Manipulation und gemeiner Efeu

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Jenna P.O.V

Im halbdunkel der Fliederbüsche sitze ich auf einer der Matten, die Nakes aus grünen Ästen geflochten hat. Sein Kopf ruht auf meinen Knien, während sein Körper keine Lebensanzeichen von sich gibt. Ich sitze sit fast einer Viertelstunde so da und bekomme es langsam mit der Panik zu tun. Er atmet nicht, jedoch kann ich seinen Puls spüren. Jedoch ist dieser gefährlich niedrig. Ich kann nichts tun, außer zu hoffen, dass er bald hoffentlich wieder unversehrt in der RW erscheint.
Mit der einen Hand streiche ich durch sein lilastichiges Haar, welches Chromeartig in verschiedenen Winkeln die Farbe über Petrol zu dunkelgrün ändert. Es ist mir ein Rätsel, wie seine derart verrückt gefärbten Haare so weich sein können, wobei meine nach der roten Tönung, die zugegebenermaßen derartig schief gelaufen war, zerstört bis zum geht nicht mehr sind.
Ich betrachte sein Gesicht. Es wirkt wegen den scharf herausstehenden Wangenknochen leicht mager und seine dunklen Augenbrauen passen perfekt zu seiner Mischfarbenen Haut.
Plötzlich ziehen sich ebendiese Augenbrauen zusammen und es entstehen Falten auf seiner Stirn. Sein Körper krampft sich zusammen und er biegt seinen Rücken. Ich glaube zu hören, wie er etwas flüstert. Doch es kann auch sein, dass ich mich verhört habe. Plötzlich fängt er an zu husten und spuckt Blut. Erst als das Blut seine Lippen tiefrot tränkt, reißt er seine Augen auf. Und als er das Blut, das mittlerweile auch auf seinen Händen verteilt ist, erblickt, muss er noch mehr husten. Ich greife zu meiner Tasche und hole eines der Handtücher, das ich aus dem Zimmer geklaut habe, heraus und zerreiße es. Dann reiche ich ihm ein Stück. Er nickt dankend und hält es sich vor den Mund.
"Brian und Jacqueline sind tot." Sagt er, nachdem er sich mit der Handfläche grob das Blut wegwischt.

