Die Jagd

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Die Jagd

"Irgendjemand war hier!" Ich muss mir ein Lachen verkneifen. "Ja...Stimmt." Das Mädchen aus eins humpelt ganz hinten hinterher. Es sieht so aus, als würde sie nicht mehr lange mit machen. Luis grinst mich angestrengt an. "Was glaubst du Brain war er hier?" fragt das Mädchen. Wie gesagt, das Namen merken war nie meine Stärke. "Wenn du den Typen aus vier meinst, ja!" Er grinst. "Wir finden ihn schon..." Mein Blick schweift zu Luis, der dicht neben mir sitzt. "Das Mädchen, Annie aus vier überlasst ihr, aber mir!" Mich durchfährt ein eiskalter Schauer. Der Junge lächelt arrogant. Am liebsten würde ich runterspringen und irgendwas tun, aber es wäre klar das ich verlieren würde. "Wieso? Die kleine aus vier? Die ist spätestens in drei Tagen tot, weil sie verhungert." Ha ha, das denkst du. "Nein! Wird sie nicht!" Er fährt das blonde und humpelnde Mädchen aus eins an. "Sie kann was, ganz sicher!" Das Mädchen zuckt zurück und macht riesige Augen. Schon ein bisschen peinlich, wenn man sich so beherrschen lässt. Die Karrieros laufen unter uns weiter und haben keinen blassen Schimmer, das wir über ihnen sitzten. Luis kriegt einen Lachanfall und hält sich den Bauch. "Psshtt! Luis sei still!" flüstere ich. Er hört auf zu Lachen und kichert nur vor sich hin. Ein Junge wie er und er kichert. Süßer geht es ja gar nicht. Ich muss unwillkürlich lächeln. Die Karrieros laufen ein zweites Mal unter uns durch, dann verschwinden sie. Kurz darauf ertönt der Knall der Kanone und ein weiter Tribut ist tot. "Hast du gehört das sie zurück kommen?" fragt Luis leise. Ich nicke. "So laut wie sie sind." "Was machen wir jetzt?" fragt Luis. "Was wohl? Wir bleiben hier." 

Den gesamten Tag saßen wir auf dem Baum herum und haben leise geredet. "Bumm!" und die Kanone knallt heute zum dritten Mal. "Luis..." fange ich an. "Was glaubst du, wer war das?" Er zuckt die Schultern. "Weiß nicht." Ich glaube mir war noch nie in meinem Leben so schlecht. Ich war noch nie so aufgewült wie jetzt, aber ich lebe noch. "Annie...Wir müssen was essen, komm..." Luis springt mit einem Satz vom Baum, läuft rüber zum Tümpel und kommt mit dem gleichen Tier wie gestern zurück. Schweigend essen wir. 

 “Wie viele sind schon tot?” frage ich in die Stille hinein.  ‘‘Neun oder zehn, glaub ich…“ antwortet er. Ich beiße mir auf die Lippe und starre vor mich hin. Die Karrieros lassen uns in Ruhe und kommen nicht nochmal zu uns. Wir klettern zurück auf einen Baum und binden uns fest. Die Hymne erklingt und ich starre in den beinahe schwarzen Himmel. Die beiden kleinen aus zwölf und das Mädchen aus eins sind tot.“ Wie ich es vorher gesehen habe, sie hat nicht mehr mitgemacht. Vielleicht fanden die Karrieros auch das sie eine Belastung für sie war und haben sie deshalb umgebracht? Also sind drei tot mit den sechs von gestern sind das dann neun.  Also sind fünfzehn übrig. Wenige Minuten darauf komme ich zur Ruhe und schließe die Augen. Ein Schrei der mir durch Mark und Bein geht zieht mich aus meiner Ruhe und ich reiße die Augen auf. „Luis!“ Ich klammere mich, an den Baum. Er ist nirgendwo zu sehen und ich bin mir sicher dass er derjenige war der geschrien hat.  Mit einem Satz springe ich vom Baum und komme unten so dermaßen schlecht auf das ich mir den Fuß umknicke und es laut knackt. Wieso ist er denn einfach weg? Wieso habe ich das nicht mitbekommen. „Annie! Rauf auf den Baum!“ Sofort und trotz des schmerzenden Beins  schwinge ich mich wieder hoch und helfe ihm auf den Baum. Gerade noch rechtzeitig! Die Karrieros schreien herum und sehen sich um. Von Luis Schläfe tropft nur so das Blut. „Was hast du gemacht?“ hauche ich leise. „Ich wollte uns noch was zu trinken besorgen, dann bin ich auf die da unten gestoßen!“  haucht er ebenso leise zurück. „Und was ist da passiert?“ Ich zeige auf den  Blutstrahl. „Nichts. Ein Messer oder so, weiß nicht.“ Ich runzle die Stirn. „Wie du weißt nicht? Du musst es doch gesehen haben.“ „Nein eben nicht! Das ging alles so schnell.“  „Luis wenn du so weiter machst, bringt dich deine Leichtsinnigkeit noch ins Grab!“  Wir sehen uns kurz an. „Ja…Das tut mir leid, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen!“

