Fliederpark

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Ich stehe vor dem Zimmer 5A14. Und was jetzt? Rein komme ich nicht, mein Fingerabdruck passt nicht in dieses Stockwerk. Die Wahrscheinlichkeit, dass Nakes in nächster Zeit dieses Zimmer verlassen wird, ist ziemlich gering und ewig kann ich hier nicht herumstehen. Früher oder später wird jemand auf diesem Flur mich entdecken. Ich habe zwei Möglichkeiten.
Nummer 1: Einfach anklopfen.
Oder
Nummer 2: Mich schnellstmöglich auf ein anderes Stockwerk verpissen und dabei hoffen, nicht gesehen zu werden.
Wobei mir Nummer 2 nicht besonders sinnvoll erscheint, da Nakes mich indirekt mit der Servierte darum gebeten hat, hierher zu kommen. Wobei.. Jetzt könnte ich noch kneifen. Ich könnte umkehren und mich an die Regeln halten. Was denke ich da? Wann habe ich mich denn schon an die Regeln gehalten? Gute Frage.
Als ich klopfe, öffnet mir ein schlaksiger Typ mit straßenköterblonden Haaren.
"Ist das Nakes' Zimmer?" Frage ich ihn und achte darauf, nicht allzu laut zu sprechen. Er nickt.
"Jenna." Sage ich und schüttel seine Hand.
"Chriztian." Sagt er kurz angebunden und schaut mich verwirrrt an.
"Kann ich reinkommen?" Frage ich und als er wieder nickt, schlängel ich mich an ihm vorbei und schließe die Tür hinter uns.
"Was machst du hier?" Fragt Chriztian und fummelt an seinem hellblauen Polohemdkragen herum. "In Gedanken klang das höflicher."
"Ich warte auf Nakes." Mein Blick schweift die Wand entlang. Chriztian nickt mit dem Kopf zu einer Tür, hinter der ich das Badezimmer vermute.
"Er duscht gerade." Antwortet Nakes' Zimmermittbewohner. Mein Blick schweift die andere Wand und bleibt bei einem Bild hängen. Am Rahmen entdecke ich eine Kamera. Ich suche den Raum weiter ab und entdecke einen toten Winkel, einen blinden Fleck.
"Sind Mädchen hier nicht verboten?" Fragt Chriz, wie ich ihn ab jetzt abkürzen werde.
"Jap. Und deswegen solltest du mich lieber nicht verpfeifen." Sage ich und gehe auf den blinden Fleck zu. Dort lehne ich mich lässig an die Wand.
"Und was wenn doch?" Fragt Chriz. Sofort kommt er mir weniger sympathisch vor. Ich lache kalt.
"Hör mal, Chriz Schätzchen. Hier sind überall versteckte Kameras. Ich deute unauffällig auf das Bild.
"Lass dir nichts anmerken. Sie sind ja nicht umsonst versteckt. Wahrscheinlich wissen sie schon, dass ich hier bei euch bin." Seine Augen weiten sich. "Aber lass uns nicht darüber reden. Wer weiß, vielleicht haben diese Wände Ohren." In diesem Moment öffnet sich die Badezimmertür und ein nur in Jeans bekleideter Nakes kommt heraus. Beim Anblick seines Oberkörpers bleibt mir die Luft weg. Seine Schultern sind breit, sein Körper durchtrainiert. Ich erkenne sogar ein angedeutetes Sixpack. Auf seiner gebräunten Haut glitzern einige Wassertropfen. Wohl oder Übel muss ich zugeben, dass Nakes unglaublich sexy ist.
"Oh, hey Jenna." Reagiert er ganz gelassen, als er sieht, dass ich bei seinem Bett stehe.
"Alles okay bei dir?" Fragt er und ich bemerke, was für eine Wirkung er auf mich hat. Jedes kleine Härchen meines Körpers steht zu Berge, ich habe Gänsehaut und meine Atmung beschleunigt sich.
"So beeindruckt, mich zu sehen?" Fragt er zieht sich sein Shirt über. Ich gestehe mir ein, dass ich den Anblick gerne länger genossen hätte.
"Beeindruckt dich so zu sehen." Sage ich und hoffe, dass ich nicht rot geworden bin.
"Das sind die meisten beim ersten Mal." Sagt er und schaut mich direkt an.
"Solche Andeutungen macht ein Gentleman nicht." Sage ich und sehe zu, wie auf mich zukommt.
"Wer sagte, dass ich ein guter Gentleman bin?" Er lächelt verschmitzt und kommt meinen Gesicht gefährlich nahe. Ich halte die Luft an.
"Du bist nicht meine erste." Sagt er, während er zu seiner Tasche greift und somit die Distanz zwischen uns erweitert. Irgendwie bin ich enttäuscht. Was ist nur mit mir los? Was hatte ich erwartet, was passiert? Das er mich küsst? Bullshit. Aber ich hatte es innerlich gehofft. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Mir ist kalt und mir fällt auf, dass ich immernoch meine Sportklamotten anhabe. Nakes öffnet die Tür und blickt sich um. Dann ergreift er grob meine Hand und zieht mich zum Fahrstuhl. Als ich meinen Finger in den Scanner legen will, hält er mich davon ab.
"Dies ist das Jungsstockwerk. Der Scanner wird dir nicht zulassen, von hier zu fahren. Wie bist du überhaupt hochgekommen?" Fragt er mich.
"Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Sogesehen hatte ich echt Glück." Ein Junge war gerade davei gewesen, in den Lift zu steigen. Er scannte seinen Fingerabdruck und drückte auf die 5. Dann stieg ich ein und scannte auch meinen Abdruck. Um nicht aufzufallen drückte ich auf die 7. Als er zuerst ausstieg, wartete ich bis er außer Sichtweite war und stieg dann auch aus.
"Wohin gehen wir?" Frage ich Nakes, als er auf die 11 drückt.
"Park." Sagt er kurz angebunden.
Ich verstehe, dass er nicht reden will. Die Kamera über uns habe ich bereits bemerkt. Ich frage mich, warum die Überwacher keine Arbeiter geschickt haben, um mich davon abzuhalten zu den Jungs zu gehen.
Als Nakes' warme Hand meine nimmt, unterbricht Herzklopfen meine Gedanken. Der kurze Laut einer kleinen Glocke ertönt und ein Screen an der Fahrstuhlwand zeigt, dass wir soeben auf dem elften Stock angekommen sind. Die Türen öffnen sich und ein süßer Geruch steigt mir in die Nase.
Um uns herum blüht alles. Ich entdecke Pflanzen, die ich bereits von zu Hause kenne und welche, die mir neu sind.
Als ich Nakes angucke, fällt mir auf, wie sehr er hierhin passt. Sein Lächeln wirkt wie das letzte Puzzleteil der Perfektion. Seine Haare schimmern im Licht, exakt wie die Pflanze einige Meter von ihm entfernt. Seine blauen Augen, wie der Sommerhimmel im Wald.
"Nun, es gibt hier viele Pfade. Jeder führt zu einem anderem Park. Zuerst will ich dir den Fliederpark zeigen."
Nakes hält mich immernoch an der Hand. Eine Windbö löst einige Blätter von einem Altahurnbaum und sie segeln langsam auf den Erdboden. Beim nächsten Windstoß werden sie aufgewirbelt und fliegen weiter.
In der Ferne sehe ich bereits die Fliedersträucher. Es ist wunderschön. Jedoch entgehen mir die grauen Kameras am Wegrand nicht. Man hat sie einfach sichtbar aufgestellt, um uns daran zu erinnern, dass wir nichts ändern können. Virreal hat hier das Sagen.

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