-28- Allein da draußen

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Harry's P.o.V.


Als wir uns auf den Heimweg gemacht hatten, war es bereits dunkel geworden, feine Schneeflocken waren auf uns herab gerieselt und unter uns Leuten hatte sich eine heimelige, friedliche Stimmung ausgebreitet, die den gesamten ausklingenden Tag anhielt. Während wir die vereisten Wege bestritten, hörte ich von überall Gelächter und heitere Stimmen, es schien keinen Ärger mehr zu geben, keine Gedanken.
Ich lief neben Neville, wir unterhielten uns angeregt über seine Pläne nach dem Abschluss, und hin und wieder hob ich den Kopf in die Höhe, um nach Ginnys roter Mähne Ausschau zu halten. So war die Strecke im Nu begangen und wir kehrten zurück ins Schloss ein, fröhlich, unbekümmert. Sobald die Türen zugefallen waren, umschloss mich eine angenehme Wärme, die jeden Winter, trotz aller fragwürdigen Umstände eines riesigen Sandstein-Schlosses, die Mauern heizte.
Ich schloss für einen Moment genießerisch die Augen.

Vielleicht war es die falsche Entscheidung gewesen, weg zu gehen. Vielleicht... ,,Harry!"
Unvorbereitet wurde ich grob am Arm herumgewirbelt und ich riss meine Augenlieder wieder auf. ,,Was?", fragte ich meinen Gegenüber, Luna, wie ich schnell identifizieren konnte. War sie nicht eben noch ganz am anderen Ende der Halle gewesen?
,,Wo ist Hermine? Und Ron?" Ihre Stimme war aufgeregt, zumindest für ihre Verhältnisse.

Ich zuckte unwissend mit den Schultern, aber hätte ich in diesem Moment realisiert, was sie sagte, wäre ich sicher nicht so ruhig geblieben. Offenbar war Luna irritiert von meiner mageren Anteilnahme. Sie verzog das Gesicht, hob ihre Hand und bevor ich wusste, wie mir geschah, zog sie dieselbe durch das meine. Sie schlug zwar nicht fest, aber deutlich. So, dass mein Kopf durchgeschüttelt wurde und ich wieder ganz bei Sinnen war.

,,Harry, nochmal! Wo sind Ron und Hermine? Sie sind nicht im Schloss angekommen, ich mache mir Sorgen, Harry, wirklich!" Jetzt war ihre Stimmlage höher, schriller - hysterischer. ,,Ist ja gut, Luna, aber ich habe auch keine Ahnung. Ich dachte, sie wären direkt hinter uns..." 

Unruhig hielt ich Ausschau nach jemandem, der uns helfen konnte, während die Anderen bereits auseinander strebten. ,,Hey, Ginny! Ginny, komm kurz her!", hielt ich meine Freundin davon ab, mit einem anderen Mädchen um die Ecke zu biegen und damit aus meinem Sichtfeld zu verschwinden. Sie wandte sich zu mir um und sobald die rothaarige Hexe unsere Gesichter sah und die dementsprechenden Ausdrücke, kam sie auch schon auf mich zu. Luna hatte unterdessen Neville abgefangen, der jetzt ebenfalls mit fragenden Augen bei uns stand. ,,Habt ihr Mine gesehen? Oder Ron? Auf dem Heimweg, habt ihr sie bemerkt?"                                              Die Beiden schüttelten den Kopf, Ginny stammelte irgendetwas. ,,Ich... nein, oh je, nein... Ich glaube... ich glaube, die beiden wollten noch reden. Also sich aussprechen, wegen Malfoy, ihr wisst schon, ich glaube, sie sind noch länger im Dorf geblieben...", brabbelte sie, während ihr Blick wild hin und her huschte. Auf einmal wurde sie ganz blass.

Ich nahm ihre Hand, sie war kalt. ,,Ginny.", murmelte ich leise und ihr Blick flackerte auf. ,,Ron wird ihr nichts tun. Er liebt sie. Außerdem ist er doch dein Bruder, denk doch mal über ihn nach. Das könnte er doch gar nicht.", sagte ich leise und an ihren Augen konnte ich erkennen, dass sie jedes Wort vernahm. Und kaum eine Sekunde nachdem ich geendet hatte, schüttelte sie energisch den Kopf. Es war, als schüttele sie die wirren, dummen Gedanken einfach von sich ab und würde nun wieder klar denken können. ,,Ja", meinte sie schon viel entspannter und überzeugt, ,,du hast recht. Bei Merlin, wie konnte ich sowas denn auch nur denken! Ron ist viel zu trottelig, um Hermine etwas anhaben zu können." Geschwisterliebe war so herrlich.

,,Aber trotzdem...", fiel Luna jetzt dazwischen. ,,ich habe kein gutes Gefühl dabei, sie einfach alleine da draußen zu lassen. Es ist eiskalt und dunkel." ,,Und da draußen wütet ein Schneesturm.", kommentierte Neville, während er seinen Hals verrenkte, um einen Blick aus einem Fenster werfen zu können. Sobald er das ausgessprochen hatte, fuhr mir ein eisiger Schauer über den Rücken.

Wo steckten die Beiden? Warum waren sie nicht mit uns nach Hause gelaufen, warum hätten sie ihren Streit nicht einfach hier austragen können? Stattdessen irrten sie jetzt da draußen im Schneegestöber herum und ... andererseits, was machte ich mir schon groß Sorgen?