„Wo ist er denn? Ich hab ihn doch eben noch den Namen von dem Mädchen aus vier schreien hören!“ frustriert schreit das Mädchen aus Distrikt zwei herum. Der Junge aus zwei tritt mit voller Wucht gegen den Baum auf dem wir sitzen. „Das kann ja nicht so weiter gehen! Immer entwischen sie euch! Ihr seid zu nichts fähig.“ Der Junge aus zwei ist besonders wütend. „Und immer kommen wir an die gleiche Stelle! Das kann ja wohl nicht so schwer sein! Das Mädchen wird ja wohl bei ihm sein!“ Leise kichere ich vor mich hin. Bestimmt sind gerade alle Kameras auf uns gerichtet. Die drei sehen bestimmt wie die letzten Idioten aus. Wir sitzen über ihnen und amüsieren uns und sie kriegen das nicht einmal mit. „Pssht! Haltet die Klappe! Seit leise.“ Meckert der Junge aus zwei herrschend. Er ist so ein Ekel! Luis kichert immer noch, bis ich ihm leicht in die Seite boxe und er verstummt. „Habt ihr das gehört? Sie sind hier!“ Mein Lachen vergeht schlagartig. Das könnte schon unser Todesurteil sein.  „Du hast Einbildungen!“ spottet das Mädchen aus seinem Distrikt. „Ja und du bist blöd und unbrauchbar!“ kontert er. Sie schüttelt den Kopf und stellt sich neben ihn. „Du denkst auch du wärst der Mittelpunkt der Erde oder?“ Luis und ich sehen uns an. Ich bin mir sicher dass wir genau den gleichen Gedankengang haben. Das sind solche Idioten, gleich streiten sie sich sicherlich und fallen übereinander her. „Nein, aber ich hab wenigstens ein Gehirn was größer ist als eine Erdnuss!“ Sie flippt sicherlich gleich aus, so sieht sie zu mindestens aus. „Ich glaub es nicht, mit so einem widerlichem Ekel zusammen gewesen zu…“ Sie unterbricht sich selbst und schüttelt den Kopf. „Aha…“ murmle ich. „Unser Sunnyboy war mit ihr zusammen.“ Luis grinst schadenfroh. „Wovon träumst du eigentlich?“ brüllt der Junge aus zwei zurück. Er lacht sie böse aus. Sie tritt ihm in die Kniekellen und läuft ein Stück weg. Er sieht ihr amüsiert hinterher. Ich bin mir sicher dass er jegliche Gefühle abgelegt hat.  Leise presse ich mich an den Baum und sehe nach unten. Wenn jetzt einer von ihnen hochsehen würde, könnte er mich sehen. „Annie…Du kannst ruhig herauskommen. Wir wollen uns doch nur verbünden!“ Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Luis reißt die Augen auf und schüttelt heftig den Kopf.

Die drei Karrieros laufen alle in eine andere Richtung, weg sind sie aber noch lange nicht. „Habt ihr was?“ fragt das Mädchen kleinlaut. „Nein!“ antwortet die beiden Jungs wie aus einem Mund. „Vielleicht sind die Beiden ja abgehauen und rüber zum Berg.“ Mischt sich der Junge aus eins ein. Sie sehen sich kurz an und stimmen alle zu, dann rennen sie los. „Puh…Das war knapp.“ Murmle ich Luis zu.  „Ja das war es…“  „Wir müssen weg hier!“ erkläre ich. „Zweimal schon, waren sie jetzt hier und sie werden sicherlich zurückkommen, also werden wir uns einfach woanders verstecken. Wenn sie jetzt zum Berg gehen dann sind sie lange genug weg. Dann suchen wir uns im Wald ein neues Versteck und alles ist gut!“ Er nickt. „Gut…Dann machen wir.“

