He ate too much, I think

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Ich betrat das mit rotem Teppich verlegte Einzelzimmer. Das Badezimmer zu meiner Linken war weiß gefliest und hatte eine große Badewanne. Auf dem Waschbecken standen kleine Shampoofläschchen und –falls das mal jemand vergessen sollte- ein Zahnputzbecher inklusive Zahnbürste. Und –lebenswichtig- ein Wasserkocher, inklusive Teebeutel und zwei weißen Tassen. Ich stellte meinen Weekender auf den Schreibtisch und legte meinen Mantel über die Armlehne des weißen, am Fenster stehenden, Sessels und ließ mich auf das Bett fallen. Irgendwie war ich geschafft. Zu viel gegessen, zu viele Eindrücke einer fremden Stadt, zu viel Gerede von Mister Matthew Green. Ich hörte mein Handy in der Manteltasche vibrieren und stand prompt auf. Unbekannter Teilnehmer.
„Hallo?"
„Hi! I'm still hungrig", lachte Samu.
Im Hintergrund hörte man finnisches Gerede.
„Woher weißt du, dass es hungrig heißt?", fragte ich.
„Die App, you know! Searched in the dictionary. I don't wanna eat Weischwurscht. Maybe I have to puke."
„Was ist mit den Jungs?", ich unterdrückte ein lautes Lachen. Schließlich hatte er die Sandwiches aus dem Flugzeug gegessen. Eine Weißwurst wäre da vermutlich nur noch halb so schlimm.
„They haben auch hungrig. Hunger! Sie haben auch Hunger!", korrigierte er sich.
„Ich schau, was ich machen kann, ok?"
„Would be nice!", sagte Samu und legte auf.
Ich blickte auf Uhr die des Handys. 18.15 Uhr. Zeitlich waren wir auf jeden Fall im Rahmen. Allerdings mussten wir spätestens um 19.00 Uhr im Club sein. Ich wühlte in meinem Kalender nach der Nummer des Besitzers und verschob den Soundcheck auf 19.30 Uhr. Widerwillig stimmte er zu. Eigentlich wollte er noch Autogramme und Fotos für seine „Hall of Fame"-Wand haben. Ich versprach ihm, dass er beides auf jeden Fall bekommen würde. Danach rief ich den Zimmerservice an, orderte für die hungrigen Finnen Salat mit Putenbruststreifen und Feta und drei verschiedene Sorten Laugengebäck: Sesam, Mohn und Käse. Sie sollten sich vor ihrem Auftritt schließlich nicht überfressen.
Zeitgleich bestellte ich mit der TaxiApp ein Taxi für 18.50 Uhr. Wer wusste schon, ob wir nicht in einen Stau geraten würden. Ich warf das Handy auf das Bett und ließ mich auf den weißen Sessel fallen, legte den Kopf in den Nacken und starrte für einen Moment an die Decke. Anfang Februar musste ich zurück. Zurück nach Berlin, um mir mein Arbeitszeugnis abzuholen. Zurück nach Bochum, um dort ab April weiterhin zur Universität zu gehen. Ich wurde wehmütig. Gerade jetzt, wo sich die Situation mit Samu deutlich verbessert hatte. Wieder klingelte mein Handy. Ich versuchte –ohne aufzustehen- zu erkennen, wer mich anrief. Weil ich weder meine Brille noch meine Kontaktlinsen dabei hatte, scheiterte ich kläglich. Ich beugte mich leicht vor, kniff die Augen zusammen und konnte ein „unbekannter Teilnehmer" erraten. Schulterzuckend ließ ich mich zurück in den Sessel fallen und schloss die Augen.


Plötzlich hämmerte irgendjemand wie von Sinnen gegen meine Tür. Ich schrak hoch und öffnete.
„Ja?", schrie ich Sami an.
„Lovely Emma. Samu is sick and we don't know what to do", sagte Sami aufgelöst, „He lies in his bed and has butterflies in his tummy."
Samu hatte also Lampenfieber.
„Is he nervous?", ich zog die Augenbrauen hoch, „has he never been nervous?"
„It isn't that", Sami rang nach Worten, „I don't know that word- He isn't nervous. Samu is sick, ill, has stomach ache. He ate too much, I think."
Ich winkte Sami rein und deutete auf meinen Weekender, den ich noch immer nicht ausgepackt hatte.
„Search for the medicine against stomach pains, called „Buscopan" or „Iberogast". I'll call the reception."
Sami nickte und durchwühlte meine Tasche. Dabei fand er auch das Negligé und den schönen Schlafanzug von Leni. Er machte große Augen und pfiff.
„Sami! Look after the medicine!", tadelte ich ihn und drückte den Servicebutton auf dem zimmereigenen Telefon. Nach dreimaligem Freizeichen ging jemand ran. Ich bestellte Kamille- und Pfefferminztee und fragte, ob es eine Möglichkeit geben würde, notfallmäßig eine Wärmflasche zu bekommen. Die Rezeptionistin bejahte dies und versprach, mir alles innerhalb der nächsten 15 Minuten nach oben zu schicken. Ich bedankte mich freundlich und legte auf.
„Did you find it?", fragte ich Sami, der immer noch ratlos in meiner Tasche kramte.
Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf.
„Can you sing without him?"
„Not really, no. But we have to?"
„Yes", sagte ich und nahm mein Handy in die Hand um den Besitzer des Backstages zu kontaktieren. Er sollte wissen, dass der Frontmann nicht kommen würde. Er hatte vollstes Verständnis, bestand aber darauf, dass die anderen Mitglieder der Band auf jeden Fall kommen sollten. Ich willigte ein, schrieb Jukka im Anschluss eine SMS und setze mich neben Sami auf das Bett.
„You have to play without him, ok?"
Sami sah mich zerknittert an.
„You can do it without him", grinste ich zuversichtlich.
„Sure?"
„Really really really sure", versprach ich und sah auf die Uhr, „go back to the others. I'll wait for the tea and take care of Samu. Your Taxi will arrive in a few minutes. You'll make it!"
Ich umarmte Sami kurz und begleitete ihn zur Tür. Mit geballten Fäusten wünschte ich ihm „toi, toi, toi". Er lächelte gezwungen und ging wie ein begossener Pudel zu dem Fahrstuhl. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, suchte ich –wie Sami zuvor- in meiner Tasche nach den Medikamenten. Ich war mir sicher, dass ich sie eingepackt hatte. Nach endlosem Wühlen kam ich auf die Idee, in meiner Kulturtasche danach zu suchen. Und fand sie natürlich auf Anhieb. Ich warf den Tablettenblister und das Fläschen auf das Bett und sah erneut auf die Uhr.
18.48 Uhr.


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