Sie waren großartige Zauberer, sie würden doch wohl den Weg zum Schloss finden; einen Pfad, den wir mehr als hundert Mal beschritten hatten und den zumindest Ron im Schlaf kennen müsste. So oft, wie wir in Hogsmead waren, auch ohne Hermine, wenn diese mal wieder hatte lernen wollen. Heiliger Merlin, wir hatten schon weitaus schlimmeres erlebt, als uns bei Nacht zu verirren, warum machte ich mir überhaupt Gedanken deswegen?

Ron und Hermine waren so gut wie erwachsen, auch wenn sie sich nicht immer ansatzweise so benahmen. Auch im Streit konnten sie im Ernstfall aufeinander zählen, das hatten die Beiden ja schon mehr als einmal bewiesen. Und beide hatten Zauberstäbe dabei. Wenn sie also nur zusammen bleiben würden, konnte ich sicher sein, wir würden sie spätestens morgen beim Frühstück am Tisch sitzen sehen und alles würde scheinen, als wäre nie etwas geschehen.

Ich öffnete gerade meinen Mund, um meine beruhigenden Gedanken an die Anderen zu tragen, um sie zu entspannen, vor allem Luna und auch Ginny, die immer noch recht blass wirkte. Aber in diesem Moment wurde die schwere Holztür der Eingangshalle aufgestoßen. Mit einer pfeifenden Windböe, begleitet von tiefem Quietschen des Holzes, wurde eine Schneewehe hereingetragen und ein Hauch kalter Luft, der mir eine Gänsehaut bescherrte und Lunas blonde Strähnen aufwirbelte. Wir starrten alle in Richtung der spaltbreit offenen Tür, durch die eine Person trat, eingeschneit und vermummt, um sich gegen die beißende Kälte zu schützen. Wir konnten nicht erkennen, wer das Schloss gerade betreten hatte, bis derjenige seinen Umhang abschüttelte und seinen Kopf unter Schichten von Mützen und Tüchern befreite. Bis ich Rons leuchtend roten Haarschopf erkannte. Dann sein Gesicht, das verzogen war und den minimalen Munbewegungen und dem undeutlichen Gemurmel entnahm ich leise Flüche.

,,Ron!", schrie seine Schwester auf. Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit. Mit drei großen, eiligen Schritten kam sie auf ihn zu und umarmte ihren Bruder, ehe dieser wusste, wie ihm geschah. Völlig überrumpelt stand Ron da und streckte die Arme von sich, dann, langsam, legte er sie über Ginnys Rücken. ,,Oh Ron, ihr habt uns so einen Schrecken eingejagt, wie konntet ihr so etwas nur tun!", jammerte sie ohne nachzudenken, denn sonst hätte sie bestimmt etwas anderes gesagt.

Auch ich musste zugeben, dass Erleichterung durch meine Adern strömte, sobald Ron durch die Tür trat. Irgendwie war ich eben doch angespannt gewesen. Aber jetzt, jetzt schien ja alles gut zu sein. Ron allerdings hatte scheinbar immer noch keine Ahnung, von was seine Schwester da redete, packte sie an den Schultern und schob sie eine Armeslänge von sich weg. Ginny wischte sich kurz verstohlen über ihr Gesicht. 

,,Jetzt mal langsam. Von was genau redest du da? Und warum ... " Er sah zu uns Anderen, die wie ein Empfangskomitee um das rührende Paar herum standen. ,,Was macht ihr denn alle hier? Habt ihr auf mich gewartet oder so?", fragte er verständnislos, aber mit leicht belustigtem Unterton. ,,Naja, ganz unentspannt waren wir nicht.", lachte ich ihm zu, aber er schien nur noch verwirrter. ,,Ron, hör jetzt auf mit dem Mist! Wir haben uns verdammt nochmal Sorgen gemacht! Jetzt sag schon, was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht! Und ... Und wo ist Hermine eigentlich?", fauchte Luna nun los.

Ich war beeindruckt, so hatte ich die blonde Hexe noch nie erlebt. Luna zeichnete sich durch ihre Ruhe und Gelassenheit aus, und dass sie niemals gestresst war, aber jetzt schien das Gegenteil der Fall zu sein. Als ihn ihre Worte erreichten, fiel das dümmliche Grinsen aus seinem Gesicht und der verständnislose Ausdruck verschwand. ,,Wie... Mine ist ... Mine ist nicht hier? Ich dachte doch, also ... ich dachte, sie wäre schon vor mir hier angekommen ... Aber, also ... wenn sie nicht hier ist - wo ist sie dann?"

Ich sah mich hektisch in der Eingangshalle um, ein vergeblicher Versuch, meine beste Freundin doch irgendwo zu erkennen. Dabei wusste ich es eigentlich schon besser. Hermine konnte gar nicht unbemerkt an uns vorbeigekommen sein, dafür waren hier einfach zu wenig Menschen. Was bedeutete, dass sie gar nicht hereingekommen war. Sie musste also noch da draußen sein.

,,Wir haben uns gestritten, also ich, also wir ... Ach, was weiß ich denn, ich bin jedenfalls losgelaufen... ich, ich ... ich habe keine Ahnung wo sie ist, verdammt! Aber, wir müssen sie suchen, Leute. Schnell!", quasselte Ron auf einmal los. Offenbar hatte er nun endlich kapiert, was Luna ihm hatte sagen wollen. Und jetzt wurde ihm offenbar auch bewusst, warum sie so unruhig war.

Hermine war noch da draußen. Allein. Im Dunklen, im Schneegestöber. Verletzt, enttäuscht, wütend, wie auch immer. Und das wiederum bedeutete nichts Gutes.

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