Dann erzählt er mir die ganze Geschichte. Von dem Moment an, als Brian panisch in Nakes' Kopf eingedrungen ist, über Jacquelines Tod durch Schusskommando, bis zu dem Punkt, dass Nakes Brians letzte Lebenskraft für sich genutzt hat, um wieder in seinen eigenen Körper zurückzukehren. Ich mache ihm keine Vorwürfe. Jeder hätte so gehandelt, instinktiv.
"Jetzt wissen wir ja, was es heißt, vom Test 'entfernt' zu werden." Sage ich. Jetzt ist es nicht mehr nur eine Vermutung oder eine paranoide Einbildung. Ich weiß nun, dass es die pure Realität ist.
"Ich wusste es schon vorher." Sagt Nakes abweisend.
"Woher?" Frage ich ihn.
"Es war nur eine Vermutung. Wie denkst du, kann man mehr oder weniger tausend Jugendliche verschwinden lassen?" Ich nicke zustimmend. Ich wusste, dass sie nicht zurück in ihre Distrikte kamen. Jedoch habe ich nicht direkt vermutet, dass sie getötet wurden. Eher dachte ich, dass sie umgesiedelt wurden in zum Beispiel nicht revitalisiertes Gebiet außerhalb der Mauern oder körperliche Arbeiten irgendwo verrichteten. Jedoch bestätigt sich mit Nakes Aussage die schlimmste Möglichkeit. Sie werden schlichtweg ermordet. Und das ist der Grund, weshalb ich diese Tests bestehen muss, koste es, was es wolle.
"Du hast da was." Sage ich nach einer Weile und vermeide das Wort Blut. Dann greife ich zum Handtuch und feuchte es leicht mit meinem Speichel an. Dann Wische ich seine Mundwinkel sauber.
"Jenna?" Fragt er leise.
"Hm?" Antworte ich vollkommen auf seine Lippen konzentriert.
"Ich sollte nicht hier sein." Sagt er vollkommen ernst.
"Ich auch nicht." Sage ich abwesend.
"So meine ich das nicht. Ich sollte wirklich nicht hier sein." Sagt er und ich rücke ein wenig von ihm ab.
"Wie meinst du das?" Ich spiele nervös mit dem im Blut getränkten Handtuch herum.
"Bei den Eignungstest. Ich habe nicht bestanden. Sie haben mich bestanden lassen." Er schaut auf seine Hände, die sich zu Fäusten ballen.
"Ich hätte nicht bestehen können. Sie haben meine Ergebnisse manipuliert. Während des Eignungstests habe ich absichtlich die falschen Antworten angekreuzt und falsch erklärt. Grammatikalisch falsch und völlig sinnlos. Zusätzlich habe ich 37 Minuten überzogen." Sagt er und schaut mich nun wieder an.
"Aus irgendeinem Grund wollen sie mich hier behalten. Und das macht mir Sorgen." Sagt er ehrlich und mir stockt der Atem. Ich bin ein Fehler. Mich würden Sie am allerliebsten von den Tests komplett entfernen und doch bin ich in E2. Und dies ist einer der besten Ränge. Die Ränge gehen von A bis F, wobei F der höhste Rang ist und A der niedrigste. Die Ränge sind eine Warnung. Wenn man auf diesem Stand bleibt, werden alphabetisch die Ränge entfernt werden bis nur noch F übrig bleibt und das würde heißen, dass es für alle im Rang A bald vorbei ist. Deshalb zeigen Sie uns die Ränge. Damit wir mehr lernen, fähiger werden, Konkurrenten werden und uns gegenseitig vom Treppchen stoßen um selbst an der Spitze zu bleiben. Sadistisch, aber wirkungsvoll. Nakes hätte dem Prinzip nach noch nicht mal im Rang A landen sollen und doch wurde er in Rang D eingeordnet. In die obere Hälfte. Es hat jedoch trotzdem einen Sinn, dass er nicht im Rang F gelandet ist. Das hätte zu viel Aufmerksamkeit erregt und zusätzlich zeigt es, dass er sich nicht alles erlauben kann. Alles ist gut überlegt sortiert und eingeordnet wurden.
Erst jetzt fällt mir auf, dass Nakes nicht nur eine Testperson ist. Im Gegenteil: er testet das System. Während ich noch versucht habe den Eignungstest überhaupt zu bestehen, hat er sein Leben aufs Spiel gesetzt um herauszufinden, dass die Tests manipuliert sind. Ich kann nicht anders als ihn zu bewundern.
Was mir jedoch seitdem ich das bemerkt habe nicht aus dem Kopf geht, ist warum meine Ergebnisse nicht in die negative Richtung manipuliert wurden. Es wäre so einfach gewesen mich jetzt schon loszuwerden und doch bin ich noch hier. Wäre es zu auffällig gewesen mich von Anfang an zu entfernen? Nein, das kann nicht sein. Gerade jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt mich den Tests abzuziehen. Es würde niemandem auffallen, schließlich wäre ich nur eine von vielen...
"Woran denkst du gerade?" Fragt mich Nakes nach langer Stille.
"Nichts." Sage ich einfach und schaue ihn an.
"Darf ich was ausprobieren?" Ohne auf meine Antwort zu warten, lehnt er sich zu mir und legt seine Lippen auf meine. Erst bin ich verwirrt, erwidere den Kuss danach. Als ich nach einiger Zeit ein Pochen aufgrund von Sauerstoffmangel in meinen Schläfen spüre, löse ich mich von ihm.
"Danke." Sagt er und steht auf. "Wenn wir das Abendessen nicht verpassen wollen, sollten wir jetzt gehen."

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