer Freund Roope hätte das nicht besser hinbekommen.
„Das ist sehr sehr schön. Wo hast du machen lassen?", fragte ich und blickte zu Emma hoch.
„Chile. Relativ spontan", grinste sie, „ich wollte da schon immer eins haben. Éric hat sich gleichzeitig einen Löwenkopf auf die Wade tattoowieren lassen."
Ich zog die Augenbrauen hoch.
Wer war Éric nochmal?
„Guck nicht so. Der war mein Mitbewohner. Der Spanier? Madrid?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Jetzt verarsch mich nicht. Der mit dem Sommerhaus in Andalusien."
Daran erinnerte ich mich.
„Yes, I remember him! Just wegen diese Sommerhaus in Mazagón", lachte ich verunsichert, „wann ist die Termin für eure vacaciones?"
„Wissen wir noch nicht. Ich hab gestern Abend kurz mit ihm geschrieben, als wir geskypt haben. Da wollte er wissen, wann ich komme."
„Was hast du gesagt?"
„Dass ich das noch nicht wüsste."
„Why du weißt nicht?", ich zog die Augenbrauen zusammen.
„Ich muss erstmal Möbel haben, damit ich hier wohnen kann. 'Ne Woche Urlaub ist nicht umsonst."
„Aber du musst nur zahlen die Flug zwei Male und dann die Essen. That's all."
„Ja", druckste sie, „aber du bist auch da. Ich will dich dafür nicht wegschicken."
„Ich kann gehen, keine Problem", meinte ich und stellte ihren Fuß behutsam zurück auf den Boden.
„Das will ich aber nicht", grinste sie verlegen.
„Lass uns fertig machen diese Ding hier und dann wir gucken, wie viele Jahre sind vorbei, ok?", ich stand auf und ging in den Flur.
„Du bist doof."
Ich winkte sie zu mir.
„C'mon. Die Farbe wird kalt."


Wir hatten es tatsächlich geschafft. Innerhalb weniger Stunden hatten wir das Schlafzimmer, die Küche, den Flur und das Wohnzimmer gestrichen. Dass dabei mehr Farbe auf unseren Maleranzügen gelandet war, blendeten wir gekonnt aus. Es hatte bereits begonnen zu dämmern, aber da uns Emmas Vermieter freundlicherweise einen Baustrahler zur Verfügung gestellt hatte, konnten wir uns noch dem Badezimmer widmen.


„Gib mir deine Hand", sagte Emma, nachdem wir die Malerrollen ein letzte Mal über die Wand im Badezimmer gleiten ließen.
Ich streckte ihr ohne den Grund zu hinterfragen meine rechte Hand hin. Sie zog mich quer durch ihr kleines Reich und bestrich meine Handinnenfläche mit der roten Farbe aus der Küche. Anschließend navigierte sie mich ins Wohnzimmer und breitete die Arme aus.
„Und jetzt?", wollte ich wissen.
„Such dir eine Stelle aus. Immerhin hast du das hier alles gestrichen", grinste sie.
„Egal?"
„Völlig."
Ich sah mich um. Neben dem Fenster? Neben dem Türrahmen? Vielleicht über dem Türrahmen?
Spontan drückte ich meine Hand auf die linke Seite des Türrahmens.
„Gib mir deine."
„Sofort streckte Emma mir ihre linke Hand entgegen. Ich zog sie ins Schlafzimmer und rollte mit einer kleineren Rolle den warmen Grauton auf ihre Hand.
„Such dir eine Stelle aus", grinste ich und verschränkte erwartend die Arme.
„Egal?"
„Vollig."
Ganz entschieden ging sie zurück ins Wohnzimmer und drückte ihre viel kleinere Hand auf meinen roten Handabdruck. Glücklicherweise war die Farbe auf Grund des Durchzuges schon leicht angetrocknet, sodass sie sich nicht miteinander vermischten.
„Ist schön, oder?", fragte Emma stolz und schlug mir mit der grauen Hand direkt auf den Bauch.
„Nice, ja", ich atmete laut und spannte die Bauchmuskeln an, „jetzt was essen?"
„Oh ja, bitte."
„Perfect", meinte ich und schlug ihr beim Verlassen des Wohnzimmers mit meiner roten Hand auf den Po. Als Rache für den Bauchklatscher.

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