Im Ernst: ich komm mir vor, als wär ich keinen Strahl der Sonne wert

424 35 2
                                    

PoV Tim

Nie hatte mich ein Satz so viel Überwindung gekostet. Ich hatte Angst vor Stegis Antwort, konnte ich es doch allzu gut verstehen, wenn er nein sagen würde. Die Zeit, bis er sich wieder regte, schien nicht zu vergehen. „Also, du musst nicht, ich kann verstehen, wenn du nicht willst." Ruderte ich ein wenig zurück, doch Stegis Entscheidung war bereits gefallen. „Doch, klar, wenn dir das hilft, machen wir das zusammen." Ich konnte ihm ansehen, wie viel ihm diese Antwort gerade abverlangt hatte. „Aber wenn du das nicht kannst, musst du mir Bescheid sagen, versprochen?" Mein Freund nickte lediglich, ehe er nach dem Buch griff. „Willst du oder soll ich?" fragte er leise, ich deutete ihm mit einer Kopfbedeckung, dass er sollte. Vielleicht war es leichter zu ertragen, wenn die Person, die ich liebte, mir das alles vorlesen würde. Stegi räusperte sich leise. „Warst du hier?" wollte er wissen un deutete dabei auf eine Stelle im Buch, bis ich nickte. „Okay.." er zögerte erneut. „Du musst das wirklich nicht." Begann ich nochmal, doch Stegi unterbrach mich: „heute ist es zwei Wochen her. Zwei Wochen, in denen ich nicht mehr schlafen kann, zwei Wochen, in denen ich Angst habe, rauszugehen. Tim habe ich gestern zum ersten Mal wieder gesehen und es war so komisch. Es ist furchtbar, ihn anzulügen. Es tut so weh, ihm zu verschweigen, dass ich ihn betrogen hab. Ich weiß nicht, ob er was merkt. Eigentlich konnte ich mich schon immer gut verstellen, aber Tim kennt mich zu gut. Josy hat bis jetzt nichts gemerkt, ich hoffe, das bleibt auch so. Sie würde es sofort Papa erzählen." Ich griff nach Stegis Hand, als ich bemerkt hatte, wie brüchig seine Stimme klang. „Vielleicht geh ich nachher noch raus, ich brauch mal wieder frische Luft. Wenn es hell ist, hab ich nicht so viel Angst wie abends."

Stegi und ich saßen schon mehrere Stunden zusammen im Bett, er las beinahe unermüdlich weiter. Mittlerweile waren wir bei Tag 137 vor ihrem Tod. Innerlich zählte ich die Tage mit und hatte mit jeder Seite, die Stegi mir vorlas, mehr Angst. „Ich war heute im Park, ich hab mich mit Maxi getroffen. Irgendwie hat Tim ja recht, komisch ist er schon. Heute gab es Minuten, in denen es mir nicht so schlecht ging, aber jetzt wird es wieder schlimmer. Wenn ich alleine bin, ist es am schlimmsten. Vielleicht fühlt es sich so an, wenn man tot ist. Obwohl, nein, niemand, der tot ist, fühlt diese Schmerzen. Tod muss ruhig sein, entspannt, leicht. Ich glaube, sterben ist leichter. Schüttet der Körper nicht irgendwelche Stoffe aus, wenn man stirbt, damit es leichter ist? Nichts kann schlimmer sein, als das. Leben ist schwer. Vor dem Training war Tim hier. Immer, wenn er mir sagt, dass er mich liebt, fühle ich mich so eklig,, ich schäme mich so sehr. Ich kann nicht mit ihm reden." Zum ersten Mal, seit mein Freund die Stimme erhoben hatte, blickte ich ihn an. Seine Augen waren gerötet, sein Gesicht war gezeichnet von Tränen, die ihm immer und immer wieder über die Wangen liefen. „Lass gut sein, Stegi, hör auf. Du musst das nicht." Flüsterte ich vorsichtig und nahm ihm das Buch aus der Hand. „Ich will das aber, ich kann das auch." Entgegnete er, wehrte sich jedoch nicht, als ich ihn sanft zurück in die Kissen drückte. „Danke." Wisperte ich, gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange und schloss ihn in eine feste Umarmung. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel mir das bedeutet. Aber jetzt ist genug für heute. Wir schlafen jetzt." Entschied ich und legte das Buch auf den Nachttisch. Ich wisperte noch ein „ich liebe dich.", ehe ich Stegi einen Kuss  gab und die Augen schloss.

Ich schlief unwahrscheinlich lange, als ich die Augen öffnete, lag ich alleine im Bett. Aus der Küche war Lärm zu hören, also machte ich mich direkt dorthin auf den Weg. „Morgen Schatz." Begrüßte ich meinen Freund, der gerade die Spülmaschine ausräumte, schlaftrunken. „Guten Morgen." Lächelte er und drückte mir wenige Sekunden später einen Kuss auf. „Hast du gut geschlafen?" wollte ich wissen, als ich ihn von der Spülmaschine wegschob, um den Rest auszuräumen. „Joa, passt schon und du?" Ich nickte zustimmend.

Den halben Tag verbrachte mein Freund damit, diverse Zugverbindungen rauszusuchen. Er wollte, dass Chrissy uns besuchte und hatte entschieden, dass wir in den nächsten Wochen zu meinen Eltern fahren sollten. Ich hatte Angst vor dem Besuch bei meinen Eltern. Stegi hatte ich noch immer nichts davon erzählt, was mit meinen Eltern oder besser gesagt mit meinem Vater los war. Ich hatte ihm verschwiegen, dass mein Vater für einige Zeit ausgezogen war und ich hatte ihm verschwiegen, dass unsere Beziehung wohl der Grund dafür war. Ich wusste, wie sehr ihn das mitnehmen würde, er würde versuchen mich davon zu überzeugen, dass die Familie immer wichtiger war als eine Beziehung und dass es besser wäre, wenn wir uns trennen würden. Für mich war das überhaupt keine Option. Als ich meinem Vater damals gesagt hatte, dass ich mit Stegi zusammen war, kam er nach einiger Zeit recht gut damit klar, doch offenbar hatte er uns allen das nur vorgespielt. Je länger wir zusammen waren, desto schlimmer wurde es wohl, so hatte meine Mutter es mir erzählt. Immer wieder hatten meine Eltern deshalb gestritten, bis meine Mutter ihn schlussendlich vor die Tür gesetzt hatte und es ging mir unwahrscheinlich schlecht damit. Es war offensichtlich nicht nur unmöglich eine normale Beziehung mit mir zu führen, nein, die Ehe meiner Eltern konnte ich offenbar auch noch ruinieren.

Was machst du nur mit mir PART 2 | Stexpert FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt