Virtualitätssucht

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Ich spüre die Erde unter meinen Stiefeln. Wind weht durch die Löcher meiner alten Hose. Meine Lederjacke schlottert um meinen Körper, während ich renne. Renne um allem zu entfliehen. Stepans Nachricht ist wichtig. Wenn der zweite Satz auf den Ersten bezogen ist, habe ich ein großes Problem.
'Fehler im System.' Das war der Satz, der mir Sorgen bereitete. Das System ist perfekt. Fehler müssen sofort behoben werden.  Und ich bin einer.
Äste zerkratzen mein Gesicht. Ich spüre, wie aus meiner Wange Blut heraustropft. Es sammelt sich und läuft dann zu meinem Mund. Irgendwann bin ich erschöpft. Bei einem Busch bleibe ich stehen und setze mich für einen Augenblick hin. Nach dieser kurzen Verschnaufpause springe ich wieder auf und pirsche durchs Unterholz. Ich liebe es, wenn bei meinen Schritten keine Geräusche ertönen. Ich hatte lange dafür geübt, um Rehe zu erlegen.
Ich schleiche zu einem morschen Baumstamm und hebe ihn an. Darunter verbergen sich sieben Wurfmesser. Ich nehme sie an mich und lege den Holzstamm wieder in seine Ausgangsposition. Langsam kämme ich den Wald ab nach Beute. Nach 10 Minuten finde ich eine Wildschweinherde. Ehe sie weglaufen können, habe ich drei von ihnen erlegt. Ich nähere mich ihnen und ziehe meine Messer. Sie sind voller Blut.
Ich nehme mir die Wildschweine und schleppe sie zum Bach. Dort häute ich die Tiere und entnehme ihre Innereien. Dann wasche ich das Fleisch. Jetzt muss ich es braten. Dafür brauche ich Feuer, deshalb gehe ich dicke Holzäste suchen. Als ich genug gesammelt habe, entfache ich ein kleines Feuer und brate das Fleisch. Ich wasche meine Messer und verstecke sie anschließend in ihrem Versteck. Dann mache ich mich auf den Weg nach Hause, um meinem Vater und Cordelia Fleisch zu geben.

Als ich zu Hause ankomme entreißt mir Cordelia förmlich das frische Fleisch. Ich vermisse Dad. Früher hatte er mit mir gejagt und mich unterrichtet. In allem Möglichem. Waffen, Heilung und Sport. Dann sind ihm die unzähligen Möglichkeiten von Virreal aufgefallen. Er verbrachte immer mehr Zeit in der VR. Manchmal, wenn ich nach der Jagd kam, war er in der RW und lächelte mich dankbar an, während ich triumphierend das Fleisch hochhielt. Ich vermisse sein Lächeln. Ich vermisse sein Lachen. Ich vermisse ihn. Thomas. Dad. Mit der Zeit wurde er Virrealsüchtig. So nennt man das, wenn man sich kaum noch/gar nicht mehr ausloggt und sich nur noch in der VR aufhält. Doch auf Dauer ist dies gesundheitsschädlich. Jährlich sterben mehr als 1000 Menschen an Virtualitätssucht.
"Jenna. Das Salz ist leer. Hol welches aus dem Keller!" Ruft Cordelia, während sie das Fleisch zubereitet.
"Mach ich." Rufe ich zurück und laufe zum Keller. Dort stapeln wir unsere Vorräte. Unter einem Teppich ist dort eine Luke. Unter ihr befindet sich einer unserer Bunker. Ich schnappe mir eine Packung Salz und gehe die Treppe wieder hoch.
"Da bist du ja endlich. Gib her!" Sie nimmt sich das Salz. Ich schüttel den Kopf, dann gehe ich ins Bad und dusche, während meime Stiefmutter Essen macht.
Nach dem Duschen betrachte ich meinen nackten Körper im Spiegel. Mein Bauch ist flach und wenn man genau hinguckt, fällt er sogar ein wenig ein. Das wenige Essen macht sich sichtbar. Man sieht einige meiner Rippen und meine Schlüsselbeine stehen so stark hervor, dass ich auf ihnen Münzen transportieren könnte. Meine Oberweite ist nicht sehr groß, aber klein ist sie auch nicht. Meine Schultern sind für ein Mädchen relativ breit und meine Arme durchtrainiert. Ich betrachte nun mein Gesicht im Spiegel. Die Haut ist leicht gebräunt, denn die Sonne hat in den letzten Tagen sehr geschienen. Mein nasses Haar tropft vor sich hin. Im feuchten Zustand habe ich fast meine natürliche Haarfarbe. Schokobraun. Meine Haare sind, wenn sie trocken sind rotbräunlich. Ich habe sie getönt, da mich das Braun irgendwann einfach nur genervt hatte. Meine Nase ist gerade, obwohl ich sie mir bereits zwei Mal gebrochen habe. Ich betrachte meine vollen, rosaroten Lippen. Dann gleitet mein Blick zu meinen Augen. Giftgrün. So, wie die meiner Mutter. So, wie die meiner Mutter waren. Bis sie gestorben ist. Ich wende den Blick ab und greife an meinen Hals. Eine Träne kullert über meine Wange. Mom. Wieso musste sie nur so früh von uns gehen? Meine Finger tasten das kalte Metall. An meinem Hals baumelt ein silbernes Medallion. Seitdem ich es besitze, habe ich es noch nie abgelegt. Es gehörte früher meiner Mom. Ich wische meine Tränen weg.
"Essen ist fertig." Höre ich Cordelia uns mitteilen. Ich streife mir frische Kleidung über und gehe los um den Rest meiner Familie aus der VR zu holen.
Als ich Symons Zimmer betrete, schaut er auf. Er ist nicht in der VR, sondern sitzt an seinem Tisch und macht Hausaufgaben.
"Essen ist fertig, Simmey." Er blickt auf und lächelt mich an.
"Okay ich komme gleich." Sagt er und streicht etwas in seinem Heft durch.
"Wieso bist du hier in der RW?" Frage ich ihn und bemerke erst dannach, wie unhöflich das klingt.
"Kindersicherung." Er verzieht das Gesicht. "Ich war zu lange on. Heute, als du mich wecken wolltest war das Limit erreicht, deswegen bin ich ja in die RW zurückgekommen. Der Server hat mich ja rausgeworfen. Obwohl Dad selbst nie in die RW kommt, hat er mir eine Kindersicherung eingebaut." Er schnaubt. "Nur, damit ich nicht Virrealsüchtig werde."
"Bist du doch sowieso schon." Lache ich, aber innerlich zerrwißt mich dieser Fakt. Wenn er 16 wird, is er volljährig. Das heiß, die Kindersicherung wird ausgeschaltet und dann hat er kein Limit mehr. Ich habe Angst um ihn. Ich habe Angst um Das. Ich habe Angst um meine kleine Familie. Er verpasst mir einen leichten Schlag an die Schulter.
"Bin ich nicht. Und jetzt lass uns essen gehen." Spielerisch ramme ich ihm meinen Ellbogen in die Taillie. Aber nur leicht.
"Ja. Lass uns gegen, sonst wird das Essen noch kalt." Ich packe seine Sachen ordentlich auf einen Stapel.
"Und Dad?" Fragt Symon besorgt.
"Den hol ich gleich." Sage ich.
'Ich versuch's zumindest...' Füge ich in Gedanken hinzu.
"Okay. Dann hole ich Jeyla." Er lächelt. Dabei bekommt er immer Grübchen in den Wangen. Seine blonden Locken fallen ihm in sein Gesicht. Er geht nach unten in die Küche und ich mache mich auf den Weg zu Dad.

"Thomas?" Frage ich, als ich sein Zimmer betrete. Er blickt stumm an die Wand. Er zeigt keine Reaktion. Ich sehe, dass er in der VR ist. Ich hab auch nichts anderes erwartet.
"Dad. Es gibt Essen. Ich war jagen. Weißt du, ich musste was aus meinem Kopf bekommen." Und so erzähle ich ihm von meinem Tag. So, wie früher. Nur, dass er früher in der RW war und mir Ratschläge gegeben hatte, statt stumm an die Wand zu gucken.
"Morgen werden sie uns sagen, wer für die Tests ausgewählt wurde. Falls Stepan Recht hat und ich dazugehöre, will ich es dir als erstes sagen. Kannst du morgen da sein?" Stille. Trauer überkommt mich.
'Was ist nur heute mit dir los? Reiß dich zusammen!' Sagt eine Stimme in meinem Kopf. Ich raffe mich auf.
"Ich liebe dich Dad. Hoffentlich bis morgen." Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange.
"Hoffentlich..." Flüstere ich noch mal. Ich sehe wie sein Finger zuckt. Ob er wohl gerade in die RW zurückkommt? Nein. Sein Bluck ist weiterhin glasig. Vermutlich habe ich mir das nur einfebildet. Ich seufze. Dann gehe ich in die Küche. Cordelia, meine Stiefschwester Jeyla und Symon sitzen bereits am Tisch und stopfen das Fleisch in sich hinein. Als Sympn mich bemerkt Blickt er auf. Er guckt mich mit einem erwartungsvollen 'Wo ist Dad?'-Blick an. Ich zucke nur mit den Schultern und beiße mir auf die unterw Lippe. Dann setze ich mich und schaufle stumm das Wildschwein mit Reis in mich hinein.

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Hali-Hallo!
Ich freue mich so, dieses Kapitel beendet zu haben. Nach dem Jagen-Part hatte ich eine ziemliche Schreibblockade, deswegen bin ich jetzt umso fröhlicher dieses Kapi (stolze 1280 Wörter [ohne diesem Text😌]) hochzuladen.
Na dann
Tschaui
Evy_Dok

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