Vorsichtig klettere ich vom Baum herunter. Mein Fuß tut höllisch weh, bei jedem Schritt könnte ich aufschreien. Ich unterdrücke es aber und laufe weiter. Angespannt beiße ich meine Zähne zusammen. Das viele Laufen macht es nicht besser, sondern unerträglich. Luis läuft voran, deswegen merkt er nichts, zum Glück.  Ansonsten würde er bestimmt halt machen wollen. „Annie?“ fragt er leise. „Ist alles ok, bei dir?“ Ich nicke heftig. „Ja…das geht schon.“ Lüge ich. Er wendet sich ab und läuft weiter. Wir finden einen ganz guten neuen Ort. Hier stehen gut gedeckte Bäume und auch ein kleiner Teich. Erschöpft lasse ich mich auf den Boden fallen und strecke mein Bein von mir. Luis zieht es an sich ran, zieht den Schuh vorsichtig ab und streift die Socke darunter auch ab. „Annie du bist doch völlig bekloppt. Anstatt du was sagst.“  Er schüttelt den Kopf. „Gib mir mal deinen Rucksack.“ Ich tue es einfach. Grübelnd holt er einen Verband heraus und wickelt ihn dick um meine Ferse. „Das müsste halbwegs gehen.“ Ich weiß zwar nicht in wie fern, aber ich glaube ihm einfach mal.  Still zieht er mir die Socke und den Schuh wieder an. „Geht’s?“ fragt er als ich aufstehe. Ich nicke. „Ja, das geht schon besser.“ Antworte ich wahrheitsgemäß. Die Kanone wird einmal abgeschossen, dann ein zweites Mal und nach einigen Sekunden noch ein drittes Mal. „Wow…Das ging jetzt aber schnell.“ Wirft Luis ein. Ich nicke angespannt. „Zwölf, das heißt die Hälfte ist noch mit dabei.“ Wir sehen uns kurz an.

„Brain! Brain! Hilf mir er dreht durch!“ Das Mädchen aus Distrikt zwei rennt in unsere Richtung. Ich reiße die Augen erschrocken auf. Luis und ich funktionieren mal wieder gleich und verstecken uns auf einem Baum. Der Junge aus zwei hat einen roten Kopf und hat sein Schwert gezogen. Der Junge aus eins steht genau hinter dem Mädchen. „Ist alles ok?“ fragt er sie leise. Heftig schüttelt sie ihren Kopf. „Nein...Er dreht völlig durch.“ Noch ehe sie richtig zu Ende sprechen konnte, stürzt er sich auf den Jungen aus zwei. Ich wende meinen Blick ab, so was muss ich echt nicht essen. „Bum!“ Die Kanone verkündet seinen Tot. Luis schaut mit Schreck geweiteten Augen nach unten, auch ich tue das nun. „Oh Gott.“ Flüstere ich. Um den Jungen hat sich ein Schwall aus Blut gebildet, was nicht gerade ansehnlich ist. Dann verstehe ich erst was passiert ist. Er hat ihm die Kehle aufgeschnitten, das ist nicht nur absurd, sondern die schlimmste Art zu sterben, wie ich finde. Er hat ihn ganz einfach und wortwörtlich „enthauptet“. Das Mädchen starrt ihn hasserfüllt an, sie hat vielleicht doch ein gutes Herz. „Du Ekel!“ schreit sie. Der Junge atmet tief durch, sein Name will mir noch immer nicht ins Gedächtnis treten. Schon rennt sie los, er nimmt die Verfolgung auf. Der Junge aus eins, liegt unter uns. „Tja, das war das Ende von dem Karriero aus Distrikt eins.“ Murmelt Luis. „Wie hieß er?“ frage ich. „Brain.“ Sagt er knapp. Ich kann mir vorstellen, dass er den Namen von jedem einzelnen Tribut weiß. „Wie hieß das schwarzhaarige Mädchen, was am ersten Tag gestorben ist?“ frage ich. Ich frage ihn nicht einfach so, sondern weil es mich wirklich und ehrlich interessiert. „Meinst du die aus drei?“ Ich nicke. „Ja.“ „Carly.“ Bedrücktes Schweigen liegt in der Luft. Endlich nach weiß Gott wie vielen Minuten kommt ein Hovercraft herunter und zieht ihn zu sich hoch. „Heute ist aber ganz schön was los.“ Verkündet Luis angespannt. „Ja und wir könnten die nächsten sein.“ Gebe ich zurück. 

Die 70. Hungerspiele | Annie's Geschichte ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt