-9- Mitleid

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Hermine's P.O.V

Der Wind zog durch die Gänge von Hogwarts. Der kalte Luftzug war fast lauter, als das andauernde Geschnatter der anderen Schüler. Ich fragte mich, warum mir hier eigentlich nie kalt war, wobei das steinerne Gemäuer ja nicht wirklich einladend war. Selbst in den Fluren ganz oben, wo es nur bruchstückhaft Fensterglas gab, war es nicht unangenehm kalt. Klar, dort wollte ich nicht stehen, wenn es regnete, aber frieren tat man kaum irgendwo in Hogwarts. 

Ich stand allein, recht weit vorne an der Tür. Nach der Sitzordnung in Zaubertränke wollte ich mir schnellst möglich einen guten Platz sichern. Unter keinen Umständen würde ich wieder neben Malfoy sitzen. Auf keinen Fall. Es war ja nicht nur so, dass er mich zutiefst beleidigt hatte und mich ständig fertig machte, er arbeitete auch kaum mit und redete ununterbrochen mit seinem Kumpel Zabini. Kurz gesagt, Malfoy hatte sich nicht verändert und stellte den reinsten Alptraum dar. Ich wollte gar nicht wissen, wie es dieses Schuljahr werden würde. Vermutlich ein einziger Horrortrip. Im Stillen hatte ich auch schon meine gute Note begraben, denn mit Malfoy und Zabini an meiner Seite würde ich mich kaum genug konzentrieren können. Wobei ich natürlich gleichzeitig unglaublich ehrgeizig war, gerade deshalb mein Bestes zu geben. Sollte Malfoy doch denken, was er wollte, er würde mich nicht so sehr beeinflussen können, dass ich darunter leiden müsste. 

Während ich müde und gelangweilt auf den Boden starrte, spürte ich Blicke auf mir. Kleine, feine Stiche auf meiner Haut, nicht unangenehm, aber unbekannt, sodass ich unwillkürlich aufsah. Da stand Malfoy, ohne seine Freunde.
Sein Blick ruhte auf mir. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Aber es war nicht dieser verächtliche, kalte Ausdruck, den ich von dem Slytherin kannte; es hatte etwas ruhiges, fast schon entschuldigendes an sich.
Ich starrte irritiert ihn an. So kannte ich den eiskalten Jungen gar nicht.
Ach Hermine, mach dir nichts vor. Das ist wieder eins seiner bekloppten Spiele. 

Ich seufzte und schaute wieder zu Boden. Es war so erniedrigend, immer auf diese innere Stimme hören zu müssen. Ich vermisste die alten Zeiten, in denen ich noch so weit bei Verstand war, dass ich mein komplettes Leben allein regeln konnte. Aber jetzt, jetzt hatte ich diese gewisse Stimme, die mir vorschrieb, was ich tun, sagen und sogar denken sollte. Wir waren schließlich alle ein psychisches Wrack. Da war kein Verlass mehr auf meinen Intellekt, denn ich hatte ständig Angst, einen Fehler zu machen, weil ich mich nicht genug konzentrierte. Das galt zwar nicht für die Schule, da konnte ich doch ganz gut mithalten, hatte ich zumindest das Gefühl. Eher war ich ein Versager geworden, was alles andere betraf. Es fühlte sich an, als hätte ich alle meine sozialen Kompetenzen mit dem Krieg begraben. Mein Gespür für Menschen war irgendwie ein bisschen aus der Übung geraten. Zumindest was das feinfühlige anging. Prinzipiell merkte ich ja, wenn es Leuten um mich herum schlecht ging, da lag nicht das Problem. Nur war ich dann immer überfordert. Nichts fühlte sich richtig an, und schlussendlich mied ich es deswegen, wirklich auf meine Mitmenschen einzugehen - aus Angst, nicht genug für sie da sein zu können. Es war so bekloppt. 

Der Tag verlief ohne große Zwischenfälle. Kein Sitzplatz neben Malfoy, aber auch kein weiterer Gedanke daran, wie er mich angesehen hatte. Es war mir ehrlich gesagt auch egal. Sollte er doch machen, was er wollte. Ich hätte mir sowieso immer schon einfach weniger Gedanken darum machen sollen. Dann wäre ich bestimmt leichter durchs Leben gegangen. Wie viel Zeit hatte ich denn auf sein Gerede verschwendet und mich selbst deswegen fertig gemacht - wo ich doch zu gut wusste, dass er das lediglich für sein Ego brauchte. Am Ende war er doch nur genauso fertig wie wir alle. 
Als ich deutlich später in meinem Bett lag, konnte ich trotzdem nicht schlafen. Gedankenverloren wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, klopfte immer wieder mein Kissen aus, schlug die Decke hin und her, aber fand doch keine Ruhe. 
Ich versuchte, Ginny beim leisen Schnarchen zuzuhören, doch keine Chance. Mein Körper wollte nicht schlafen und mein Kopf nicht aufhören. 
Letztendlich beschloss ich, George zu schreiben. Wenn ich schon meine eigenen Gedanken kaum ordnen konnte, sollte er wenigstens wissen, dass ich ihn nicht vergessen hatte. 

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